Schutzschirm auch für die Kultur

Stadtkultur bewahren

Die Kultur ist nicht nur baulich oder durch die Vielfalt ihrer Angebote prägend für das Stadtbild und das Leben in der Stadt. Jeder und jede ist – in welcher Form auch immer –kulturell aktiv und nimmt am kulturellen Leben vor Ort teil. Kulturpolitik und die Förderung von Kultur sind seit jeher ein unverzichtbarer Teil integrierter Stadtpolitik und kommunaler Daseinsvorsorge. Knapp die Hälfte aller öffentlichen Ausgaben für die Kultur in Deutschland werden von den Kommunen geleistet. Vor allem die größeren Städte verfügen über eine ausdifferenzierte kulturelle Infrastruktur, die wesentlich durch öffentliche Einrichtungen, wie z. B. Theater, Museen, Bibliotheken, Musikschulen oder Volkshochschulen, aber auch durch eine Vielzahl freier und privater Kultur geprägt wird. Kultur in der Stadt ist mehr als Kultur von der Stadt. Die Kulturangebote der Städte strahlen in das Umland hinaus und sind vielfach prägend für die ganze Region. Sie tragen wesentlich zum Profil einer Stadt, zur Identitätsbildung und zum interkulturellen Verständnis innerhalb der (Stadt-)Gesellschaft bei.

 

Angesichts dieser zentralen Rolle der Kultur sind ihre Akteure und Infrastruktur – öffentliche wie insbesondere auch freie – staatlicherseits in der gegenwärtigen Krisensituation zu schützen. Es muss verhindert werden, dass Strukturen unwiederbringbar wegbrechen.

 

Staatliche Unterstützung für die Kultur

 

Der Kulturbereich ist von den mit der Corona-Pandemie verbundenen Restriktionen massiv betroffen. Die Kultureinrichtungen sind komplett im Sinne eines „Shutdown“ geschlossen. Die Versammlung von Menschen auch zu kulturellen Zwecken ist zur Verhinderung der weiteren Verbreitung des Virus untersagt. Vorstellungen und Angebote fallen aus, Einnahmen fehlen nahezu vollständig, die Kosten für Personal, Miete, den Betrieb, Steuervorauszahlungen, Versicherungen etc. laufen jedoch unvermindert weiter. Die Einrichtungen rutschen in kurzer Zeit in ein erhebliches Defizit, das deren Existenz bedroht. Bei den staatlichen und kommunalen Einrichtungen werden die öffentlichen Träger die Defizite tragen müssen, verbunden mit der Folge, dass die kommunalen Haushalte belastet und es je nach Lage zu nicht unerheblichen Einschränkungen der Kulturförderung kommen kann.

 

Noch kritischer sieht die Lage bei den Einrichtungen der Freien Szene aus. Hier wird vielfach ökonomisch am Limit gearbeitet. Sie geraten bereits nach kurzer Zeit der Schließung in eine existenzbedrohende Lage.
Gleiches gilt auch für die Kultur- und Kreativwirtschaft, die in Deutschland in den Bereichen Design, Architektur, Film, Verlagswesen, Software und dergleichen zunehmend einen erheblichen Anteil des Bruttosozialproduktes erwirtschaftet und einen bedeutenden Bestandteil unserer Wirtschaft darstellt. Die Kulturwirtschaft ist von der Struktur ein Branchenkomplex, der durch Mikrounternehmen und freiberufliche Büros geprägt ist. Er ist ebenso anfällig für kurzfristige Liquiditätsengpässe durch wegbrechende Aufträge und zurückgehende Geschäftstätigkeit.

 

Vor diesem Hintergrund sind jetzt kurzfristige staatliche Hilfen dringend gefordert. Die Kultur mit ihren öffentlichen und freien Einrichtungen sowie Unternehmen ist systemrelevant. Die Hilfen müssen schnell, unbürokratisch und zielgerichtet an die Empfänger geleitet werden, um Liquidität zu sichern, soziale Härten nach Möglichkeit zu vermeiden und damit Existenzen und

 

Strukturen für die Zukunft zu sichern.

 

Aus kommunaler Sicht ist dies besonders dringlich, denn in den Kommunen werden sich ansonsten die Folgen zeigen – politisch, kulturell, gesellschaftlich und finanziell.

 

Die Dringlichkeit der Unterstützung ist in der Politik, aber auch in den Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen angekommen. Vonseiten der Kulturverbände ist ein spezifisches, auf den Kultur- und Medienbereich ausgestaltetes Förder- und Unterstützungsprogramm gefordert worden. Dazu wird es seitens des Bundes wohl nicht kommen; vielmehr arbeitet die Bundesregierung an einer Gesamtstrategie, die auch Akteuren und Einrichtungen im Kulturbereich zugutekommen soll. Dieses Vorgehen ist nachvollziehbar und der bessere Weg gegenüber einem „Sonderprogramm Kultur“, das Fragen der Rechtfertigung und der Gleichbehandlung anderer Bereiche, wie z. B. des Sports, nach sich ziehen würde. Wichtiger als Sonderprogramme erscheint, dass alle Hilfs- und Unterstützungsleistungen zielgerichtet und den besonderen Bedingungen des Kulturbereiches entsprechend schnell und unbürokratisch an die notleidenden Selbständigen gebracht werden. Die angekündigten Maßnahmen der Bundesregierung tragen einer ersten Einschätzung Rechnung. Ein wichtiger Schritt ist ein 50-Milliarden-Euro-Programm für Soloselbständige, zu denen viele Künstlerinnen und Künstler zählen sowie Klein- bzw. Kleinstunternehmen, die im Kulturbereich besonders zahlreich sind. Mit dem erleichterten Zugang zur Grundsicherung für einen befristeten Zeitraum oder die Aufhebung von Einschränkungen, wie das vorherige Aufbrauchen bestehender Rücklagen, wird der besonderen Situation von Künstlerinnen und Künstlern Rechnung getragen. Auch die im Mietrecht vorgesehenen befristeten Änderungen können Kultureinrichtungen über diese schwere Zeit helfen. Auch die Unterstützungsmaßnahmen der Länder gehen in die gleiche Richtung. So hat z. B. das Land Nordrhein-Westfalen eine Soforthilfe für Kultur- und Weiterbildungseinrichtungen auf den Weg gebracht.

 

Kommunale Maßnahmen

 

Die Kommunen werden im Zuge der von Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen durch Einnahmeausfälle, z. B. in der Gewerbesteuer, einen gewaltigen Teil der Kosten zu tragen haben. Sie können darüber hinaus einen wirksamen Beitrag zur Stabilisierung und zum Erhalt ihrer kulturellen Infrastruktur vor Ort leisten. Viele Städte werden ihre bereits bewilligten bzw. derzeit noch in Prüfung befindlichen Förderungen auszahlen, auch dann, wenn Veranstaltungen und Projekte ausfallen oder verschoben werden. Geprüft werden sollte, ob bereits zugesagte institutionelle Förderungen für mehrere Quartale gleichzeitig ausgezahlt werden können, um die Liquidität der Einrichtungen zu sichern. Die Stadt Köln hat z. B. angekündigt, so zu verfahren und von kommunaler Seite Liquiditätshilfen aufzustocken. Eine wichtige kommunale Maßnahme ist, den Künstlerinnen und Künstlern dabei zu helfen, an den Unterstützungsmaßnahmen von Bund und Ländern zu partizipieren und sie als „Lotse“ durch die verschiedenen Programme zu begleiten.

 

Solidarität des Publikums

 

Auch das Publikum von Kulturveranstaltungen und Events kann einen solidarischen Beitrag zur Unterstützung leisten: Die Veranstalter der Corona-virus-bedingt abgesagten lit.cologne haben appelliert, ihre Tickets bis zum neuen verschobenen Termin des Literaturfestivals zu halten. Angesichts der geschätzt etwa 80.000 abgesagten Veranstaltungen in Deutschland könnten solche Solidaraktionen spürbar helfen und dazu beitragen, Insolvenzen und Existenznot zu verhindern.

 

Die gegenwärtige „Abwesenheit“ von Kultur könnte ihre Relevanz und Bedeutung erhöhen und deutlich machen, welche Konsequenzen ein Verlust an Kultur bedeutet. Von daher besteht die Hoffnung, dass die Kultur die Krise übersteht und gestärkt aus ihr hervorgeht. Und Hoffnung ist vor allem das, was wir derzeit brauchen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.

Klaus Hebborn
Klaus Hebborn ist Kulturdezernent des Deutschen Städtetages.
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