Neue Prioritäten für die Kultur!

Forderungen aus dem Musikbereich

Die Bilanz nach 16 Jahren christdemokratischer Kulturpolitik des Bundes ist nicht nur im Hinblick auf die Statistik im Bundeshaushalt, sondern vor allem auf den Aufgabenzuwachs beeindruckend.  

 

Im Sinne eines kooperativen Kulturföderalismus hat Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien im Zusammenwirken mit dem Deutschen Bundestag und den Ländern an vielen Stellen maßgebliche Impulse durch ihre Förderpolitik gesetzt. Hilfe zur Selbsthilfe und Förderung dort, wo Kommunen und Länder nicht hinreichend dazu in der Lage waren, sowie die originären Bundesaufgaben, wie z. B. die dringend notwendige und erfolgte Aufstockung des Etats der Deutschen Welle, kennzeichnen die beispiellos erfolgreiche Amtszeit der Kulturstaatsministerin, Monika Grütters, und ihres Vorgängers im Amt, Bernd Neumann. 

 

Die seit dem Pandemieausbruch im März 2020 stetig angepassten und erweiterten Überbrückungsmaßnahmen der Coronahilfen haben insbesondere den nicht institutionell abgesicherten Kulturschaffenden ebenso wie der Veranstaltungswirtschaft Perspektiven zum beruflichen Überleben eröffnet. Die erfolgreiche Umsetzung der über 60 Teilprogramme von NEUSTART KULTUR wären ohne die fachliche wie organisatorische Mitarbeit der Zivilgesellschaft nicht realisierbar gewesen. So hat auch der Deutsche Musikrat mit seinem Förderprogramm Landmusik, dem Stipendienprogramm Klassik und dem Förderprogramm zur Digitalisierung des Musikfachhandels in Zusammenarbeit mit der Society Of Music Merchants (SOMM) seinen Beitrag dazu geleistet, ebenso wie einige seiner Mitgliedsverbände. 

 

Die wirkungsvolle Unterstützung der Bundeskanzlerin für das Kulturressort in ihrem Haus hinter den Kulissen hätte eine deutlichere Positionierung von Angela Merkel im öffentlichen Raum zu der zentralen Rolle von Kultur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt über ihre gesamte Regierungszeit gut vertragen können.  

 

Dieser Wunsch des Musiklebens, das demokratierelevante Fundament unseres Zusammenlebens, die kulturelle Vielfalt, stärker in das öffentliche Bewusstsein zu rücken, dokumentiert sich auch in dem soeben von der Mitgliederversammlung des Deutschen Musikrates einstimmig verabschiedeten 7. Berliner Appell. Unter der Überschrift Musik ist unser aller Leben – Acht Forderungen an die Parteien, Parlamente und Regierungen in den Kommunen, Ländern und Bund“ fordert der Deutsche Musikrat: 

  1. die Selbstverpflichtung der Kommunen und Länder zur Sicherung der Kulturausgaben für die Haushaltsjahre 2022 bis 2025 mindestens auf dem Stand der Haushaltsansätze 2020 zuzüglich der entsprechenden Tarifvorsorge und des Inflationsausgleichs,
  2. die nachhaltige Sicherung der freien Musikerinnen und Musiker durch eine Arbeitslosenversicherung, Honorarstandards und eine verstärkte, auf Mehrjährigkeit angelegte Förderung der freien Ensembles,
  3. den Einsatz der künstlerischen Schulfächer und des Sports als die zentralen Eingangsfächer schulischen Erlebens für alle Jahrgangsstufen und Schularten, 
  4. die zugangsoffene Sicherstellung der Arbeit der öffentlichen und freien Musikschulen für alle Bevölkerungsgruppen auf den Qualitätsgrundlagen der Fachverbände,
  5. die ausreichende Unterstützung der Chöre und Orchester im Bereich Amateurmusik zur Ermöglichung von kultureller Teilhabe für breite Bevölkerungskreise,
  6. die stärkere Berücksichtigung der Musikwirtschaft als mitgestaltender Teil unserer kulturellen Vielfalt in den gesetzgeberischen Rahmenbedingungen wirtschaftlichen Handelns, insbesondere in Bezug auf die kleineren und mittelständischen Betriebe,
  7. eine Bundeskulturstatistik, auf deren Datengrundlage vorausschauende Bildungs- und Kulturpolitik gestaltet werden kann,
  8. den neuen Bundestag auf, das Staatsziel Kultur in das Grundgesetz mit dem Satz Der Staat schützt und fördert die Kulturaufzunehmen

 

Dieser Forderungskatalog verdeutlicht die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für die bildungskulturelle Infrastruktur in unserem Land. Es geht um eine nachhaltige Struktursicherung und Entwicklung auf allen föderalen Ebenen, die sich auf das Kerngeschäft politischen Handelns konzentriert: die Gestaltung von Rahmenbedingungen. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben es jetzt gemeinsam mit der künftigen Bundesregierung in der Hand, dem Anspruch von Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik gerecht zu werden.  

 

Dazu bedarf es zum einen einer viel intensiveren Zusammenarbeit zwischen dem Bund, den Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden, die von dem Geist einer gesamtstaatlichen Verantwortungsgemeinschaft für die kulturelle Vielfalt im Sinne der gleichnamigen UNESCO-Konvention getragen wird. Hierzu gehört eine viel aktivere Rolle der Kulturministerkonferenz, die bei ihrer Gründung als Tiger gestartet und leider derzeit als Bettvorleger gelandet ist. Zum anderen bedarf es eines klaren Signals des Bundes, dass Kulturpolitik eine Querschnittsaufgabe mit den entsprechenden Kompetenzzuweisungen ist. Strukturell könnte sich das als Kulturministerium im Bundeskanzleramt widerspiegeln, um einerseits den Bedenken der Länder gegen ein Bundeskulturministerium entgegenzukommen und andererseits das Kulturressort endlich mit einem vollumfänglichen Kabinettsrang auszustatten. Damit wären die formalen Voraussetzungen geschaffen, eigene Gesetzesvorlagen in das Kabinett einzubringen. Der Anspruch, Kultur als Querschnittsaufgabe anzuerkennen, ließe sich nur mit dem Recht einer Kulturverträglichkeitsprüfung aller relevanten Kabinettsvorlagen vor deren Einbringung in das Kabinett verwirklichen. Da die für das Kulturleben relevanten Themen auf etliche Bundesministerien verteilt sind, bestünde hier die Chance einer Bündelung und Stärkung der Querschnittsaufgabe Kultur.  

 

Es ist höchste Zeit, die Prioritäten im politischen Handeln für die Kultur neu zu setzen! Die musikalische Bildung und kulturelle Teilhabe müssen für alle gesichert sein, selbständige Musikerinnen und Musiker müssen bessere Zugänge zu den Sozialsystemen erhalten, freie Ensembles nachhaltiger gefördert werden. Denn nur so kann die kulturelle Vielfalt bewahrt werden. Dazu bedarf es nicht nur der Worte, sondern der Taten: durch eine Selbstverpflichtung der Kommunen und Länder und eine stabile Finanzierung des Kulturlebens. Denn: Kultur bestimmt unser Zusammenleben. 

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2021-01/2022.

Christian Höppner
Christian Höppner ist Generalsekretär des Deutschen Musikrates und Präsident des Deutschen Kulturrates a. D. Er unterrichtet Violoncello an der Universität der Künste Berlin.
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