Viel ist erreicht, viel bleibt zu tun

Wo steht die Provenienzforschung?

Vom 17. bis 19. November 2021 widmet das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste seine Herbsttagung der Aufarbeitung gewaltvoller kolonialer Vergangenheit. Die lange Geschichte meist ignorierter Restitutionsforderungen und weniger Restitutionen stand im Mittelpunkt einer internationalen Digitalkonferenz. Rückgabeverlangen aus einst kolonisierten Regionen sind nicht neu, sondern reichen rund 150 Jahre zurück. Nur: Wahrgenommen hat dies in Europa kaum jemand. Hier erscheint es hilfreich, historische Dimensionen aufzuzeigen und Erklärungen für die Ungeduld zu finden, die hinter den heute vorgebrachten Forderungen zu stehen scheint.  

 

Es ist die erste Konferenz des Zentrums zu diesem Thema, die damit zugleich die Ausdehnung seines Aufgabenspektrums demonstriert. Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste wurde 2015 als Stiftung bürgerlichen Rechts von Bund, Ländern und Kommunen gegründet, vor allem als eine Reaktion auf den Fall Gurlitt. Dieser hatte gezeigt, dass der nationalsozialistische Kunst- und Kulturgutraub noch lange nicht aufgearbeitet ist. Folgerichtig stand und steht diese Aufklärungsarbeit im Mittelpunkt der Aktivitäten. Die Stiftung finanziert Provenienzforschung in Museen, Bibliotheken und Archiven öffentlicher wie privater Trägerschaft sowie in privaten Sammlungen, es unterstützt die Rekonstruktion in der NS-Zeit zerstreuter Sammlungen, es vernetzt Forscherinnen und Forscher, es unterstützt Weiterbildung, es engagiert sich im Bereich der sogenannten Erinnerungskultur, es betreibt die international etablierte Lost Art-Datenbank und die Forschungsdatenbank Proveana. Nach der Gründung wurden dem Zentrum weitere Aufgaben übertragen, wie bei der Aufklärung der Kulturgutverluste in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR aktiv zu werden. Seit nunmehr rund drei Jahren existiert als neues Aufgabenfeld die Auseinandersetzung mit dem Vermächtnis des Kolonialismus in Sammlungen. Auch hier werden Forschungsprojekte finanziell gefördert, Akteure vernetzt und Grundlagenforschung angeregt.  

 

Diese Erweiterung der Zuständigkeit ist ausgesprochen positiv. Unangefochten bleiben wird aber die Kernaufgabe: die Suche nach dem sogenannten NS-Raubgut vor allem aus jüdischem Eigentum und die Unterstützung gerechter und fairer Lösungen“ im Sinne der Washingtoner Prinzipien. In beiderlei Hinsicht, bei der Fokussierung der Folgen des NS-Raubs wie bei der Bearbeitung neuer Aufgaben, hat das Zentrum die starke Unterstützung der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien. Damit ist die Behörde mit ihrem Amtschef Günter Winands gemeint, aber auch Staatsministerin Monika Grütters persönlich. Die Provenienzforschung in Deutschland hat für sie einen hohen Rang. Als Vorsitzende des Stiftungsrats des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste haben zunächst Monika Grütters und dann Günter Winands die Arbeit nach Kräften befördert und strategisch klug geleitet.  

 

Es ist der Wunsch der Stiftung, dass auch die neue Bundesregierung diese konsequente Unterstützung fortsetzt und ausbaut.  

 

Die Recherchen zum NS-Kulturgutraub haben in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, ihrem Ende nähern sie sich aber noch längst nicht. Sie sollten kontinuierlich fortgesetzt werden – und das beinhaltet auch, in Museen, Bibliotheken und Universitäten feste Stellen dafür zu etablieren. Noch mehr als bisher sollten die Erkenntnisse aus den einzelnen Projekten für die sogenannte Erinnerungskultur fruchtbar gemacht werden, wie beispielsweise derzeit bei einem aktuellen Projekt des Zentrums zur Bedeutung jüdischer Sammlerinnen und Sammler für das bürgerliche Leben im Deutschland der Weimarer Republik – und dessen Zerstreuung und Vernichtung nach 1933.  

 

Der zukünftige Umgang mit dem Kulturgutentzug in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR ist derzeit noch offen. Hoher Bedarf besteht sowohl bei der Grundlagenforschung zu diesem recht wenig bekannten Kapitel deutscher Geschichte als auch bei einschlägigen Bestandsrecherchen in Museen und Bibliotheken, auch im Westen Deutschlands, in der alten“ Bundesrepublik 

 

Kein brisantes Thema in den letzten Jahren waren die – bisweilen arg verkürzt als Beutekunst“ bezeichneten – Kriegsverluste während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Provenienzforschung und Museumsdialoge stoßen dabei immer wieder an ihre Grenzen, es stellt sich nun die Frage einer politischen Perspektive. 

 

Kommen wir schließlich zum Erbe des Kolonialismus. In den kommenden Jahren werden in diesem Bereich große Herausforderungen auf Museen und ihre Träger zukommen. Dies betrifft beispielsweise die noch kaum geklärte Frage von Restitutionen, dies betrifft die Einbeziehung naturwissenschaftlicher und archäologischer Sammlungen oder die aufwendige, aber unverzichtbare Kooperation mit Herkunftsgesellschaften. Starker politischer Rückhalt ist auch hier vonnöten.  

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2021-01/2022.

Gilbert Lupfer
Gilbert Lupfer ist hauptamtlicher Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste.
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