Bürgerschaftliches Engagement – das sind die kleinen Taten der Vielen, die Großes bewirken. Engagierte gibt es in allen Bereichen unserer Gesellschaft: Sie kümmern sich um kranke Menschen, sie sind die Freiwillige Feuerwehr, sie machen Kindern Mut, ein Instrument zu lernen oder die Natur zu entdecken. Sie fördern junge Frauen und Männer bei der Berufsausbildung oder unterstützen Geflüchtete beim Deutschlernen. Sie engagieren sich gegen Rassismus, Antisemitismus und halten das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und an Deutschlands historische Verantwortung wach.
Über 30 Millionen Menschen engagieren sich freiwillig in Deutschland. Individuell oder integriert im Verein, beim Technischen Hilfswerk (THW), in der Kirche oder in Migrantenorganisationen. Das Engagement der Vielen ist so vielfältig wie unsere Gesellschaft. Es macht Deutschland lebenswert. Es schafft Heimat. In den letzten Jahren ist der Anteil der Engagierten um 10 Prozent auf 44 Prozent gestiegen. Das ist in Zeiten, die für viele Menschen von Unsicherheiten und Sorgen geprägt sind, ein wichtiger Beitrag zur Wahrung des Zusammenhalts. Das Engagement trägt auch zum interkulturellen Austausch und Verständnis bei und es entfaltet eine große integrative Kraft. Darum ist es gut, dass die Initiative kulturelle Integration ihre zehnte These dem Engagement gewidmet und dazu ein Papier erarbeitet hat. Das ist in diesen Zeiten hochwillkommen und enorm wichtig!
Wenn in diesen Tagen über die Ereignisse vor fünf Jahren diskutiert wird, als täglich Tausende Menschen in Not unsere Grenze erreichten, dann ist klar: Ohne die überwältigende Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung hätte Deutschland die Integration so vieler Flüchtlinge kaum stemmen können. Dieser Einsatz ist auch heute wertvoll und unverzichtbar. Deshalb müssen wir uns vor alle Engagierten stellen, wo und wann immer sie für ihre Hilfsbereitschaft und Mitmenschlichkeit angefeindet oder bedroht werden. Wer das Ehrenamt verunglimpft oder attackiert, der hat keine Ehre.
2015 zeigt, dass zivilgesellschaftliches Engagement nicht nur Integration und Teilhabe aktiv fördern kann, sondern auch die Engagementlandschaft deutlich stärkt. Seit 2015 haben viele Ehrenamtliche an Lotsen- und Patenschaftsprogrammen für Geflüchtete teilgenommen. Dieses Engagement fördere ich mit ganzer Kraft: mit 25 Projekten zur Unterstützung des Ehrenamtes in der Flüchtlingsarbeit, mit denen jährlich rund 55.000 Ehrenamtliche qualifiziert und auch rund 2.000 Flüchtlinge für ein Ehrenamt gewonnen werden konnten. Hinzu kommen Projekte zum Empowerment von Flüchtlingen, damit sie ihren Weg in Deutschland besser gehen und gestalten können.
Die Bilanz ist ermutigend und die Projekte zeigen deutlich: Beim gemeinsamen Engagement entsteht ein gutes Miteinander. Es fördert das gegenseitige Verständnis und die Identifikation mit unserer Gesellschaft. Es stärkt eine offene und partizipative Gesellschaft – ein Ziel, dem sich auch die Initiative kulturelle Integration verschrieben hat.
Die Initiative hat zu Recht formuliert, dass bürgerschaftliches Engagement integraler Bestandteil unseres subsidiären Staatsverständnisses ist: Zunächst sind es die kleinsten gesellschaftlichen Einheiten, die vor Ort aktiv werden. In der eigenen Straße, in den Nachbarschaften, im Stadtviertel. Wichtig ist, dass der Staat neben seinen Leistungen auch den Rahmen setzt, um dieses Engagement bestmöglich zu unterstützen. Das ist ein gesellschaftspolitischer Schwerpunkt der Bundesregierung in dieser Legislaturperiode.
Dafür wurde die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt auf den Weg gebracht, die inzwischen vom Deutschen Bundestag und Bundesrat beschlossen wurde. Die Stiftung soll zentrale Anlaufstelle auf Bundesebene sein und Beratung und Qualifizierung aus einer Hand für alle Engagierten bereitstellen. Die Stiftung wird Vereine und Initiativen bei der Weiterentwicklung ihrer Strukturen und Professionalisierung begleiten. Das ist wichtig, denn trotz Millionen freiwillig Engagierter stehen viele Vereine vor der großen, teils demografisch bedingten Herausforderung, neue Mitglieder zu gewinnen und für das Ehrenamt zu begeistern. Die Corona-Pandemie erschwert diesen Prozess. Deshalb müssen wir hier alle Potenziale nutzen. Ein großes, noch zu selten aktiviertes Potenzial gibt es bei den 21,2 Millionen Menschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte. Hier setzt der Nationale Aktionsplan Integration der Bundesregierung an, auch mit einem eigenen Themenforum zum Ehrenamt. Das Ziel: mehr Austausch und Vernetzung der vielen Partner im Ehrenamt, z. B. auch zwischen Migrantenorganisationen und den traditionellen Organisationen des bürgerschaftlichen Engagements. Der Austausch kann mehr Menschen für ein Engagement aktivieren und interkulturelle Kompetenzen stärken.
Wenn ich an die etablierten Organisationen denke – z. B. im Katastrophen- und Rettungsschutz oder im Sport – dann geht es auch um eine aktive, manchmal selbstkritische Auseinandersetzung. Etwa mit der Frage, welche Hürden vielleicht noch abgebaut werden müssen, damit mehr Menschen mit familiärer Einwanderungsgeschichte den Weg ins Ehrenamt finden. Das Ehrenamt muss so vielfältig zusammengesetzt und aufgestellt sein wie unsere Gesellschaft. Darum ist es gut, dass auch die Initiative kulturelle Integration an dieser Fragestellung arbeitet. Denn eines gilt für uns alle: Engagement schafft Zufriedenheit.
Das bestätigt auch die Wissenschaft mit einer Langzeitumfrage. Seit über 30 Jahren fragt sie die Menschen unseres Landes nach Einkommen, Lebensumständen und der allgemeinen Zufriedenheit. Das Ergebnis: Am glücklichsten sind nicht jene, die beruflich Karriere machen oder ein Vermögen anhäufen. Am glücklichsten sind Menschen, die sich gemeinnützig engagieren. Oder mit den Worten des schottischen Dichters Robert Burns aus dem 18. Jahrhundert: „Der Sinn des Lebens ist ein Leben mit Sinn.“
In diesem Sinne ein herzliches Dankeschön an die Initiative kulturelle Integration und den Deutschen Kulturrat für das wichtige Engagement!
Der Beitrag wurde als Rede bei der Jahrestagung der Initiative kulturelle Integration am 15. September 2020 gehalten.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2020.