Politische Bildung braucht Freiheit

Evangelisches Bildungszentrum Bad Alexandersbad fördert Engagement für Toleranz und Demokratie

2011 wurde das Grab aufgelöst. Wie ist die Situation aktuell?
Heute beißen die Nazis im Fichtelgebirge auf Granit. Die Braunen dürfen nicht mehr zum Heß-Todestag nach Wunsiedel kommen. Das ist einer unserer Erfolge. Wir haben eine Rechtsänderung auf den Weg gebracht. Durch unsere Initiativen ist der Paragraf 130 BGB, der Volksverhetzung verbietet, um den Artikel 4 ergänzt worden: Dieser Artikel 4 stellt nun ausdrücklich die Verherrlichung verurteilter Nazis unter Strafe. Das war vorher nicht der Fall.
Langfristig haben wir auf die Heß-Aufmärsche nicht nur mit Gegendemos geantwortet, sondern immer auch mit „Tagen der Demokratie“, in denen demokratische und menschenrechtlich orientierte Projekte öffentlichkeitswirksam unterstützt wurden. Wir wollen den Nazis stets etwas Positives entgegensetzen: „Wunsiedel ist bunt – und nicht braun!“
Ein weiterer Meilenstein war, dass wir ab 2006 im Alexandersbader Bildungszentrum eine „Projektstelle gegen Rechtsextremismus“ einrichten konnten. Hier hat seitdem auch das „Bayerische Bündnis für Toleranz – Demokratie und Menschenwürde schützen“ seine Geschäftsstelle. Inzwischen wirken hier 78 gesellschaftliche Organisationen mit – alles, was in Bayern Rang und Namen hat.
Eine große überregionale Bedeutung hat inzwischen auch das „Wunsiedler Forum“ gewonnen. Das ist ein jährliches Arbeitstreffen zwischen Kommunalpolitik, Verwaltung und Initiativen aus verschiedenen bayerischen Kommunen. Hier sitzen die verschiedenen Parteien konstruktiv am Runden Tisch – das hat große Strahlkraft und beseitigt viele Reibungsverluste in der regionalen politischen Kultur. Denn wir sind – bei allen sonstigen politischen Differenzen – darin geeint, dass wir diese undemokratischen und inhumanen Kräfte bekämpfen wollen.
Bedeutende Resonanz erreichte auch die Aktion „Rechts gegen Rechts – der unfreiwilligste Spendenlauf Deutschlands“ im Jahr 2014. Denn Wunsiedel ist leider nach wie vor Ziel von Naziaufmärschen. Heute vornehmlich am Volkstrauertag – unter der Überschrift „Opa war kein Mörder“. Dabei versuchen die Braunen, den Krieg zu relativieren und zu rechtfertigen. Aber wir sind dann immer mit Gegenaktionen präsent – die bisher spektakulärste eben 2014. Man kann heute noch im Internet die begeisterten Berichte darüber anschauen.
Wir sind also aus der Defensive herausgekommen und können uns über eine wache politische Kultur mit einer großen Vielfalt bürgerschaftlicher Initiativen freuen. Dabei verstehe ich meine Aufgabe als Referent für politische Bildung in einem kirchlichen Bildungshaus so, dass ich versuche, dies Engagement von bürgerschaftlichen Gruppen zu initiieren, zu unterstützen, zu stärken, zu qualifizieren, zu dokumentieren. Wir wollen uns nicht an die Spitze der Bewegung setzen. Hauptamt soll nicht Ehrenamt ersetzen.

 

Sie sprechen auch von einem Paradox: Die Herausforderungen durch das Heß-Grab haben zu breitem zivilgesellschaftlichen Engagement geführt und dadurch produktive politische Veränderungen erreicht.
So ist es. In Reaktion auf die rechtsextreme Bedrohung konnten wir dazu beitragen, in unserer Region eine deutliche Stärkung des demokratischen Bewusstseins und des Einsatzes für Toleranz und Menschenwürde zu entwickeln. Ohne diese heftigen Provokationen gäbe es viele wertvolle Initiativen nicht.
So ist es auch in unserem eigenen Haus: Hier haben wir inzwischen zwei hauptamtliche wissenschaftliche Stellen und eine Sekretariatsstelle in der Arbeit gegen Rechtsextremismus. Und wir koordinieren für die Landkreise Tirschenreuth, Wunsiedel, Hof sowie für die Stadt Hof und die Stadt Bamberg die Förderung durch das Bundesprogramm „Demokratie leben“. Das Evangelische Bildungszentrum ist also ein richtiges Kompetenzzentrum für demokratische Kultur geworden. Auch die Schulen der Stadt Wunsiedel und darüber hinaus haben sich sensibilisiert und sich vielfach als „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ zertifizieren lassen.
Ein Beleg dafür ist aber auch der Umgang mit Fremden: In Wunsiedel wurde jetzt ein neues Haus für Flüchtlinge gebaut. Im Vorfeld wurde das Einvernehmen der Nachbarschaft eingeholt: Und es gab keinen Widerspruch! Die Architekten haben gesagt, so haben sie es noch nie erlebt.
Unsere Region hat sich deutlich entwickelt – hin zu mehr politischer Aufgeschlossenheit, Toleranz und pfiffigem Engagement. Das ist sicher nicht das, was Sie zuerst mit dem peripheren ländlichen Raum assoziieren … Und das meine ich mit diesem Paradox: Wir sind durch die uns aufgenötigte Auseinandersetzung mit den Braunen politisch gewachsen.
Aber so wichtig im politischen Raum die energische Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ist – in der politischen Bildungspraxis brauchen wir größtmögliche Freiheit! Aktuell habe ich große Bedenken, dass wir unter der kämpferischen Überschrift „Haltung zeigen“ aufgefordert werden, politische Diskurse, die uns nicht in den Kram passen, abzuwürgen. Seit 30 Jahren arbeite ich in der Bildungsarbeit im ländlichen Fichtelgebirge.
Und ich bin sehr froh, hier nicht nur mit bildungsbürgerlichen Gruppen zu tun zu haben. Ich darf täglich mit Menschen arbeiten, die wir ansonsten eher nicht mit den Angeboten der politischen Bildung erreichen. Das heißt für mich aber auch, die Leute zunächst einmal so zu respektieren, wie sie sind. Nicht wenige dieser oft sehr freundlichen und engagierten Leute vertreten aber rechtspopulistische Meinungen. Dann bleibt es mir wichtig, dass sie sich überhaupt trauen, in der Gruppe auch solche Meinungen vertreten zu können, die dem Seminarleiter und dem Gruppenkonsens erkennbar widersprechen. Erst damit setzen sie sich ja auch den kritischen Nachfragen aus, müssen ihre Überzeugungen in der Diskussion vertreten und vielleicht dann auch korrigieren. Emanzipatorische Bildungsarbeit braucht diese Schritte und darf nicht von vornherein nur einen Gesinnungskorridor zulassen.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2020.

Joachim Twisselmann & Theresa Brüheim
Joachim Twisselmann ist Referent für politische Bildung und stellvertretender Leiter des Evangelischen Bildungs- und Tagungszentrums Bad Alexandersbad. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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