Frei, nicht kommerziell und öffentlich zugänglich – so kann man Radio Dreyeckland kurz beschreiben. Entstanden aus dem Piratensender Radio Verte Fessenheim und seit 1977 auf Sendung bietet der Freiburger Sender denen eine Plattform, die sie anderorts selten bekommen. Im Interview gibt der langjährige Redakteur und heutige Geschäftsführer Andreas Reimann Einblick in Ursprünge, Programm und Publikum des freien Radios.
Theresa Brüheim: Der Ursprung des heutigen Radio Dreyeckland liegt im Radio Verte Fessenheim, dem damals bekanntesten politischen Piratensender im deutschsprachigen Raum. Er wurde 1977 gegründet. Wie kam es dazu und was war das Ziel der Gründung?
Andreas Reimann: Es gab Ende der 1970er Jahre eine grenzüberschreitende Platzbesetzung gegen die Kernkraftwerke im Oberrheingebiet im elsässischen Marckolsheim. Bürgerinitiativen aus der Schweiz, Deutschland und Frankreich waren beteiligt. In diesem Rahmen hatte jemand einen UKW-Sender dabei, der auf einem Mast der französischen Elektrizitätsgesellschaft angebracht wurde, und los ging es mit der Sendung. Das hat sich dann verselbstständigt. Hintergrund war das Gefühl der mangelnden Repräsentanz in den Medien. Man hat sich und die Gefahren der Atomkraft nicht ausreichend öffentlich wiedergefunden. Neben Flugblättern war das Radio ein Weg, dies zu erreichen.
Inwieweit prägen die Ursprünge in der Anti-AKW-Bewegung den Sender heute noch?
Radio Dreyeckland ist auch ein Sender der sozialen Bewegung. Unser Anliegen war schon immer, dass man denen eine Stimme gibt, die sonst keinen öffentlichen Kanal haben. Radio Dreyeckland ist lange vor dem Internet entstanden. Bis in die 1990er Jahre hatte das Radio eine ganz andere Relevanz, als man es sich heute vorstellen kann.
Auch heute haben wir Radiogruppen, die aus den sozialen Bewegungen heraus ihr Programm planen – auf professionalisiertem Niveau gibt es z. B. Sendungen von Amnesty International, Greenpeace, aber auch lokale Akteure wie fairNETZt Lörrach. Außerdem sind soziale Bewegungen nach wie vor bei uns in den tagesaktuellen politischen Programmen gegenwärtig – als Studiogäste oder Interviewpartnerinnen und -partner. Wir bieten aber nicht nur ein offenes Mikrofon, sondern begleiten das ganze Geschehen kritisch. Darin sehen wir unsere Aufgabe als Medium.
Nach den Anfängen als Piratensender folgte dann Ende der 1980er Jahre die Sendelizenz. Heute versteht sich Radio Dreyeckland als freier und nicht kommerzieller Sender. Welche Bedeutung kommt dem zu?
Wir wollten schon immer öffentlich zugängliches Radio machen. Das heißt, die Tür zum Sender sollte offen sein, dafür brauchte es den Schutz durch eine Sendelizenz. Als eines der ersten nicht kommerziellen Radios in Deutschland erhielten wir diese Ende der 1980er Jahre. Und seitdem sind wir auf der gleichen Frequenz in Freiburg zu hören: 102.3 Mhz.
Freie Radios wie Radio Dreyeckland sind auch soziokulturelle Orte, die Raum für Diskurs bieten. Bei uns kommen über 150 Sendungsmachende zusammen, die unterschiedlich intensiv Programm machen. Das heißt, sehr viele Leute gehen hier ein und aus. Es gibt Redaktionskonferenzen und -versammlungen. Es wird über jede neue Redaktion informiert und letztlich auch abgestimmt, ob sie ins Programm aufgenommen werden soll.
Es ist eben kein offener Kanal, sondern ein basisdemokratisches Projekt. Das ist gerade aktuell besonders wichtig, wo sich Verschwörungstheorien im Internet breitmachen. Radio Dreyeckland ist – wie viele andere freie Radios auch – kein einheitliches Projekt. Es gibt bei uns eine Vielfalt von Meinungen. Trotzdem gibt es einen Grundkonsens: Wir achten auf die Themen und Personengruppen, die in der Mehrheitsgesellschaft nicht so stark repräsentiert sind. Typisch für uns ist, dass wir erfolgreich eine Radiosendung von Geflüchteten aufgebaut haben. Oder dass es hier mehrere lgbtqia+-Radiosendungen gibt. Das sind Beispiele für unser Grundprinzip: Wir wollen den Leuten Gehör verschaffen, die in der Mehrheitsgesellschaft und in der breiten Öffentlichkeit nicht in der Weise repräsentiert sind wie andere. Hier kriegen sie die Möglichkeit, sich zu artikulieren. Das gehört nach wie vor zur DNA von Radio Dreyeckland.
Mittlerweile gibt es auch einen Bundesverband der freien Radios, bei dem über 30 freie Radios beteiligt sind. Man kann mittlerweile in Deutschland von einer dritten Säule neben dem privatkommerziellen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk sprechen. In anderen Ländern ist das sogar noch stärker der Fall.
Das Programm reicht entsprechend von Subkultur über Umwelt und Gender bis hin zu Literaturthemen. Wie kommt diese Vielfalt an Stimmen und Meinungen bei der Programmgestaltung zusammen?
Es kommt zu Wort, wer ins Radio kommt. Wir können schlecht das Programm am Reißtisch beschließen. Beispielsweise können wir nicht einfach sagen: Wir machen eine Theatersendung, wenn sich in der Redaktion niemand für Theater begeistert. Insofern fluktuiert das Programm mit den Leuten, die zu uns kommen, und den Interessen, die sie mitbringen.
Wir versuchen lediglich im tagesaktuellen Bereich stabil und kontinuierlich an Themen dranzubleiben – sei es die lokale Stadtpolitik oder die Bundespolitik. Ein Stück weit funktioniert das auch unabhängig von der Größe der Basis an Leuten, die die Redaktion ausfüllen.
Wer hört Radio Dreyeckland?
Erstaunlich viele. Wir haben im Vergleich zu den anderen acht nicht kommerziellen bzw. freien Radios in Baden-Württemberg einen sehr hohen Anteil an Hörerinnen und Hörern. Fast ein Drittel davon hören Radio Dreyeckland. Wir haben eine 14-Tages-Reichweite, also: Wer hört Radio Dreyeckland alle 14 Tage mindestens einmal? Da rangieren wir zwischen 40.000 und 60.000 Hörerinnen und Hörern. Das ist eine ganz ordentliche Zahl. Aber wer uns da hört, das wissen wir nicht.
Eine Ausdifferenzierung in Altersgruppen oder Bildungsstand etc. liegt uns nicht vor.
Auf unserer Webseite haben wir mittlerweile monatlich rund 20.000 Unique Users. Diese Ebene muss man mitdenken. Wir sind nicht mehr einfach nur Radio, sondern wir sind auch eine Plattform, die Audiobeiträge zum nicht linearen, zeitsouveränen Hören bereitstellt.
Eine weitere Besonderheit von Radio Dreyeckland ist – der Name sagt es schon –, dass sich das Sendegebiet auf die Regionen um das Dreiländereck Deutschland, Frankreich und Schweiz ausstreckt. Welche Idee liegt diesem länderüberschreitenden Ansatz zugrunde und von welcher Bedeutung ist er für Ihr Programm?
Das ist historisch so gewachsen. Hier kommen wir wieder zur Anfangsgeschichte von 1977 zurück. Idee war – auch aus der Erfahrung der Weltkriege heraus –, dass die Grenzen keine Rolle mehr spielen sollen.
Heutzutage spielt der Kontakt nach Frankreich und in die Schweiz nicht mehr so eine starke Rolle. Eine Ausnahme sind drittmittelfinanzierte Projekte im Jugendbereich, bei denen es Kooperationen mit Radios im Elsass oder in der Schweiz gibt – insbesondere bei Berichten aus dem Straßburger EU-Parlament.
Wieso ist das so?
Die Leute, die bei uns Sendungen machen, kommen heute vor allen Dingen direkt aus Freiburg. Der grenzüberschreitende Austausch in den 1980er Jahren wurde auch dadurch befördert, dass in Frankreich die Radios schon früher als in Deutschland legalisiert wurden. Es gab z. B. Redaktionen aus Freiburg, die nach Colmar gefahren sind, um in einem lizenzierten Studio Sendungen zur Freiburger Lokalpolitik zu machen. Da gab es wirklich einen Austausch. Das ist in den 1990er Jahren eingeschlafen. Wir sind aber sehr offen, dies wieder aufleben zu lassen.
Vielen Dank.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2021.