„Digitial first“?

Digitale Formate im Hörfunk

Welche Zielgruppen sind bei der Neuausrichtung für den hr ausschlaggebend? Sie haben erwähnt, dass öffentlich-rechtliche Sender Angebote für alle Altersgruppen zur Verfügung stellen müssen – bleibt das der Fokus an dieser Stelle?

Ja. Mit den Radiowellen des Hessischen Rundfunks erreichen wir jeden Tag immer noch mehr als die Hälfte der Menschen in Hessen. Die Nutzung geht jährlich um etwa ein Prozent zurück; Menschen unter 30 für das Radio zu begeistern ist beinahe unmöglich. Deswegen haben wir die Aufgabe, neue Ideen zu entwickeln und unsere Kraft auch in ganz neue Produkte zu investieren. Dazu zählt auch alles, was unsere Reporterinnen und Reporter für Kanäle wie Instagram und YouTube kreieren. Auch das kostet Zeit und Kraft, die vorher in das Radio investiert wurden.

 

Wichtig ist auch das Einbringen von Menschen unter 30. Die Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten von heute werden anders ausgebildet als vor 20 Jahren. Werden Volontärinnen und Volontäre im HR auch mit dem Schwerpunkt „Digitales“ ausgebildet?

Volontärinnen und Volontäre werden medienübergreifend ausgebildet, das ist für uns selbstverständlich. Sie lernen, wie Radio, Fernsehen und auch Online oder Social Media funktionieren. Sie trainieren, für das Netz zu schreiben, und fangen schon im Volontariat an, Podcasts zu produzieren. Im ganzen Haus durchlaufen die Nachwuchsjournalistinnen und -journalisten Redaktionen, auch im Bereich Social Media; die Ausbildung ist breit. Aus meiner Sicht ist vor allem wichtig, dass Volontärinnen und Volontäre dadurch schauen können, wo ihre Talente liegen. Wenn sie etwa merken, dass sie im Bereich Bewegtbild stark sind, können sie ihren Schwerpunkt hier setzen. Das ist ein großer Vorteil dieser Ausbildung. Wir wollen schauen, wo die Talente der Menschen liegen und wie wir diese Talente am besten für den hr stärken können.

 

Blicken wir in die Zukunft. Welche Aufgabe sehen Sie künftig für die tagesbegleitenden hr-Hörfunkprogramme?

Sie haben unterschiedliche Aufgaben. Einen Sender wie hr-iNFO z. B. sehe ich als Säule der Berichterstattung in Hessen. Ich finde es wichtig, zwar die Weltpolitik und bundesdeutsche Themen abzubilden – das Ganze aber auch auf Hessen runterzubrechen, ist für mich unsere Schlüsselaufgabe. Die Nähe des Radios definiert sich für mich als Hörer bzw. Hörerin auch darin, wie nah das Programm an meinem Leben dran ist. Wenn es etwa um die Debatte um Coronamaßnahmen an Schulen geht, möchte ich sie an hessischen Schulen abbilden. Geht es um die CO2-Besteuerung und E-Mobilität, zeigen wir die Situation an hessischen Ladestationen, nicht etwa in Berlin oder Hamburg. Diese Aufgabe ist zentral für uns.

 

Herr Kahler – was wünschen Sie sich für das Radio der nächsten 100 Jahre?

Ich wünsche mir, dass Menschen den Vorteil von Radio wertschätzen. Ich selbst bin in einem landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb groß geworden. Ich erinnere mich noch gut daran, dass wir als Jugendliche ein Kofferradio dabei hatten, wenn wir raus aufs Feld gegangen sind, um Kartoffeln zu ernten. Wir haben gemeinsam Radio gehört, die Themen aufgegriffen und über sie diskutiert. Für uns war das ein toller Zeitvertreib und wir haben viel gelernt.

Das hat sich das Radio bis heute erhalten. Die Stärke von Radio, Gemeinschaft zu schaffen, ist großartig.

Außerdem schenkt es uns Zeit, weil wir nicht auch noch hinschauen müssen wie beim Fernsehen oder Livestream. Wir können Radio hören und gleichzeitig Kartoffeln ernten, Auto fahren oder die Wohnung putzen. Und trotzdem bekommen wir Information und Unterhaltung. Dieses Zeitgeschenk können und sollten wir wertschätzen.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2021.

Wolfhard Kahler und Sandra Winzer
Wolfhard Kahler ist Crossmedialer Manager Hörfunk im Führungsteam der Hesseninformation des Hessischen Rundfunks. Sandra Winzer ist ARD-Journalistin beim Hessischen Rundfunk.
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