Wann wird’s mal wieder richtig Sommer?

Und wann endet diese vermaledeite Pandemie endlich?

Die Älteren unter den Leserinnen und Lesern werden sich vielleicht an den von Rudi Carrell gesungenen Schlager „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer, Ein Sommer, wie er früher einmal war?“ erinnern. Und irgendwie entfährt auch uns manchmal dieser Seufzer, wann wird es endlich so wie früher? Wann endet diese vermaledeite Pandemie endlich? Wann sind wieder Treffen möglich? Wann endlich können die Theater, Museen und vielen anderen Orte der Kultur endlich wieder öffnen? Und wann, wann wird ein Normalzustand eintreten?

 

Zuerst einmal gelten ab dem 23.04.2021 verbindlich und bundeseinheitlich Regeln, was bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 je 100.000 Einwohner in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt gilt. Es ist richtig und war absolut notwendig, dass mit der Reform des Infektionsschutzgesetzes bundesweite Regelungen zur Eindämmung der Pandemie verabschiedet wurden. Die Maßnahmen werden hoffentlich schnell Wirkung zeigen.

 

Im neuen § 28b des Infektionsschutzgesetzes ist ab einer Inzidenz von 100 geregelt:

 

  • dass Ausgangssperren von 22.00 Uhr bis 5.00 Uhr gelten,
  • dass Freizeiteinrichtungen, wozu auch Diskotheken und Clubs zählen, geschlossen sein müssen,
  • dass Ladengeschäfte geschlossen werden müssen, es sei denn, sie bieten Waren des täglichen Bedarfs an, wozu auch Buchhandlungen zählen,
  • dass Kultureinrichtungen, namentlich Theater, Opern, Konzerthäuser, Bühnen, Musikclubs, Kinos mit Ausnahme von Autokinos, Museen, Ausstellungen und Gedenkstätten, für das Publikum nicht öffnen dürfen. Probebetrieb beispielsweise in Theatern ist möglich und Filme können unter strengen Hygieneauflagen gedreht werden. Ebenso kann in Museen weitergearbeitet werden.

 

Aber nicht alle Regelungen im neuen Infektionsschutzgesetz sind konsistent, das gilt insbesondere für Außenaktivitäten. Dass bei einer Inzidenz von mehr 100 grundsätzlich keine Open-Air-Kulturveranstaltungen, selbst unter strengsten Hygienevorgaben, durchgeführt werden dürfen, ist nicht nachvollziehbar. Leider ist es nicht gelungen hierfür eine Regelung im Gesetz zu verankern.

 

Die Außenanlagen von Botanischen Gärten und Zoos dürfen jedoch auch bei Inzidenzen über 100 öffnen. Das sei ihnen von Herzen gegönnt und ist gerade auch in großen Städten, in denen viele Menschen beengt leben, sehr wichtig. Allerdings gilt mit Blick auf die Kultur zu berücksichtigen, dass in der Gesetzesbegründung zu § 28 a, Abs. 2 Nr. 7 des Infektionsschutzgesetzes auf den Werk- und Wirkbereich der Kunstfreiheit explizit eingegangen wird. Die Kultur wird durch Art. 5, Abs. 3 des Grundgesetzes, also durch die Kunstfreiheit, besonders geschützt. Ähnlich den Religionsgemeinschaften, die aufgrund ihres besonderen grundgesetzlichen Schutzes einer Sonderregelung unterliegen, wäre dies auch für Kulturveranstaltungen unter freiem Himmel wünschenswert gewesen.

 

Zumal mit dem Kultursommer 2021, einem Programm der Kulturstiftung des Bundes aus Mitteln von NEUSTART KULTUR, im Freien stattfindende Kulturveranstaltungen in Kommunen und Landkreisen gefördert werden sollen. Mit diesem Programm sollen neue bzw. zusätzlich entwickelte Kulturprogramme im öffentlichen Raum unterstützt werden, die ab Juni 2021 veranstaltet werden. Das Programm soll insbesondere dazu dienen, lokalen und regional arbeitenden Künstlerinnen und Künstlern sowie freien Gruppen Präsentationsmöglichkeiten zu bieten, freie Akteure breit zu beteiligen, Angebote für ein junges Publikum zu unterbreiten und anderes mehr. Antragsberechtigt waren Städte und Landkreise. Zahlreiche Bewerbungen mit spannenden Konzepten wurden eingereicht und die Jury hat die schwierige Qual der Wahl, die zur Verfügung stehenden 30,5 Millionen Euro an die Richtigen zu vergeben.

 

Föderalismuskrise

 

Dennoch eines darf nicht vergessen werden, dass eine Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes und eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich wurden, liegt in erster Linie daran, dass das vorherige Verfahren immer schlechter funktionierte. Zwar einigten sich die Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen und die Bundeskanzlerin in zähen, über Stunden dauernden Verhandlungen auf ein gemeinsames Vorgehen, doch kaum gingen die Verantwortlichen auseinander, verkündete der eine oder andere Ministerpräsident oder Ministerpräsidentin, im eigenen Land doch anders zu verfahren. Es gipfelte schließlich in der vor Ostern beschlossenen Osterruhe, die einen Tag später wieder zurückgenommen wurde.

 

Ja, das Infektionsgeschehen zwischen den Ländern ist unterschiedlich, aber auch innerhalb der Länder kann keineswegs von einem einheitlichen Bild gesprochen werden. Diese Unterschiedlichkeit darf aber nicht dazu führen, dass eigene Beschlüsse im Handumdrehen revidiert werden.

 

Das Handeln des Bundes offenbart das mangelnde Handeln der Länder. Sie hätten es in der Hand gehabt, durch konsequentes Umsetzen oder auch Verschärfen von Regeln das Infektionsgeschehen in Schach zu halten. Hamburg beispielsweise hat schon am 2. April eine nächtliche Ausgangssperre angeordnet und die Erfolge sind inzwischen (Stand 22. April) an sinkenden Inzidenzen abzulesen. Die Ausgangssperre ist sicherlich nur ein Erfolgsfaktor, dass er wirken kann, war aber auch in anderen europäischen Ländern zu sehen. Als die Kanzlerin im Fernsehen verkündete, eigene Schritte zu überlegen, sollten die Länder nicht aktiv werden, hätten die Länder eigentlich schnell gemeinsam und einheitlich Regeln vereinbaren und umsetzen müssen, was bei einer Inzidenz über 100 gilt. Sie hätten zeigen können, dass sie willens und fähig sind, gemeinsam diese Pandemie zu bekämpfen. Leider scheint dieser gemeinsame Wille nicht vorhanden zu sein. So lockert der eine und erklärt gleich ein ganzes Bundesland zu einem Modellprojekt und der andere verschärft. Den Durchblick, was wo wann und warum gilt, hat kaum noch jemand.

 

Seit einem Jahr ist immer wieder die Rede davon, dass durch die Pandemie Schwachstellen oder Dysfunktionalitäten sichtbar werden. Auch wir haben immer wieder Beispiele aus dem Kulturbereich angeführt. Deutlich sichtbar werden ebenfalls die Dysfunktionalitäten im Föderalismus. Mehr Gesamtverantwortung für das Gemeinwesen, das nicht an der eigenen Landesgrenze endet, wäre der Schritt der Länder in die richtige Richtung. Doch das ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, der Buhmann ist gefunden, der Bund ist schuld und vor allem übergriffig. Schade, mehr Gemeinsinn wäre eigentlich das richtige Signal in einer Zeit, die allen viel abverlangt.

Was fehlt?

 

Kultur fehlt schmerzlich. Sie fehlt allen Menschen, die in Kultureinrichtungen, Kulturunternehmen oder freien Szene arbeiten. Viele hangeln sich von Fördermaßnahme zu Fördermaßnahme, leihen sich Geld von der Familie oder brauchen die bescheidenen Rücklagen auf, um über die Runden zu kommen. Viel Zeit und Energie, die eigentlich in neue künstlerische Projekte und Vorhaben fließen müsste, muss für die Beantragung von Wirtschaftshilfen, Neustarthilfen, Stipendien und anderes mehr verwandt werden. Und davor steht zuerst das Durchkämmen der Antragsmodalitäten, F & Q’s und anderes mehr. So mancher resigniert. Nicht zuletzt auch, weil ein Lebensexilier der – künstlerische – Austausch mit anderen und der Kontakt mit dem Publikum fehlt. Die daraus entstehende Verzweiflung ist sehr gut nachvollziehbar.

 

Kultur fehlt aber der gesamten Gesellschaft. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“, dieses Sprichwort bekommt eine ganz neue Dimension in der Pandemie. Es geht um das Zusammenleben, um Begegnungen, um den Austausch. Gerade in Kunst und Kultur werden die wesentlichen Themen des Zusammenlebens verhandelt, Angst, Sorge, Freude, Lust, Liebe und anderes mehr. Diese Auseinandersetzung findet fast nur noch in audiovisuellen Medien statt. Der direkte Austausch, das gemeinsame Erleben, sind nicht möglich, damit fehlt auch wichtiges Ventil der Auseinandersetzung.

 

Es ist darum für die gesamte Gesellschaft zentral, dass möglichst bald wieder Kunst und Kultur öffentlich zugänglich sind. Um uns selbst und untereinander zu vergewissern.

 

Wo bleibt das Positive?

 

Positiv ist, dass es mit dem Impfen langsam, aber stetig vorangeht. Hier scheint der Wettbewerb zwischen den Ländern zu gelingen, denn jeder möchte deutscher Impfmeister werden. Sehr erfreulich ist auch, dass die Mittel aus NEUSTART KULTUR auch im Jahr 2022 verwendet werden dürfen und die Abrechnung im Jahr 2023 erfolgen kann. Vielen Programmverantwortlichen wird ein Stein vom Herzen gefallen sein, bestand doch die Sorge, dass in diesem Jahr sehr viel Geld ausgeschüttet werden muss und dafür im kommenden Jahr aufgrund der Bundestagswahl und der abzusehenden vorläufigen Haushaltsführung keine neuen Programme aufgelegt werden können. Jetzt besteht die Möglichkeit, auf längere Sicht, Programme anzulegen und damit dem Kulturbereich eine Perspektive auch nach der unmittelbaren Krise zu geben.

 

Wie hat Rudi Carrell gesungen: „Nur wann- und diese Frage geht uns alle an: Wann wird’s mal wieder richtig Sommer? Ein Sommer wie er früher einmal war.“ Wir geben nicht auf: der Sommer wird kommen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2021.

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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