Quo vadis?

Kulturelle Bildung in der Bundespolitik

Kulturelle Bildung wurde in den letzten Jahrzehnten im Zuge des Ganztagsausbaus, aktueller Gesellschaftsthemen wie Bildungsgerechtigkeit, Diversität, Demokratieförderung oder Kulturvermittlung kontinuierlich weiterentwickelt, im Rahmen von Bundes-, Landes- und kommunalen Förderprogrammen und Stiftungsprojekten. Eine wichtige und verlässliche Ausgangslage für die Weiterentwicklung bot und bietet dabei der Kinder- und Jugendplan des Bundes. Darüber hinaus fördern auf Bundesebene verschiedene Ressorts Teilbereiche der kulturellen Bildung, beispielsweise Forschung, Bundesprogramme wie Kultur macht stark, Bundeswettbewerbe oder die Verpflichtung zur kulturellen Bildung in Bundeskultureinrichtungen. 

 

Ein Blick zurück … 

Die Pandemie machte in der kulturellen Bildung Schwachstellen sichtbar: Sie zeigte, wie fragil die Strukturen und Angebote sind, z. B. durch die starke Projektfinanzierung, die große Abhängigkeit von Drittmitteln in Form von Teilnahmegebühren und die hohe Orientierung auf Schulkooperationen. So kam kulturelle Bildung beispielsweise im Ganztag in der Pandemie nahezu komplett zum Erliegen.  

 

Unterstützend dagegen war die große Flexibilität, Fördermittel unbürokratisch beispielsweise für digitale statt analoge Formate einzusetzen. Weniger gut gelang es für die kulturelle Bildung als ressort- und gebietsübergreifendes Handlungsfeld passgenaue und feldadäquate Unterstützungsmaßnahmen in der Krise für alle Akteure sicherzustellen, beispielsweise im NEUSTART KULTUR-Programm für kulturelle Bildungsstrukturen des Jugendbereichs. Ein Mut machendes Zeichen war angesichts der Pandemie das Signal zur Weiterführung des Bundesprogramms Kultur macht starkund das Aufhol-Programm des Bundes. 

 

Ein Blick nach vorn … 

Eine zentrale Aufgabe der neuen Bundesregierung sollte in der Stärkung fragiler kultureller Bildungsstrukturen liegen, hier die vorherrschende Projektitis“ zu begrenzen – zugunsten von infrastruktureller Förderung, um mehr Teilhabegerechtigkeit zu ermöglichen. So könnte auch der zunehmende Weggang von fachlich qualifiziertem Personal in der kulturellen Kinder- und Jugendarbeit, aufgrund prekärer freiberuflicher und zeitlich befristeter Arbeitsverhältnisse, gestoppt werden. 

 

Sie sollte sich dabei in ihrer Perspektive nicht auf ressort- und gebietskörperspezifische Zuständigkeiten beschränken, sondern gemeinschaftlich mit Ländern und Kommunen nachhaltige kulturelle Bildungsinvestitionen auf den Weg bringen und auch die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den zivilgesellschaftlichen Strukturen, zur Bewältigung der Krise im Zuge aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen, fortführen.  

 

Teilhabegerechtigkeit und Pandemiefolgen 

Bis heute ist Teilhabegerechtigkeit in der kulturellen Bildung nicht eingelöst. Gesellschaftliche Spaltung, soziale Ungleichheiten und Differenzen wurden durch die Pandemie deutlich verschärft. Bundesprogramme wie Kultur macht stark“ helfen zwar punktuell, Teilhabegerechtigkeit zu unterstützen. Jedoch sind die Strukturen dieses Programmes weder auf das flächendeckende Erreichen aller bildungsbenachteiligten Kinder und Jugendlichen ausgerichtet, noch auf nachhaltige lebensbegleitende Zugänge. Um Teilhabegerechtigkeit herzustellen, bedarf es daher eines flächendeckenden Ausbaus kultureller Bildungsangebote und des Verzichts auf Teilnahmegebühren. Der Bund könnte hier eine strategische, modellhafte und unterstützende Haltung einnehmen.  

 

Digitalität – Grundlagen für einen gestalterischen Umgang schaffen 

Schon vor der Pandemie forderten Akteure der kulturellen Bildung einen Digitalpakt 2.0“ für den nonformalen Bereich. Denn es fehlt an technischer Infrastruktur, Fortbildungen und Experimentierräumen für die Entwicklung neuer Bildungsformate an der Schnittstelle von analog-digital. Kulturelle Bildung mit Teildisziplinen wie der Medienkunst oder Medienpädagogik könnte nicht nur allgemein Wegbereiter für die Entwicklung neuer Bildungsformate sein, sondern auch jungen Menschen Grundlagen für einen gestalterischen Umgang mit digitalen Techniken ermöglichen. Dafür bedarf es einer Digitalallianz Bildung, die die strukturellen Fehler des Digitalpakts Schule nicht wiederholt. Auch bedarf es neuer Förderlogiken: Denn analoge Strukturen sind nicht übertragbar auf digitale Praktiken. Beispielsweise ist es schwer vorstellbar, von Kindern, die sich im Digitalen autark bewegen, Teilnahmegebühren für digitale Angebote zu erheben, von den Teilhabeungerechtigkeiten, die dadurch entstehen, einmal abgesehen.  

 

Rechtsanspruch auf Ganztag? Rechtsanspruch auf Teilhabe? 

Der Rechtsanspruch auf Ganztag im Primarbereich bietet Chancen, Teilhabegerechtigkeit massiv zu stärken, wenn dabei nicht nur Betreuung, sondern zugleich ein (Rechts-)Anspruch auf nonformale Bildung in den Blick genommen würde. Statt neue Betreuungsstrukturen aufzubauen, könnten hier die bestehenden nonformalen Bildungsstrukturen flächendeckend ausgebaut und zur Mitverantwortung für den Ganztag herangezogen werden. Bei einer gleichberechtigten (Aus-)Gestaltung des Ganztags von formalen und nonformalen Partnern auf Augenhöhe könnten zugleich Freiräume, eigene Interessenbildung und Freiwilligkeit von Kindern und Jugendlichen im Ganztag und damit Persönlichkeitsbildung gestärkt werden. 

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2021-01/2022.

Susanne Keuchel
Susanne Keuchel ist Vorsitzende der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ).
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