Die Theater brauchen jetzt Planungssicherheit

Wie geht es weiter mit unseren Bühnen?

Die Krise um die Ausbreitung des Coronavirus betrifft das gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in Deutschland und der Welt. Angesichts der bestehenden Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung liegt es natürlich in der Natur der Sache, dass Kulturbetriebe unmittelbar betroffen sind, da sich hier Abstandsregeln nur schwer einhalten lassen. Eine Theateraufführung kann nicht im Homeoffice stattfinden. Jeder Kulturbetrieb lebt davon, dass Menschen in ihrer Freizeit gemeinsam Schönes genießen möchten und dazu natürlich auch finanziell in der Lage sein müssen. Beides, die Möglichkeit zum kulturellen Genuss, aber auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen sind derzeit akut bedroht.

 

Seit vielen Jahren engagiere ich mich neben meiner Arbeit als Abgeordnete des Deutschen Bundestages ehrenamtlich als Vorsitzende des Programmbeirats für das “Kleine Theater am Markt” in Wahlstedt. Die Spielzeit im Kleinen Theater beginnt jedes Jahr im Herbst und endet im April/Mai. Somit waren auch wir von der sofortigen Einstellung des Spielbetriebes nach Veröffentlichung des entsprechenden Erlasses des Landes Schleswig-Holstein betroffen. Frei verkäufliche Veranstaltungen und auch sämtliche Theaterabende im Rahmen unseres Schauspiel-Abos mussten ausfallen.

 

Die Planung der Spielzeit für die Saison 2020/21 war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen, das Programmheft wäre unter normalen Umständen heute bereits gedruckt und versandt. Karten für die folgende Spielzeit verkaufen wir traditionell ab dem 1. Juni eines jeden Jahres – persönlich im Theater oder in zunehmendem Maße über unsere Internetpräsenz. Die Fragen, die mich und alle anderen ehrenamtlich Engagierten in erster Linie beschäftigen, sind: Wie geht es nun weiter? Reicht es, den Vorverkauf auf September zu verschieben? Können wir unser Theater zum Herbst wieder wie gewohnt öffnen? Mit welchen langfristigen Folgen müssen wir rechnen?

 

Wir brauchen vor allem Planungssicherheit: Für uns, für unsere Zuschauer, aber auch für unsere Partner, wie die Technikfirma, die für Licht und Ton sorgt. Das gilt natürlich auch für unseren hauptamtlichen Bühnenmeister, für die Agenturen, mit denen wir seit vielen Jahren zusammenarbeiten, und natürlich für die vielen Künstler, die bei uns auftreten und die uns besonders am Herzen liegen. Wie also geht es im Herbst weiter? Im Grunde gibt es nach meinem Verständnis zwei Möglichkeiten:

 

Die Einrichtung eines Spielbetriebs mit Hygieneauflagen

 

Unser Haus hat 400 Plätze. Bei Einhaltung der momentan überall gültigen Hygieneregelungen – 1,5 Meter Abstand, “Einbahnstraßenregelung” in den Gängen, getrennter Ein- und Ausgang – könnten wir noch ca. 60 Karten pro Vorstellung verkaufen, unser Haus also nicht einmal zu einem Viertel auslasten. Damit wäre für uns keine einzige Veranstaltung auch nur annähernd kostendeckend durchführbar. Das ist die Realität.

 

Für die Vorstandsmitglieder des Vereins würde das unter Umständen eine Haftung mit ihrem Privatvermögen nach sich ziehen. Wie soll man unter diesen Umständen und mit dieser “Gefahr im Verzug” Menschen finden, die sich ehrenamtlich engagieren und die Strukturen weiterhin aufrechterhalten? Für diese Fragen habe ich und haben wir bis dato keine zufriedenstellende Lösung gefunden.

 

Absage der Veranstaltungen bis auf Weiteres

 

Wie jedes Gastspielhaus optionieren bzw. buchen wir unsere Veranstaltungen ein bis anderthalb Jahre vor dem Tag der Aufführung. Für die kommende Spielzeit sind damit bereits viele Verträge unterschrieben. Eine Absage der Saison wäre also – ohne eine behördliche Anordnung, die uns die Öffnung des Theaters untersagt – mit der Zahlung von Konventionalstrafen verbunden. Auch dies stünde einem künftigen kostendeckenden Betrieb des Theaters natürlich entgegen.

 

Beide Alternativen, also der Betrieb mit dem Wissen, dass am Ende der Spielzeit ein großer finanzieller Verlust zu verbuchen wäre oder die Zahlung der Konventionalstrafen im hohen fünfstelligen Bereich, wären finanziell kaum zu verkraften. Dabei wollen wir doch öffnen! Es ist uns klar, dass wir der Kultur nur dann eine wirkliche Perspektive bieten können, wenn wir allen, die auf oder hinter der Bühne arbeiten, die Ausübung ihres Berufes zu fairen und sicheren Bedingungen ermöglichen. Der Erhalt der Strukturen und der Schutz unserer Künstlerinnen und Künstler müssen für uns an erster Stelle stehen!

 

Diese traurige Faktenlage führt mich zu folgenden Überlegungen: Bisher hat das Kleine Theater in Wahlstedt eine Auslastung von über 90 Prozent. Viele unserer Zuschauerinnen und Zuschauer sind über 60 Jahre alt und gehören damit zur definierten Risikogruppe, die wir besonders vor einer Corona-Infektion schützen müssen. Wird unser Publikum wie gewohnt von unserem Angebot Gebrauch machen oder wird sich angesichts des gesundheitlichen Risikos das Kartenkaufverhalten ändern? Werden Theaterbesuche langfristig geplant? Macht das Angebot von drei Schauspielabonnements weiterhin Sinn?

 

Unsere nächste Spielzeit ist fertig konzipiert. Für den Fall, dass wir alle Veranstaltungen durchführen können, stellt sich die Frage, ob gebuchte Produktionen bis dahin realisiert und aufgeführt werden können. Proben waren jetzt für eine lange Zeit unmöglich, die finanzielle Situation der Agenturen und Tourneetheater ist zum Teil mehr als angespannt. Wie sollen wir in einer solch ungeklärten Situation einen Kartenvorverkauf starten?

 

Unser Ziel muss es sein, die kulturelle Infrastruktur langfristig zu sichern und dafür zu sorgen, dass Theater und Spielstätten finanziell in die Lage versetzt werden, den Spielbetrieb auch unter eingeschränkten Rahmenbedingungen und einer deutlich reduzierten Auslastung durchführen zu können. Dafür setze ich mich auch auf der politischen Ebene ein.

 

Das Kleine Theater am Markt bietet seinen Besuchern ein abwechslungsreiches Programm mit etwa 60 Vorstellungen – darunter drei Schauspielabonnements mit insgesamt 14 Vorstellungen sowie zusätzliche Kabarett-, Musical-, Acapella- und Musikveranstaltungen mit namhaften Einzelkünstlern und Ensembles. Unser Publikum kommt aus ganz Schleswig-Holstein, vor allem jedoch aus dem ländlichen Raum zwischen Hamburg, Lübeck und Kiel.

 

Was uns ausmacht, ist, dass wir hochwertige Theatergastspiele und Produktionen auf dem Land anbieten, für die man nicht mit dem Auto in die nächste große Stadt fahren muss. Der öffentliche Nahverkehr bietet oft keine passenden Verbindungen nach den Vorstellungen zurück nach Hause.

 

Auch durch meine Arbeit für das Kleine Theater in Wahlstedt bin ich also täglich sehr konkret von den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Kulturbereich betroffen und im ständigen Gespräch mit Kulturschaffenden, Agenturen und anderen Kulturinstitutionen. Ich kenne die Probleme der Theaterbranche, vor allem die der Theatergastspiele, sehr gut. Meine Erfahrungen aus diesem Bereich fließen natürlich in meine Arbeit im Ausschuss für Kultur und Medien im Deutschen Bundestag ein. Meine hier dargelegten Punkte klingen nicht sehr optimistisch. Ich kann nur dafür werben, dass wir alle gemeinsam ein Bewusstsein entwickeln, dass das Wort “Krise” tatsächlich auch verinnerlicht wird. Kennzeichen einer solchen ist, dass wir eben härter als sonst arbeiten müssen, um Erreichtes zu sichern, dass wir gemeinsam kämpfen müssen, um unsere lieb gewonnenen Einrichtungen zu bewahren und dass wir gemeinsam über diese nicht leichte Zeit kommen. Wie das im Einzelfall funktionieren kann, ist eine Frage, für deren Beantwortung ich für jeden konstruktiven Vorschlag dankbar bin.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2020.

Melanie Bernstein, MdB
Melanie Bernstein, MdB ist Obfrau der CDU/CSU im Ausschuss Kultur und Medien des Deutschen Bundestages und Vorsitzende des Programmbeirats des “Kleinen Theaters am Markt” in Wahlstedt.
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