Kulturschaffende ins Zentrum der Kulturpolitik

Verlässliche Finanzierung für eine freie Kultur

Während wir diesen Beitrag schreiben, sitzen die Chefverhandlerinnen und –verhandler einer möglichen Ampelkoalition zusammen, die Verkehrsregeln einer zukünftigen Kulturpolitik sind noch reine Spekulation. Zeit für uns, Visionen einer Kulturpolitik zu formulieren, die Kulturschaffende ins Zentrum rückt.  

 

In die Regierungszeit von Angela Merkel fiel die Veröffentlichung des Enquete-Berichts Kultur in Deutschland“ 2007, der Kultur als Wirtschaftsbereich und Kulturschaffende als Teil einer Wertschöpfungskette markierte. Die Kommission machte deutlich, Kulturpolitik muss auch die Rahmenbedingungen von Kulturschaffenden im Blick behalten.  

 

Doch einer Verbesserung der ökonomischen und sozialen Lage von Kulturschaffenden sind wir seit Veröffentlichung des Berichts nicht merklich nähergekommen. Seit 2005 lag die Verantwortung für die Bundeskultur- und Medienpolitik in der Hand von CDU-Politikerinnen und -Politikern. Die jetzt scheidende Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, erstritt mehr Geld für die Bundeskultur, dachte Geschlechtergerechtigkeit in der Kulturbranche mit und erhob immer wieder – auch während der Pandemie – hörbar ihre Stimme für Kunst und Kultur. Dafür, dass Kultur auch Arbeit ist, die unter teils hochprekären Bedingungen stattfindet, hat auch sie keine Verantwortung übernommen.  

 

Kulturpolitik ist auch Arbeitspolitik 

 

Das Arbeiten im Kulturbereich ist an vielen Stellen schlecht entlohnt und schlecht abgesichert. Ob Fördergelder in hochprekäre Soloselbständigkeit oder tariflich abgesicherte Vollzeitbeschäftigung fließen, ist der Kulturpolitik in Bund und vielen Ländern bislang weitgehend egal. In den letzten Jahren haben sich Bundeskulturpolitikerinnen und -politiker weggeduckt hinter Föderalismus, fehlender Zuständigkeit und geringen Einflussmöglichkeiten. Wir erwarten, dass sich das ändert. Da muss ich unsere Arbeitsrechtsspezialistin fragen“ darf keine Ausrede von Kulturpolitikerinnen und -politikern sein. Ökonomische Fragen aus der Kulturpolitik auszuklammern ist geradezu zynisch. 

 

Kulturpolitik muss endlich anfangen, konsequent mitzudenken, dass Kultur von Menschen gemacht wird. Kultur ist Arbeit – es ist die Aufgabe von Kulturpolitik, Rahmenbedingungen zu ermöglichen, in denen Kulturschaffende von ihrer Arbeit gut leben können.  

 

Kulturschaffende ins Zentrum der Kulturpolitik 

 

Zwei ganz konkrete Vorschläge liegen auf dem Tisch – obwohl und gerade weil sie da zum Teil schon lange liegen, gilt es jetzt: umsetzen! Wir brauchen eine verbindliche Ausstellungsvergütung für Bildende Künstlerinnen und Künstler. Branchenspezifische Honoraruntergrenzen müssen zur Voraussetzung für Förderzusagen werden.  

 

Darüber hinaus stehen in der nächsten Legislaturperiode verschiedene Regulierungsvorhaben an, die die Arbeitsbedingungen von Kulturschaffenden unmittelbar betreffen. Wir brauchen Kulturpolitikerinnen und -politiker, die bei diesen Vorhaben mitreden. Die z. B. einfordern, dass die vielschichtigen Erwerbsbiografien von Künstlerinnen und Künstlern mitgedacht werden, wenn es um die Weiterentwicklung sozialer Sicherungssysteme geht. Kulturpolitik muss Verantwortung für die Arbeitsbedingungen von Kulturschaffenden übernehmen. 

 

Wir erwarten von einer zukünftigen Kulturpolitik auch, die Interessen der Urheberinnen und Urheber konsequent im Blick zu behalten: Anstehende Entscheidungen, etwa zu E-Lending oder digitalen Plattformen, dürfen nicht primär aus Verbraucherperspektive und aus bildungspolitischen Überlegungen gefällt werden.  

 

Ohne Schriftstellerinnen, Übersetzer, Musikerinnen und andere Kreative gibt es keine Kultur, die in Stadtteilbibliotheken allen sozialen Milieus
zugänglich gemacht werden kann,
und keine Inhalte, mit denen Spotify und YouTube ihr Geschäft machen können.  

 

Liebe Kulturpolitikerinnen und -politiker der Zukunft: Traut euch mitzureden, wenn Arbeits-, Justiz-, Digital- und Wirtschaftspolitik die Rahmenbedingungen gestalten, in denen Kultur stattfindet. Liebe Bundesregierung: Versetzt eure Kultur-Kolleginnen und -Kollegen in die Lage, mitentscheiden zu können und gebt ihnen ein Bundeskulturministerium. 

 

Kultur muss zuverlässig finanziert werden, auch dort, wo das Geld fehlt  

 

Die Coronapandemie hatte von Beginn an katastrophale Auswirkungen auf die Situation von Kulturschaffenden. Jetzt, im Herbst 2021, werden in den ersten Bundesländern erneut Einschränkungen der Arbeitsmöglichkeiten für Kulturschaffende angeordnet.  

 

Es ist zu befürchten, dass eine Spätfolge der Pandemie massive Kürzungen im Kulturbereich sein werden. Kommunen und Länder werden in ihren Haushalten den Rotstift ansetzen und die Erfahrung zeigt, schnell wird in solchen Situationen bei der Förderung von Kultur als freiwillige Aufgabe gespart.  

 

Wenn die Hilfsprogramme auslaufen, wird sich die strukturelle Unterfinanzierung in verstärkter Brutalität zeigen. Bundeskulturpolitikerinnen und -politiker dürfen sich jetzt nicht wegducken 

 

Wir erwarten, dass bundespolitische Lösungen gefunden werden, um kulturelle Kahlschläge in strukturschwachen Kommunen zu verhindern. Kultur muss verlässlich finanziert werden, damit sie frei sein kann. 

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2021-01/2022.

Lisa Basten und Lisa Mangold
Lisa Basten forscht und publiziert zu Arbeitsbedingungen von Kreativen. 2021 hat sie den Bereich "Kunst und Kultur"bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di übernommen. Lisa Mangold ist Gewerkschaftssekretärin bei ver.di auf Bundesebene und dort für Kunst und Kultur zuständig.
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