Das Ende des kulturellen Lebens in Nordrhein-Westfalen kam nicht auf einen Schlag. Je mehr sich die Seuche ausbreitete, umso strenger wurden die von der Landesregierung und den Städten erlassenen Regeln. Am 10. März, einem Dienstag, beschloss die Landesregierung das Verbot aller Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern. Noch am Samstag zuvor waren im Mönchengladbacher Stadion die Mannschaften von Borussia Mönchengladbach und Borussia Dortmund vor 60.000 Zuschauern nur wenige Kilometer entfernt vom Kreis Heinsberg, dem deutschen Epizentrum der Corona-Epidemie, gegeneinander angetreten. Das Gesundheitsamt der Stadt hatte sich, unterstützt vom Landesgesundheitsministerium und gegen den Rat von Experten und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für die Austragung des Spiels entschieden. Nun wechselte das Land den Kurs. Damals glaubten einige Theater und Konzerthäuser noch, von der Entscheidung nicht betroffen zu sein, weil sie weniger als 1.000 Plätze hätten. Ein Irrtum: Die Gesundheitsämter der Städte setzten sich schnell durch. Ab jetzt, das machten sie klar, würde Sicherheit den Vorrang haben.
Im Laufe einer Woche beschloss eine Stadt nach der anderen immer strengere Regeln für Konzerte und Kleinkunstbühnen. Die Kneipen und viele Clubs hatten noch geöffnet, als Konzerte auf Auftritte abgesagt wurden. Am 13. März schloss das Land dann all seine Theater und Museen. Die Städte folgten ihm schnell. 5.000 Kultureinrichtungen im Land wurden nun geschlossen, Festivals und Konzerte abgesagt. Der Vorhang war gefallen. King Corona hatte die Kultur besiegt.
Yilmaz Dziewior, der Direktor des Kölner Museum Ludwig, erfuhr an diesem Freitag um 17:55 Uhr von der Entscheidung des Landes: „Ich musste als Erstes an unsere Aufsichten denken, denn die sind bei einer Fremdfirma und nicht bei der Stadt angestellt. Sie werden nur nach geleisteten Arbeitsstunden bezahlt.“ Gemeinsam mit der Stadt fand sich schließlich eine soziale Lösung.
Die Schließung aller Museen findet Dziewior richtig: „Wir alle müssen unsere Sozialkontakte auf das Nötigste reduzieren. Kunst ist, auch gesellschaftlich, sehr wichtig. Aber momentan sind andere Dinge noch wichtiger und die müssen am Laufen gehalten werden.“ Nicht nur der Normalbetrieb sei nun zum Stillstand gekommen. „Wir haben die Ausstellung: ‚Mapping the Collection‘ und den Wolfgang-Hahn-Preis verschoben.“
Der kulturelle Shutdown, da ist sich der Museumsdirektor sicher, wird auch finanzielle Folgen haben: „Alle, auch wir, werden große Einbußen haben.“
Das sieht auch der Bochumer Comedian Hennes Bender so. Er wurde von dem Shutdown überrascht: „Mit so etwas hat wohl niemand gerechnet. So was kennt meine Generation nur aus Filmen.“ Für ihn und andere selbständige Künstler werden die Konsequenzen hart sein: „Wir sind Freiberufler. Wenn wir nicht arbeiten, verdienen wir nichts. So einfach ist das.“ Bender nutzt die auftrittsfreie Zeit, um an zwei Ruhrgebiets-Asterix-Bänden zu arbeiten und Podcasts, unter anderem mit Torsten Sträter, zu machen. „Da das aber im Moment jeder Kollege bedient, fürchte ich, dass bald eine Übersättigung eintreten wird.“
Mareile Blendl ist Schauspielerin. Die Düsseldorferin hat nicht nur Probleme mit dem kompletten Ausfall ihrer Einnahmen: „Ich vermisse alles, sogar das Textlernen! Und an ein Set zu kommen, neue Kollegen kennenzulernen, mit einem Team zu arbeiten, Mittagspause zu machen, im ICE zu Theatervorstellungen anzureisen und das Gemurmel aus dem Publikum, bevor im Theatersaal das Licht ausgeht und diese ganz bestimmte Konzentration einsetzt, wenn eine Vorstellung beginnt.“ Ihre größte Befürchtung ist, dass es zuerst all diese „kleinen, feinen Projekte trifft, in denen so viel Herzblut steckt“.
Das seien oft Lebenswerke, in die Begeisterung und Mut investiert wurden. „Dass ausgerechnet ihr Mut jetzt so vielen Kulturschaffenden zum Verhängnis wird, das nehme ich dem Virus echt persönlich.“
Das Land NRW teilt auf Anfrage dieser Zeitung mit, dass es zu verhindern gilt, dass die Corona-Pandemie zu einer Krise der Kultur führe. Dafür wurde viel Geld in die Hand genommen: Das Landeskabinett hat die rechtlichen Grundlagen für einen übergreifenden Rettungsschirm in Höhe von 25 Milliarden Euro geschaffen, um Einnahmeverluste aufgrund der Corona-Krise abzufedern und Liquiditätshilfen zu geben. Mit einer Soforthilfe in Höhe von zunächst fünf Millionen Euro unterstützt die Landesregierung freischaffende, professionelle Künstler, die durch die Absage von Engagements in finanzielle Engpässe geraten. Sie erhalten eine existenzsichernde Einmalzahlung in Höhe von bis zu 2.000 Euro.
Das Kulturministerium hofft, „dass die Auswirkungen auf die Kulturszene mit den auf Landes- und Bundesebene getroffenen Maßnahmen so gering wie möglich gehalten werden können“. Die Künstler und ihr Publikum werden diese Hoffnung teilen. Wie die Wirklichkeit aussehen wird, bleibt abzuwarten.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.