Corona und kein Ende …

Jetzt Perspektiven für den gesamten Kulturbereich gewinnen

Die Corona-Pandemie scheint kein Ende zu nehmen. In einem Monat jährt sich der erste Lockdown. Vor einem Jahr hielten wir den Atem an bei den Bildern aus Bergamo und anderen italienischen Städten. Menschen klatschten auf den Balkonen, um den Ärztinnen und Krankenpflegern für ihren Einsatz zu danken. Es bestand ein Hin und Her, ob Masken denn überhaupt schützen können, dann langsam wurde zu Alltagsmasken geraten und heute ist in einigen Bundesländern das Tragen einer FFP2-Maske in öffentlichen Verkehrsmitteln Pflicht. Homeoffice am Anfang noch ein Abenteuer, ist für viele inzwischen seit Monaten Realität – mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten und Problemen. Und in der Kultur?

 

Grundsicherung

 

Schnell wurden Hilfen auf den Weg gebracht: Die Grundsicherung wurde für Selbständige geöffnet, sie müssen nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, ihr Vermögen darf 60.000 Euro betragen, die Alterssicherung muss nicht angetastet werden und die Miete sowie die Nebenkosten werden in tatsächlicher Höhe bezahlt. Angerechnet wird allerdings nach wie vor das Einkommen der sogenannten Bedarfsgemeinschaften, also des Lebenspartners oder der -partnerin. Von den zum 1. Januar 2020 der Künstlersozialkasse gemeldeten 189.694 Versicherten haben 9.125 Versicherte die Grundsicherung in Anspruch genommen (Bundestagsdrucksache 19/25871). Das entspricht 4,8 Prozent. Diese Versicherten sind nach wie vor über die Künstlersozialkasse rentenversichert. Die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung laufen über die jeweiligen Jobcenter.

 

Einkommenskorrektur

 

Nach Angaben der Künstlersozialversicherung haben mehr als 50.000 Versicherte im Laufe des Jahres 2020 ihre Einkommensschätzung aus dem November 2019 für das Jahr 2020 korrigiert. Diese Einkommensschätzung ist Grundlage für die Berechnung der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherungsbeiträge. Die Mehrzahl der Korrekturmeldungen hatte eine Anpassung nach unten zum Gegenstand, einige Versicherte haben ihr Einkommen allerdings auch nach oben korrigiert. Sie erzielten also höhere Einnahmen als im November 2019, also noch vor Corona, vorausgeschätzt wurde.

 

Die KSK-Versicherten entrichten ihre Sozialversicherungsbeiträge an die Künstlersozialkasse, die ihrerseits die Beiträge weiterleitet. Säumige Zahler werden gemahnt, sollten sie ihrer Zahlungspflicht weiterhin nicht nachkommen, wird in letzter Konsequenz die Krankenversicherung ruhend gestellt. Bis zum 30. November 2020 wurden 2.768 Ruhensbescheide von der Künstlersozialkasse verschickt. Im durchschnittlichen Mittel lag der Wert mit 252 Ruhensbescheiden im Monat im Jahr 2020 unter dem des Jahres 2019. Hier wurden durchschnittlich 273 Ruhensbescheide ausgesprochen. Die Möglichkeit zur Einkommenskorrektur und damit auch zur Anpassung der Sozialversicherung bewährt sich also.

 

Mindesteinkommen

 

Das Mindesteinkommen, das KSK-Versicherte aus künstlerischer Tätigkeit erzielen müssen, um in der Künstlersozialkasse versichert sein zu können, beträgt 3.900 Euro im Jahr. Dieses Einkommen muss 51 Prozent des Gesamteinkommens der Versicherten ausmachen. Generell besteht die Möglichkeit, das Mindesteinkommen zwei Mal innerhalb von sechs Jahren zu unterschreiten. Mit dieser Regelung wird den typischerweise schwankenden Einkommen aus künstlerischer Tätigkeit Rechnung getragen. Im Jahr 2020 wurde zusätzlich die Möglichkeit eingeräumt, das Mindesteinkommen zu unterschreiten, ohne den Versicherungsschutz zu verlieren. Für das Jahr 2021 wurde keine entsprechende Regelung getroffen. Angesichts der fortdauernden Corona-Pandemie und den sich abzeichnenden Langzeitwirkungen, unter anderem was Veranstaltungen betrifft, sollte der Gesetzgeber auch für das Jahr 2021 die Möglichkeit eröffnen, das Mindesteinkommen zu unterschreiten. Gleichfalls sollte darüber nachgedacht werden, für das Jahr 2021 eine Sonderregelung für diejenigen zu schaffen, die zusätzlich zu ihrer künstlerischen Tätigkeit einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen und hieraus vorübergehend ein höheres Einkommen erzielen als aus der künstlerischen Tätigkeit. Nach aktueller Rechtslage verlieren sie ihren Versicherungsschutz in der Krankenversicherung. Da bei geringfügiger Beschäftigung keine Sozialversicherungspflicht in der Krankenversicherung besteht, entsteht hier eine Lücke in der sozialen Sicherung, die dringend geschlossen werden muss. Denkbar wäre eine befristete Sonderregelung für die Zeit der Pandemie.

 

Wirtschaftshilfen

 

Die ersten Hilfsmaßnahmen des Bundeswirtschaftsministeriums wurden ebenfalls im März auf den Weg gebracht und standen ab April zur Verfügung. Die Vergabe erfolgte über die Länder. Schnell zeigte sich, dass sie insbesondere für Soloselbständige der Kultur- und Kreativwirtschaft wenig passfähig waren. Grundlage war die Erstattung von Betriebskosten, also klassischerweise der Miete und anderer Fixkosten in einer Betriebsstätte. Soloselbständige aus der Kultur- und Kreativwirtschaft haben aber sehr oft keine Betriebsausgaben. Die Hilfsmaßnahmen gingen an vielen vorbei. Der Deutsche Kulturrat und viele andere Verbände setzen sich seit fast einem Jahr für deutliche Veränderungen ein.

 

Mit der Neustarthilfe für Soloselbständige im Rahmen der Überbrückungshilfe III wurde jetzt ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung gemacht. Die Neustarthilfe kann von Soloselbständigen beantragt werden, die im Jahr 2019 mindestens 51 Prozent ihres Einkommens aus selbständiger Tätigkeit erwirtschaftet haben. Weiter können unständig Beschäftigte, z. B. Schauspielerinnen und Schauspieler, die Einkommen aus selbständiger Tätigkeit und unständiger Beschäftigung beziehen, die Neustarthilfe beantragen. Einkünfte aus unständiger Beschäftigung werden Umsätzen aus selbständiger Tätigkeit gleichgestellt. Soloselbständige können statt der Fixkosten eine einmalige Betriebskostenpauschale ansetzen. Die volle Betriebskostenpauschale erhalten diejenigen, deren Umsatz im Zeitraum Januar 2021 bis Juni 2021 im Vergleich zum Januar 2019 bis Juni 2019 um 60 Prozent oder mehr zurückgegangen ist. Bei der einmaligen Betriebskostenpauschale, also keiner Einzelerstattung von Betriebskosten, liegt der Referenzumsatz bei 50 Prozent des Gesamtumsatzes des Jahres 2019. Die maximale Höhe beträgt 7.500 Euro. Die Betriebskostenpauschale wird als Vorschuss gezahlt. Wird im Zeitraum Januar bis Juni 2021 ein höherer Umsatz erzielt, muss der Vorschuss anteilig zurückgezahlt werden. Der Betriebskostenzuschuss wird nicht auf die Grundsicherung angerechnet. Sie kann, sofern erforderlich, zusätzlich beantragt werden. Die Grundsicherung bezieht sich auf die privaten Ausgaben. Der Betriebskostenzuschuss ist ein steuerbarer Zuschuss.

 

NEUSTART KULTUR

 

Im Unterschied zu den Regelungen der Grundsicherung sowie den Wirtschaftshilfen, die sich an alle Unternehmen und Selbständigen richten, adressiert NEUSTART KULTUR, das Programm von Kulturstaatsministerin Monika Grütters, nur den Kulturbereich. Insgesamt eine Milliarde Euro stehen hierfür zur Verfügung. Im Januar 2020 waren bereits rund 900 Millionen Euro belegt, das heißt an die Fonds und Verbände vergeben. Die Besonderheit dieses Programms besteht darin, dass der größte Teil der Mittel über die Bundeskulturverbände, Verbände oder Stiftungen vergeben wird. Dadurch besteht eine besonders große Nähe zu den Organisationen, Ensembles, Institutionen oder Künstlerinnen und Künstler, die mit den Mitteln erreicht werden sollen.

 

Und der Bedarf ist riesig! Viele Programme sind überzeichnet. Teilweise musste ein erheblicher Teil an sehr guten Anträgen abgelehnt werden, weil zu wenig Mittel zur Verfügung stehen. Eine Aufstockung der Mittel aus NEUSTART KULTUR ist daher dringend erforderlich. Dabei muss auch in den Blick genommen werden, dass die Auswirkungen der Corona-Pandemie, selbst wenn endlich die Impfprogramme richtig anlaufen und wenn Lockerungen möglich sind, noch lange andauern werden. Im Unterschied zur Grundsicherung und den Wirtschaftshilfen, die unmittelbare Hilfe in der Not sind, ist NEUSTART KULTUR ein Wiederbelebungs- und damit auch Hoffnungsprogramm.

 

Perspektiven gewinnen

 

Corona und kein Ende …  und es gibt keine Perspektiven mehr. Aus den Verbänden im Deutschen Kulturrat ist oft zu hören, dass sich ihre Mitglieder beruflich neu orientieren, dass sie resigniert haben und sich eine Zukunft im Kulturbereich derzeit nicht vorstellen können. Neben den ökonomischen Sorgen, die viele zu diesem Schritt veranlassen, weil die Hilfen nicht passgenau sind oder teils auch gar nicht infrage kommen, wird die Perspektivlosigkeit oft als Grund angegeben. Die Unsicherheit, wann der Kulturbetrieb wieder hochgefahren wird, ist sehr groß. Die Sorge vor Kürzungen im öffentlichen Kultursektor geht um und dies obwohl in zwei Ländern, Rheinland-Pfalz und Hamburg, gerade erst die Kulturetats erhöht wurden. Gleichzeitig hat eine Stadt wie München deutliche Kürzungen im Kulturbereich angekündigt. Viele privatwirtschaftliche Unternehmen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft, die von Entwicklungen anderer Branchen abhängig sind, bangen, wann endlich wieder Aufträge kommen, damit sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Kurzarbeit holen und auch wieder Aufträge an Freiberufler vergeben können. Über die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben als Erstes jene gesprochen, die ohnehin prekär arbeiten. Sie waren vollkommen zu Recht lange im Fokus. Längst sind die Auswirkungen der Pandemie aber auch bei gesunden Unternehmen angekommen, die zuvor keine wirtschaftlichen Probleme kannten und die nun ihre Reserven aufgebraucht haben. Sie müssen endlich auch berücksichtigt werden.

 

Das Wichtigste ist daher aus unserer Sicht: Perspektiven für den gesamten Kulturbereich zu gewinnen. Für die öffentlichen Kultureinrichtungen ebenso wie für die privatwirtschaftlichen Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft. Für die Künstlerinnen und Künstler sowie die Beschäftigten der Kulturbranchen. Für die vielen Vereine und für die vielen ehrenamtlich Engagierten. Denn: Corona wird ein Ende haben.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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