Warme Wellenlängen im Kalten Krieg

Das Hindi-Programm des DDR-Auslandsrundfunks

Im Dokumentarfilm „The Sound of Friendship“ erzählt Anandita Bajpai die Geschichte des Hindi-Programms des internationalen Rundfunksenders der DDR, Radio Berlin International (RBI). Das Programm wurde von 1967 bis 1990 aus dem Funkhaus in Berlin gesendet. Bajpai zeigt filmisch, wie sich im Kalten Krieg grenzüberschreitende Freundschaftsbeziehungen zwischen den Hörern in Indien und den Journalisten in Deutschland entfalteten. Theresa Brüheim spricht mit ihr über Idee, Hintergrund und Gegenstand des Films.

 

Theresa Brüheim: Wie kamen Sie auf die Idee zu „The Sound of Friendship“?

Anandita Bajpai: Ich arbeite als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Zentrum Moderner Orient. In meiner Forschung untersuche ich Radiosender aus BRD und DDR, also die Deutsche Welle und Radio Berlin International. In diesem Rahmen habe ich Akten im Deutschen Rundfunkarchiv in Potsdam gesichtet. Dabei habe ich Abschriften der Sendungen der RBI-Abteilung Südostasien gelesen und herausgefunden, dass Hunderte von Zuhörern aus Indien an die Sendung geschrieben haben. Ich stieß auf die Namen und Fragen mehrerer Hörer der Hindi-Sendung, als ich rund 200 Tonbänder der Hindi-Sendung im Archiv hörte. Die Moderatoren nannten ihre Namen und kündigten ihre speziellen Fragen in der Sendung an.

 

Dabei kam ich zuerst auf die Idee, Interviews mit ehemaligen Redakteurinnen und Redakteuren des RBI zu führen. In Vorbereitung dafür bin ich auf eine private Sammlung einer RBI-Moderatorin gestoßen. Dort tauchte immer wieder ein Name auf: Arvind Srivastav. Mir ging die Idee nicht mehr aus dem Kopf, nach Indien zu fahren und diesen Mann zu treffen. So habe ich Arvind Srivastav, den Protagonisten meines Dokumentarfilms, entdeckt. Als ich ihn in Indien besuchte, zeigte er mir Tausende Dinge, die er damals vom RBI bekommen hat. Mein Film will auch die affektive Beziehung – die Gefühle, die Wärme, das Schweigen – zeigen, die ein Mensch auch heute noch zu diesen Dingen hat. Diese Affekte, die Pausen, die Stille, die Emotionen und die lauten Töne passen nur selten in die begrenzte Zeichenzahl eines akademischen Aufsatzes. Solche Emotionsschnipsel werden oft in die Fußnoten gequetscht, die in ihrer Schriftgröße so reduziert sind, dass man sie leicht überliest. Der Film ist also ein Versuch, die Schriftgröße dieses emotionalen Registers zu vergrößern.

 

Mit dem Dokumentarfilm möchte ich außerdem das weniger bekannte Kapitel des internationalen Gesichts der Deutschen Demokratischen Republik, also transnationale Verbindungen, die während des Kalten Krieges Grenzen überquerten, beleuchten.

 

Welche Rolle spielte der Auslandsrundfunk der DDR zur Zeit des Kalten Krieges insbesondere in Indien?

Durch meine Archivarbeit zu den Beziehungen zwischen Indien und der DDR habe ich entdeckt, dass es einen engen Austausch gab. Die DDR hat auch einen Platz in den Erinnerungen der Menschen außerhalb Deutschlands. Dieser Blickpunkt auf das Thema war für mich besonders wichtig. Natürlich wurde das Radio während des Kalten Krieges als wichtiges Propagandainstrument genutzt; das muss immer mitgedacht werden.

 

Aber was sehr interessant an der Geschichte von RBI ist, ist, dass es nicht nur um ideologische Einflüsse ging, sondern auch um persönliche Verbindungen zwischen Menschen in der DDR und in Indien, die einander zwar nie gesehen haben und trotzdem verbunden durch den regelmäßigen Austausch waren. Das ist das Besondere am Hindi-Programm von RBI.

 

Die Deutsche Welle hatte damals in Indien auch viele Hörerclubs. Aber eine solche starke Verbindung zwischen Redakteuren und Hörern wurde noch nicht entdeckt.

 

Auf einer Seite ging es um afroasiatische Solidarität, das war ein großes Thema in der DDR; auf der anderen Seite ging es auch um Antifaschismus und Antiimperialismus. Indien spielte eine große Rolle im sogenannten Non-Aligned-Movement, eine wichtige Dimension der damaligen Außenpolitik. Es gab also bei den Menschen in Indien sowohl eine ideologische Affinität zum RBI als auch eine persönliche Verbindung. Diese beiden Elemente sind ganz wichtig für meine Forschung.

 

Der Film zeigt eindrücklich diese persönlichen Verbindungen. Wie ist es RBI gelungen, diese Verbindung zu den Hörern bzw. Hörerclubs aufzubauen? Das ist ja etwas ganz Besonderes.

Es fing damit an, dass die Redakteure des RBI damals sogenannte Indexkarteikarten nutzen. Auf denen wurde detailliert festgehalten, welcher Hörer welche Fragen gestellt hat, was die Interessen des jeweiligen Hörers sind usw. Das wurde dann für die Programmplanung genutzt. Ein Beispiel: Es war z. B. ein Feature im Hindi-Programm zum Thema „Sport in der DDR“ in Planung. Vorab haben sich die Redakteure des RBI die Zeit genommen, in diesen Hunderten Karteikarten zu prüfen, welcher Hörer welche Frage passend zum geplanten Thema gestellt hat. Auf diese Fragen und Leserbriefe wurden dann namentlich im Programm eingegangen und geantwortet. Das ist ein besonderer Punkt. Die Hörer haben sich eingebunden und wertgeschätzt gefühlt. Außerdem gab es den Austausch von Objekten, die damals per Post geschickt wurden. Das hat auch eine sehr große Rolle gespielt und war Teil der Strategie des RBI zur Hörergewinnung: Man schickte den Hörern kleine Souvenirs aus der DDR wie Magazine, Journale, Wimpel, Schirmmützen, Musik aus der DDR, Plakate und anderes. Besonders waren außerdem die deutschen Stimmen, die Hindi sprachen. Das machte die Deutsche Welle oder der BBC nicht. Da sprachen nur Inder; Engländer oder Deutsche haben dort auch viel redaktionelle Arbeit im Hintergrund gemacht, aber sie haben nie als Moderatoren gesprochen. Das war bei RBI anders. Das war für die Hörerclubs in Indien ganz wichtig; in jedem meiner Interviews wurde dies deutlich. Versetzen Sie sich in die Situation der damaligen indischen Hörer: Es gibt Menschen, die ihr Land – die DDR – mit ihren Nachrichten und ihrer Kultur uns Indern präsentieren wollen; aber sie wollten dies in unserer Sprache, in Hindi, tun. Diese Bemühungen und diese harte Arbeit, die dahintersteckten, wurden deutlich und enorm von den Hörern honoriert.

 

Die Verbindungen waren so eng. Was bedeutete dann der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung für RBI und seine Hörer in Indien? Wie wurde dies aufgenommen?

Eine wichtige Frage, die auch der Film behandelt. 1990 hörte Radio Berlin International auf zu existieren. Ein ganzes Jahr nach der Wende wurde der Sendebetrieb aus Ostberlin aufrechterhalten. Viele Hörer, nicht nur aus Indien, sondern aus der ganzen Welt, haben damals immer dieselbe Frage gestellt: Was wird in Zukunft aus RBI?

 

Auf den erhaltenen Kassettenaufzeichnungen kann man hören, wie die

Redakteure immer wieder wiederholen, dass sie nicht wissen, wie die Zukunft von RBI aussehen wird, aber sie die Hörer dazu informieren werden, sobald mehr feststeht. Dann kam die Nachricht: Am 2. Oktober 1990 um Mitternacht stellt RBI den Sendebetrieb ein. Für viele Hörer in Indien kam das wie ein Schock. Sie hatten erwartet, dass es irgendwie weitergehen würde – z. B. bei der Deutschen Welle. Aber nur drei der Redakteure des RBI-Hindi-Programms haben bei der Deutschen Welle Hindi weitergemacht. Es gab dann Hörer, die nach dem Ende des RBI zum Hindi-Programm der Deutschen Welle gewechselt sind, weil sie dieselben Stimmen wieder hören wollten.

 

Vielen Dank.

 

Anandita Bajpai und Theresa Brüheim
Anandita Bajpai ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Zentrum Moderner Orient und Regisseurin von „The Sound of Friendship: Warm Wavelengths in a Cold, Cold War“. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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