Eine nie zuvor erlebte Katastrophe

Corona verursacht auch im Südwesten verheerende Schäden in der Freien Kulturszene

Rollladen heruntergelassen, Veranstaltungsplakate sind mit „Abgesagt“ überklebt. Am KOHI Kulturraum e.V., einem kleinen soziokulturellen Zentrum in Karlsruhe, klebt ein Zettel, dass derzeit Veranstaltungen in geschlossenen Räumen verboten sind. Weiter heißt es: „Support your Club!“, gefolgt von dem Aufruf, dass Unterstützer am besten festes und damit regelmäßig zahlendes Mitglied im Verein werden sollten. Denn wenn in den Corona-Wochen die Einnahmen wegbrechen, könnte im KOHI, wo ansonsten Poetry Slams und Live-Musiken „abseits etablierter Kulturstätten“ aufgeführt werden, bald die finanzielle Not ausbrechen. Schmerzhaft ist es vor allem für die Künstlerinnen und Künstler, die hätten auftreten sollen. Ob sie oder das KOHI Unterstützung von Stadt, Land, Bund bekommen – alles offen!

 

Viele Freischaffende der Darstellenden Künste sind in eine schwere Katastrophe geraten. „Besonders hart trifft es wohl das ohnehin oft schwach gestellte Kinder- und Jugendtheater, das seine Einnahmen aus Verpflichtungen an Kindergärten, Schulen und Bibliotheken generiert“, vermutet Alexander Opitz, Geschäftsführer beim LaFT – Landesverband Freie Tanz- und Theaterschaffende Baden-Württemberg e.V. Hoch emotionale Telefonate hat Opitz in diesen Tagen zu führen. Es herrscht Verzweiflung, Tränen fließen. Weil die Veranstaltungen von Landesseite aus verboten werden, haben die Anbieter, sprich die Freischaffenden, kein Anrecht auf Ausfallzahlungen. „Das ging noch am Anfang, als der eine oder andere Veranstalter von sich aus abgesagt hat“, sagt Opitz. Angst und Ungewissheit grassieren, was noch kommen wird. Die Verordnung zum Infektionsschutz gilt in Baden-Württemberg vorerst bis zum 15. Juni, kann frühestens ab 19. April beendet, aber ebenso auch über den Sommer hinaus ausgeweitet werden. Der entsprechende Erlass in Rheinland-Pfalz gilt zunächst bis Ende der Osterferien, kann jedoch ebenfalls verlängert werden.

 

„Die wenigsten unserer Branche verfügen über Rücklagen“, sagt Astrid Sacher, Erste Vorsitzende beim laprofth – Landesverband professioneller freier Theater Rheinland-Pfalz e.V. Laut Zahlen der Künstlersozialkasse beträgt das durchschnittliche Jahresnettoeinkommen der Freiberufler in den Darstellenden Künsten 18.000 Euro. Selbst in normalen Monaten heißt das, ständig von der Hand in den Mund zu leben. „Mit günstigen oder auch zinslosen Krediten wäre wahrscheinlich kaum jemandem unserer Mitglieder geholfen“, sagt Astrid Sacher im Hinblick auf Forderungen an die Politik, die in den kommenden Tagen konkret formuliert werden müssen. Der Staat hat den Kulturschaffenden Unterstützung in Aussicht gestellt. Wobei der rheinland-pfälzische Kulturminister Konrad Wolf bei allen Bemühungen um Härtefall-regelungen für Kultureinrichtungen und -veranstalter die Belange der freien Künstlerinnen und Künstler lieber an die Bundesebene weiterreichte, so zumindest sein Statement vom 12. März: „Ich werde mich dafür einsetzen, dass diese Gruppe bei den Unterstützungsmaßnahmen des Bundes besonders in den Blick genommen wird.“ Die Hoffnungen liegen hier also auf der Kulturstaatsministerin der Bundesregierung, Monika Grütters, und dem vom Deutschen Kulturrat angeregten Nothilfefonds. Unterdessen forderte der laprofth umgehend Soforthilfe und schrieb in einer Pressemitteilung: „Während sich die Freie Szene andernorts stark über Fördermittel finanziert, leben die Akteur*innen hierzulande in erster Linie vom Spielen – von Abendkasseneinnahmen und Gastspielhonoraren. Das bedeutet: Nachhaltig existenzsichernd wirken nur solche Hilfen, die auf Rückzahlungspflicht verzichten.“

 

Als starkes Zeichen wurden im Südwesten spontane Solidaritätsaktionen wahrgenommen. Für ihre freiberuflichen Kolleginnen und Kollegen zahlten beispielsweise die Mitglieder des SWR Symphonieorchesters 20.000 Euro in den von der Deutschen Orchestervereinigung eingerichteten Hilfsfonds ein. Der SWR-Orchestervorstand hoffte damit in den ersten Tagen der Corona-Einschränkungen auch, dass das gute solidarische Vorbild Nachahmer findet. Ähnlich appellierte auch die INTHEGA, die Interessengemeinschaft der Städte mit Gastspieltheater e.V., an ihre Mitglieder und an Veranstalter, mit Anbietern von Gastspielen fair und solidarisch umzugehen. Die Spielstätten in den Kommunen sollten versuchen, abgesagte Veranstaltungen zu verlegen, Neuabschlüsse zu ermöglichen oder nach Möglichkeit Ausfallhonorar zu zahlen. Rückmeldungen, ob der Appell erfolgreich war, hat die INTHEGA noch nicht. Geschäftsführer Bernward Tuchmann: „Die Kämmerer sollten diese Solidarität zulassen und dazu sind diese oft auch bereit, wenn die Bürgermeister sich deutlich positionieren.“ In Stuttgart etwa hatte Kulturbürgermeister Fabian Mayer die Stuttgarter gebeten, keine Abonnement- oder Eintrittskarten für ausgefallene Vorstellungen zurückzufordern, um vor allem den privaten Theatern und Konzertbetrieben zu helfen. Ob all so was Früchte trägt, wird man allerdings erst zur Bilanz am Jahresende sehen.

 

In den ersten Corona-Tagen hat sich Alexander Opitz vom baden-württembergischen LaFT mit Ad-hoc-Vorschlägen vollkommen zurückgenommen. Umso konkreter hat der Verband währenddessen eine Strategie erarbeitet, die sich an „Projekte“ einerseits und an „Gastspiele“ andererseits richtet. Es erging ein Schreiben an alle Künstlerinnen und Künstler, nicht nur Mitglieder, sondern an alle. Der LaFT fungiert in Baden-Württemberg als Vermittler der Fördergelder des Landes für die gesamte Freie Szene. Die Freischaffenden sollen in den kommenden Tagen Rückmeldung über ihre konkret weggefallenen Aufträge im Zeitraum bis 31. Mai geben, die Anzahl der beteiligten Personen – Techniker, Darsteller etc. – und die vereinbarten Honorare benennen und zudem Kopien der Verträge einreichen. Der LaFT prüft diese dann, um unterm Strich eine belastbare Schadenssumme nennen zu können. „Ob und wie viel jeder Einzelne als Entschädigung ausgezahlt bekommen kann, ist noch völlig unklar“, sagt Opitz. Vielleicht 50 Prozent, vielleicht mehr, vielleicht weniger? „Vom Land hieß es, dass die Künstlerinnen und Künstler nicht im Stich gelassen werden, deshalb erwarte ich hier entsprechend Unterstützung“, so Opitz. Es würde den Staat im Nachhinein umso teurer kommen, wenn von den schätzungsweise 250 freien Gruppen, Einzelkünstlerinnen und -künstlern im Land bestimmt 50 bis 70 Konkurs anmelden müssten.

 

Bei Projekten bestehen Förderungen in der Regel bis zur Generalprobe und die Gruppen müssen nachweisen, dass sie das Geld bis dahin ordnungsgemäß verwendet haben. Premieren, die nun, weil sie in die Corona-Wochen fallen, nicht stattfinden können, sind ein Problem. Sie fallen aus. Aber die Projektgelder an sich sind damit nicht in Gefahr. Der LaFT will für solche Projekte beim Land eine Art „Premieren-Durchführ-Fonds“ für die Zeit nach Corona beantragen. Es braucht Geld, um im Herbst oder später nochmals zu proben und Reise-, Übernachtungskosten und Honorare zu finanzieren, um dann die Aufführung zu realisieren. Es wäre unsinniger Kulturverlust, fertig geprobte Produktionen nicht zu zeigen. Opitz schätzt für diese Projekt-Unterstützung landesweit 250.000 Euro. Was den Bereich Gastspiele angeht, übersieht man die Zahlen noch nicht. Betroffen sind Große wie Kleine: Schauspielgruppen, Tanzcompagnien, Solo-puppenspieler etc. Alexander Opitz ist seit 2002 LaFT-Geschäftsführer: „Eine solche Katastrophe habe ich noch nie zuvor erlebt.“

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.

Sven Scherz-Schade
Sven Scherz-Schade ist freier Journalist in Karlsruhe und arbeitet unter anderem zu den Themen Kultur und Kulturpolitik für den Hörfunk SWR2.
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