„Sitzt du?“ fragt mich meine Agentin am Telefon. Es ist der 18. November 2013, 22:04 Uhr.
„Nein, ich liege. Auf dem Teppich, mit Daniel Kehlmann und….“
„Egal. Leg den weg. Crown hat ein pre-empt abgegeben. New York sagt, das Angebot gilt eine Stunde. Willst du wissen, wie viel sie bieten?“
Ich lüge „nö“, weil ich gerade meine Fassung verliere.
Meine Agentin baut eine delikate Kunstpause ein, sagt: „Ich sag’s dir trotzdem“, brüllt dann den Betrag, er ist sechsstellig und in Dollar. Daraufhin brüllen wir beide.
Natürlich: Das war ein Champagnermoment. Seit 2010 behalten wir – meine Agentin Anja Keil und ich – in meinen Buchverträgen stets zwei Verwertungsrechte in den eigenen Händen: das Übersetzungs- und das Filmrecht. 37 Mal wurde „Das Lavendelzimmer“ übersetzt, demnächst ins Estnische. Es wurde ein Bestseller in Italien, Griechenland und Schweden, verkaufte sich dreistellig in Bulgarien und landete in den USA in der New York Times-Bestsellerliste und auf Platz 1 der Indie-Liste. Zwischendurch hatte 20th Century Fox die Filmrechte optioniert, mithilfe eines 96-seitigen Vertrages, bei dem ich meine Rechte bis ins siebte Glied an Hollywood abtrat, inklusive der Rechte auf die Figur Jean Perdu, für einen Gegenwert von 1,5 Prozent der geschätzten Produktionskosten. „Take the money and run“, sagte mein Filmanwalt. Als Walt Disney den Filmkonzern aufkaufte, lösten sie alle Verträge, ich habe meinen Jean Perdu wieder und bin dankbar über das vermeintliche Scheitern – denn das US-Copyrightsystem hat nur Nachteile für Autoren, das europäische Urheberrecht erlaubt keinen Ausverkauf von Werk und Seele.
Es ist keine Frage des Geldes, sich, gemeinsam mit der Agentur Keil & Keil und ihrem weltweiten Co-Agenturen-Netz, inklusive Filmagentur, um diese Rechte selbst zu kümmern. Denn auch wenn ich mit einem Anteil von 80 Prozent auf alles nach Hause gehe – bei einem Verlagsvertrag wären es 60 Prozent, bei den meisten Kolleginnen sehe ich eher 50 Prozent in den Verträgen – so liegt alles an Vor- und Nachbereitung bei mir: Die Übersetzung eines 100-seitigen Akquise-Textes in feinstes US-Englisch (3.500 Euro), die Honorare für den Steuerberater, mit dem ich jedes Jahr (!) für jedes Land Ansässigkeits-, Freistellungsauftrags-, Doppelbesteuerungsabkommensbescheinigungen dreifach ausfülle, beglaubigen lasse, und das Steueraufkommen unterschiedlicher Länder versuche, zu verstehen. In Italien behält der Staat fröhliche fünf Prozent, die Türkei hat bis heute nicht gezahlt, und sowieso kommen Tantiemen drei Jahre später reingetröpfelt. Ich habe eine englischsprachige Webseite, organisiere aktuelle Vitae, Fotos, nehme Cover und Klappen ab und wühle mich mit Anja Keil durch die englischsprachigen Verträge. All diese Tätigkeiten würde sonst der Verlag übernehmen, sofern er das seltene Glück hätte, dass diese Rechte nachgefragt werden und eine Lizenzabteilung mit Schmackes – aber. Jetzt das Aber: Ich will bestimmte delikate Kleinigkeiten selbst entscheiden. Zu welchem Verlag ich will, selbst wenn der weniger bietet. Welche Bedingungen, z. B. dass das Übersetzerhonorar nicht aus dem Topf meines Vorschusses bezahlt wird, sondern der Verlag bittesehr Geld in die Hand für ihn nimmt. Überall verweigere ich Flatrate-Lizenzen und digitales Preisdumping. Der Kampf gegen Amazon wird in den Nebenrechten geführt, die meisten Verlage geben müde auf und lassen sich am Nasenring durch die sich verengende Arena des elektronischen Buchmarkts ziehen. Ich will dabei nicht mitmachen, und das kann ich nur mit Entscheidungsraum.
Und der wichtigste Grund: meine Wunderhoffnung. Ich habe 20 Jahre gebraucht, um über Nacht berühmt zu werden; und obgleich ich nie mit einem internationalen Bestseller und Hollywoods Brachialflirt kalkuliert habe – so habe ich nie aufgehört, zu hoffen. Die Buchbranche ist ein Wettbüro auf Worte, und ich kann, nein, ich muss mir Hoffnung leisten. Ein Verlagskaufmann weiß: Pro Jahr schaffen es kaum 500 Werke in die Bestsellerlisten und von dort ins Ausland. Das entspricht einer Chance von 0,8 Prozent. Er rechnet nicht mit Wundern, sondern mit marktgleitfähigem Material.
Das ist unser Fegefeuer. Doch nur wegen dieser Petitesse nicht zu schreiben, wäre wie nicht zu atmen, nicht zu küssen, nicht zu leben; also: Leben wir einfach mit dieser Hölle und hoffen.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2018.