Wie wird bürgerschaftliches Engagement in Zukunft aussehen?

Bindungswirkung und Herausforderungen traditioneller Engagementstrukturen

Auch der unentgeltlich tätige Vorsitzende eines Sportvereins, Kassierer eines Heimatvereins oder Dirigent eines Musikchores empfinden und definieren die Tätigkeit in der Organisation als ehrenamtlich, aber titulieren sie im alltäglichen Sprachgebrauch nicht als bürgerschaftlich.
Diese Selbstwahrnehmung und Einschätzung des eigenen Engagements sollte in der Diskussion um Begrifflichkeiten und Bindungswirkung nicht vergessen oder gar negiert werden.

 

Aber was macht dieses Engagement im traditionellen Kontext eigentlich aus?

 

1. Ehrenamtliches Engagement ist wie alles Handeln immer sozial eingebettet und stellt eine soziale Praxis dar, die in sozialen Organisationen institutionell gestützt und zugleich reflektiert werden muss.
2. Das ehrenamtliche Engagement ist immer gekoppelt an bestimmte Institutionen, in denen es stattfindet.
3. Das soziales Beziehungsgeflecht,
z. B. in einem Verein, spielt eine große Rolle
4. Für das ehrenamtliche Engagement ist die innere Struktur der Organisation von Bedeutung.

 

Werden Bürger selbst aktiv, hat dies in der Regel positive Auswirkungen auf die Gesellschaft. Da die meisten Vereine und Bürgerinitiativen demokratisch organisiert sind, erfahren die Bürger hier auch, was „gelebte Demokratie“ heißt. Vorgänge in der „großen Politik“, die ihnen sonst nur aus den Medien bekannt werden, sind hier am eigenen Leib erlebbar; insofern kann das Verständnis für Demokratie und für die Notwendigkeit, Ziele auch durch eigene Zugeständnisse und diplomatisches Handeln zu erreichen, wachsen.

 

Auch heute, und das findet sich in der Präambel des Errichtungsgesetzes zur DSEE wieder, weicht die Definition im Regelfall nicht von dem übergeordneten Begriff des „Bürgerschaftlichen Engagements“ ab. Es ist aber auch deutlich zu erkennen, dass sich in einigen Bereichen Bewegung im Selbstverständnis der traditionellen Organisationen und handelnden Mitglieder sowie neue Herausforderungen entwickelt haben:

 

1. Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der Zielgruppen: Ehrenamt ist nicht nur öffentliches Ehrenamt.
2. Damit verbundene, oft längerfristige Verpflichtung und Bindungswirkung durch Mitgliedschaft und Übernahme von Verantwortung im Verein als Herausforderung für die individuelle Lebensplanung.
3. Probleme „traditioneller“ Strukturen, Mitglieder zu gewinnen, attraktive Perspektiven und Konzepte für die Zukunft zu entwickeln, die fortschreitende Digitalisierung sinnvoll zu nutzen, ohne soziale Kompetenzen in und außerhalb der Organisation zu vernachlässigen.
4. Dadurch bedingt: Diskussion über Änderung in der eigenen Führungsstruktur sowie „Modernisierung“ der gesamten Vereinsstruktur nebst Tätigkeit in Zeiten der Digitalisierung, um auch „traditionelle“ Strukturen attraktiv für junge Menschen zu gestalten.
5. Eine starke Herausforderung zur „inneren Modernisierung“ und strategischen Weiterentwicklung, um weiterhin eine aktive Rolle im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu spielen.

 

Gerade die „neuen“ digitalen Möglichkeiten und die rasante Entwicklung auch zur Gestaltung und Vernetzung im Bereich des Engagements haben die Herausforderungen für die Tragfähigkeit und Entwicklung der diversen Strukturen und Organisationsformen neu belebt und intensiviert. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es in Deutschland aufgrund der neueren Geschichte eine unterschiedliche Landschaft von „gewachsenen traditionellen“ Engagementstrukturen gibt.

 

Bei allen regionalen Unterschieden und Eigenheiten finden wir in Ostdeutschland eine andere Engagementlandschaft als in Westdeutschland, da mit den Transformations- und Angleichungsprozessen im Rahmen der Deutschen Einheit ab 1990 vorhandene Strukturen oft nicht übernommen und weiterentwickelt wurden. Somit finden wir heute vor Ort oft junges Engagement. Gerade hier erscheint es sinnvoll, vorhandene Strukturen wie Sport- und Musikvereine zu nutzen, in der eigenen Entwicklung zu unterstützen und in strukturelle Überlegungen aktiv einzubeziehen.
Wie können nun traditionelle Engagementstrukturen in der DSEE gebündelt werden? Und wie kann die Stiftung diese sinnvoll einbeziehen und bei der Bewältigung aktueller Herausforderungen unterstützen?

 

Dazu gibt es mehrere Ansätze:

 

• Über den Stiftungsrat: Vertretung von Vertretern traditioneller Engagementformen
• Berücksichtigung der Anliegen bei der strategischen Ausrichtung – gerade bei der Bedeutung für strukturschwache Gebiete und ländliche Räume
• Unterstützung bei Modernisierung und Digitalisierung

 

Wie sehen nun die konkreten Herausforderungen für die traditionellen Strukturen in Gegenwart und Zukunft aus? Diese Fragen stellen sich diesen Vereinen und Organisationen:

 

1. Wie sehen die Schnittstellen zu digitalen Strukturen aus?
2. Wie kann die Motivation zum Engagement und zur Übernahme von verbindlicher Verantwortung innerhalb dieser Organisationen aufrechterhalten und der Rückgang an Bereitschaft gestoppt werden?
3. Wie können und müssen die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden – ohne soziale Kompetenzen abzubauen?
4. Wie können neue Zielgruppen angesprochen und aktiv einbezogen werden?
5. Wie können interne Strukturen und Aktivitäten so gestaltet werden, dass sie den aktuellen Erfordernissen gerecht werden.
Positionierung und grundsätzliche Überlegungen dazu:
1. Traditionelle Strukturen haben noch eine Bindungswirkung.
2. Allerdings unterliegen sie dem Wandel durch andere Engagementformen, Digitalisierung und fehlender Attraktivität für verschiedene Zielgruppen.
3. Die Einbindung zur Stärkung des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalts ist gerade in strukturschwachen und ländlichen Regionen sinnvoll und notwendig.
4. Die Chance für Weiterentwicklung der eigenen Struktur, neue Kooperationen und sinnvolle Weiterentwicklung nutzen.
5. Die Bindungswirkung kann durch interne und externe Weiterentwicklung und Öffnung gegenüber anderen Zielgruppen, „neuen“ Partnern und Möglichkeiten der Kommunikation und Information gefestigt werden. Hilfreich erscheint auch der Ausbau der Möglichkeiten der Zusammenarbeit, ohne Mitglied zu werden.

 

Hier wird sich entscheiden, wie zukunftsfähig und prägend traditionelle Engagementstrukturen unsere Gesellschaft in Zukunft mitgestalten können.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2020.

Markus Priesterath
Markus Priesterath ist Referent im Referat GII3 – Ehrenamt und Bürgerschaftliches Engagement – im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat.
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