Nachdem CDU und CSU am 21. Juni dieses Jahres ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2021 vorgestellt haben, liegen die Wahlprogramme aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien vor. Die Linke hat noch nicht alle Änderungen in den veröffentlichten Text eingearbeitet, daher kann sich in diesem Beitrag nur auf den Programmentwurf bezogen werden.
Im Folgenden soll vor allem auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen und dabei speziell auf Fragen der sozialen Sicherung und das Urheberrecht eingegangen werden. Alle Parteien bekennen sich zur Kulturförderung, zur Bedeutung der Erinnerungskultur sowie zur Relevanz der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Mit Blick auf die Erinnerungskultur spielt bei fast allen die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus eine wichtige Rolle. Einzig die AfD hat ein besonderes Bild der Kulturförderung und der Kulturpolitik, in dem sie sich auf deutsche Kultur konzentriert, sich gegen die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus stellt, das Kaiserreich stärker gewürdigt wissen will und Deutsch als Landessprache im Grundgesetz verankern möchte. In der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik will die AfD ein positives Deutschlandbild vermittelt wissen. Die Digitalisierung wollen alle Parteien vorantreiben. CDU/CSU wollen ein Bundesministerium für digitale Innovationen und Transformation schaffen. Ähnliches fordert die FDP mit dem Bundesministerium für digitale Transformation.
Soziale Sicherung
In der Corona-Pandemie wurde deutlich, wie wichtig ein stabiles soziales Sicherungssystem ist. Auch im Kultur- und Medienbereich hat sich Kurzarbeit als ein gutes Instrument erwiesen, damit Betriebe ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht entlassen müssen. Genauso deutlich wurden aber auch die Lücken in der Absicherung von Soloselbständigen. Viele waren auf Grundsicherung angewiesen.
Für die nächste Wahlperiode planen Bündnis 90/Die Grünen den Ersatz von Arbeitslosengeld II durch eine Garantiesicherung. Die bestehenden Regelsätze sollen schrittweise angehoben werden und so das soziokulturelle Existenzminimum sicherstellen. Für die Zeit der Coronakrise sollen Kulturschaffende ein Existenzgeld von 1.200 Euro pro Monat erhalten. Das Arbeitslosengeld II wollen ebenfalls CDU/CSU neu ausgestalten, ein besonderes Augenmerk soll auf die Aufnahme von Beschäftigung gelegt werden. CDU/CSU wollen ferner, die Künstlersozialversicherung stärken und dabei den Schutz in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bei selbständiger nicht-künstlerischer Nebentätigkeit dauerhaft ausbauen. Ebenso soll geprüft werden, wie die Arbeitslosenversicherung für Selbständige der Kreativbranche weiterentwickelt werden kann. Die Linke will das bisherige Arbeitslosengeld II durch ein Arbeitslosengeld Plus ersetzen, das lohnbezogen sein soll. Soloselbständige sollen in alle Zweige der Sozialversicherung (Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung) einbezogen werden. Auch will Die Linke für branchenspezifische Mindesthonorare und Ausstellungsvergütungen für Bildende Künstler streiten. Die FDP will sich dafür stark machen, dass sich die Beiträge von Selbständigen zur gesetzlichen Krankenversicherung an den tatsächlichen Einnahmen orientieren. Die FDP geht beim Umbau des bisherigen Arbeitslosengelds II am weitesten. Sie will ein liberales Bürgergeld einführen, das die bisherigen steuerfinanzierten Sozialleistungen ersetzt. Arbeitslosengeld II, Grundsicherung im Alter, Hilfe zum Lebensunterhalt oder auch Wohngeld sollen in einer Leistung an einer staatlichen Stelle zusammengefasst werden. Dabei wird an das Modell einer negativen Einkommenssteuer gedacht, d.h. wenn ein bestimmtes Einkommen unterschritten wird, eine staatliche Leistung an die Stelle der Einkommensteuerzahlung tritt. Dies wäre eine Art Grundeinkommen. Die SPD plant offensichtliche Schutzlücken in der sozialen Sicherung von kleinen Selbständigen und Kreativen zu schließen. Dabei soll auch der Wechsel zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbständigkeit besser berücksichtigt werden. Die Beiträge zur Krankenversicherung sollen bei Selbständigen wie bei abhängig Beschäftigten am tatsächlichen Einkommen bemessen werden. Zusätzlich soll ein beitragsfinanziertes Sicherungsgeld eingeführt werden, das bei Auftragseinbrüchen ähnlich der Arbeitslosenversicherung eintritt. Dieses Sicherungsgeld soll Vorrang vor der Grundsicherung haben. Hiermit wird auf die aktuellen Probleme von Soloselbständigen reagiert, die oft durch das Rost der Wirtschaftshilfen fallen. Die soziale Sicherung für unständig und für kurz befristet Beschäftigte soll verbessert werden. Weiter soll die Grundsicherung zu einem Bürgergeld weiterentwickelt werden. Aus den Regelungen der Corona-Pandemie soll mitgenommen werden, dass Vermögen und Wohnungsgröße innerhalb der ersten zwei Jahre des Bürgergeldbezugs nicht geprüft werden. Die AfD will das Arbeitslosengeld II zu einer aktivierenden Grundsicherung weiterentwickeln.
Für Selbständige, denen sonst Altersarmut droht, planen Bündnis 90/Die Grünen die Aufnahme in die gesetzliche Rentenversicherung. Auch CDU/CSU planen eine Altersvorsorgepflicht für Selbständige. Hier besteht allerdings die Einschränkung, dass dies nur für diejenigen gelten soll, die nicht anderweitig abgesichert sind. Ebenso sollen die berufsständischen Versorgungswerke, wie sie im Kulturbereich beispielsweise für Architekten bestehen, erhalten bleiben. Die Linke plant eine solidarische Erwerbstätigenversicherung, in die alle Erwerbstätigen unabhängig von ihrem Erwerbsstatus einzahlen müssen. Die FDP hingegen strebt maximale Wahlfreiheit für Selbständige bei der Altersvorsorge an – mit Ausnahme der Gründungsphase, hier soll eine Pflicht zur Altersvorsorge gelten. Eine bisherige Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung soll fortgeführt werden. Auch bei der Rente denkt die FDP grundsätzlich. Sie will eine Basisrente einführen, die die bisherige Grundsicherung ersetzt. Die SPD will eine grundsätzliche Pflicht zur Altersvorsorge einführen und Selbständige so schrittweise in die gesetzliche Rentenversicherung integrieren. Die bestehenden Sondersystem unter anderem für Beamte sollen überwunden werden.
Marktordnungsrecht: Urheberrecht
In den vergangenen Jahrzehnten stand das Urheberrecht sehr oft im Mittelpunkt kulturpolitischer Debatten. Dies ist wenig verwunderlich, handelt es sich doch in erster Linie um ein Marktordnungsrecht für Unternehmen und Unternehmer des Kulturbereiches, also Künstlerinnen und Künstler und die Verwerter von Kunst, also Verlage, Galerien, Tonträgerhersteller und andere. Ziel ist es, dass sie einen ökonomischen Ertrag aus ihrer Arbeit ziehen können. Bemerkenswert bei den Aussagen der Parteien ist, dass sie, wenn von Kultur- und Kreativwirtschaft und Urheberrecht gesprochen wird, bis auf Ausnahmen, die Verwerter künstlerischer Leistungen nicht in den Blick nehmen.
In den Hochschulen wollen Bündnis 90/Die Grünen Open Access zum Standard erklären und als wissenschaftliche Leitidee etablieren. Damit erteilen sie dem Verlagswesen, dass sich auf wissenschaftliche Publikationen spezialisiert hat und für das Hochschulen zentral ist, eine klare Absage. Die angemessene Vergütung von Urhebern aus der Nutzung ihrer Werke soll sichergestellt werden. Zur Sicherung der Rechte von Verwertern werden keine Aussagen gemacht, dass steht zusammen mit den Aussagen zu Open Access in einem Gegensatz zur beabsichtigten Stärkung der Kultur- und Kreativwirtschaft. Für Bündnis 90/Die Grünen scheint die Kultur- und Kreativwirtschaft weniger aus Unternehmen, die sich am Markt bewähren müssen als vielmehr aus Künstlerinnen und Künstler, die unterstützt werden müssen, zu bestehen. CDU/CSU wollen die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Angebote der Kunst- und Kreativwirtschaft in der digitalen Ära nachhaltig refinanziert werden können. Hier scheint also ein breiterer Kultur- und Kreativwirtschaftsbegriff zu bestehen. Die Linke will die Verhandlungsmacht der Kreativen im Urhebervertragsrecht stärken. Darüber hinaus soll das Urheberrecht an die Anforderungen im digitalen Zeitalten, hier speziell bei Forschung, Bildung und Wissenschaft, angepasst. Es wird sich für ein Urheberrecht eingesetzt, dass einen Ausgleich zwischen den Interessen der Wissenschaft und der Urheber sucht. Auch hier wieder kein Wort über die Verwerter, also jene, die urheberrechtlich geschützte Werke dem Markt zugänglich machen und die ihrerseits von der Verwertung dieser Werke leben müssen. Die FDP will ein modernes Urheberrecht und das bestehende Recht nach dem Vorbild des US-amerikanischen „Fair Use“-Prinzips weiterentwickeln. Die bisherigen Schranken sollen durch eine Bagatellklausel für private Nutzungen ersetzt werden. Das Verhältnis zwischen Kunstfreiheit und dem Schutz geistigen Eigentums soll neu gedacht werden. Allerdings gesteht auch die FDP den Urhebern einen wirtschaftlichen Ertrag aus der Nutzung ihrer Werke zu. Erstaunlicherweise für die FDP, die sich ansonsten für Unternehmen stark macht, wird die Kultur- und Kreativwirtschaft auf Urheber reduziert. Dass Unternehmen, wie Verlage, Filmproduzenten, Tonträgerherstellen und andere, aus der Verwertung von Werken einen wirtschaftlichen Ertrag ziehen müssen, kommt bei der FDP nicht vor. Wenn über die Kultur- und Kreativwirtschaft gesprochen wird, ist nur von der Öffnung von Förderprogrammen die Rede. Die SPD will die Rahmenbedingungen auf den Märkten der Kultur- und Kreativwirtschaft so weiterentwickeln, dass Geschäfts- und Erlösmodelle gestärkt werden. Auch bei digitalen Kulturveranstaltungen sollen Erlösmodelle Einzug halten. Die AfD konzentriert sich im Urheberrecht auf die Abschaffung von Upload-Filtern.
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll von Bündnis 90/Die Grünen gestärkt werden, dazu zählt eine ausreichende Finanzierung und ein Programmauftrag, der alle gesellschaftlichen Bereiche umfasst. Zu einem starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird sich von CDU/CSU bekannt. Allerdings soll der Auftrag dem technischen Fortschritt und Nutzungsverhalten entsprechend weiterentwickelt werden. Die Deutsche Welle will CDU/CSU zum stärksten Auslandssender Europas ausbauen. Die Linke sieht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als unverzichtbar an. Sie spricht sich neben hoher journalistischer Qualität auch für gute Unterhaltung aus. Die FDP hingegen plant, sich für eine Reduzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf Nachrichten, Kultur, politische Bildung und Dokumentationen einzusetzen. Die Zahl der Fernseh- und Hörfunkkanäle soll reduziert und der Rundfunkbeitrag gesenkt werden. Im Internet sollen nur noch Beiträge angeboten werden, die mit klassischem Rundfunk vergleichbar sind. Dies ist eine starke Beschneidung des bestehenden öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems. Die SPD hingegen setzt sich für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein, dessen Auftrag in der digitalen Medienwelt weiterentwickelt werden soll. Die AfD will den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf einen „Grundfunk“ reduzieren. Er soll ein Zehntel des bisherigen Umfangs haben und sich auf neutrale Inhalte aus Information, Kultur und Bildung konzentrieren. Weiter soll es einen schlanken „Heimatfunk“ als Schaufenster der Regionen geben. Der Grundfunk soll aus Abgaben von Technologiekonzernen, die audiovisuelle Inhalte verbreiten, finanziert werden.
Fazit
In den drei beschriebenen Bereichen, Soziale Sicherheit, Urheberrecht und öffentlich-rechtlicher Rundfunk, zeigen sich sehr deutliche Unterschiede in den Wahlprogrammen der Parteien ab. Es ist nicht egal, wer nach der Bundestagswahl Ende September die kommende Bundesregierung stellt. Der Kulturbereich wird von dieser Entscheidung intensiv betroffen sein. Deshalb prüfen Sie intensiv, bevor Sie sich entscheiden.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2021.