Das Kulturradio

Zur Bedeutung und Geschichte in Deutschland

 

Kulturradio als Produzent

 

Neben ihrer Funktion als Kulturvermittler (Berichterstattung) und als Kulturvernetzer (Partnerschaft) haben die Kulturradios der ARD eine erhebliche Bedeutung als Kulturträger ihrer Länder. Je nach Größe ihrer Etats produzieren sie ein enormes Quantum an anspruchsvollen Musik- und Wortsendungen.

 

In NRW ist die Kulturabteilung des WDR der größte Auftraggeber für die Kulturwirtschaft des Landes. Gleichzeitig ist der WDR der aktivste Konzertveranstalter in NRW. Addiert man die Konzertmitschnitte des Kulturradios WDR 3 und die Eigenkonzerte der WDR Klangkörper, deren Sendeplattform das Kulturradio ist, kommen 250 bis 300 Konzertausstrahlungen jährlich zusammen. Originalmitschnitte wohlgemerkt! Keine Konserven oder CD-Produktionen!

 

Noch singulärer ist die Leistung der Kulturradios im Bereich des anspruchsvollen Worts, z. B. der Hörspiel- und der Feature-Produktionen. Hier gibt es kein Äquivalent auf dem deutschen Markt. Zwar hat die Zahl der Eigenproduktionen der Hörbuch-Verlage zugenommen, aber die Mehrheit der anspruchsvollen Hörspielproduktionen und vor allem der dokumentarischen Feature-Produktionen stammt nach wie vor aus den Studios der ARD.

 

Diese Produzentenrolle steht in direkter Abhängigkeit von der Etatausstattung der Landesrundfunkanstalten. Je stärker die Gebührenschraube angezogen wird, desto geringer werden die Mittel, die nach Abzug der nicht beeinflussbaren Kosten für Programm und Produktion übrig bleiben. Stagniert das Gesamtbudget, reduzieren sich bei steigenden Fixkosten automatisch die flexiblen Programmmittel. Und damit auch die Angebote für die Kultur.

 

Kulturradio und Kulturpolitik

 

Der Begriff „Kulturradio“ war noch nicht als Markenname gebräuchlich, als ich 1999 das „Kulturereignis“ WDR 3 zu leiten begann. Im Gegenteil: Es gab erhebliche Berührungsängste vieler Kolleginnen und Kollegen, die ihr Programm nicht auf „Kultur“ reduzieren lassen wollten. Zu Recht! Wir haben in WDR 3 intensive Diskussionen über den Kulturbegriff geführt und immer wieder über die notwendige Ausweitung des Kulturbegriffs debattiert: Selbstverständlich ist Politik ein wesentlicher Bestandteil der Kultur. Und umgekehrt sollte Kultur ein zentraler Bestandteil der Politik sein! Aber auf beiden Seiten fehlt(e) es deutlich an „Integration“.

 

2003 haben wir für WDR 3 erstmals einen ausführlichen Leitfaden für das Programm entwickelt. Darin hieß es unter anderem:

 

  • WDR 3 reflektiert das Zeitgeschehen aus der Sicht der Kultur.
  • WDR 3 spiegelt das kulturelle Leben in Nordrhein-Westfalen.
  • WDR 3 ist Mitgestalter des kulturellen Lebens in Nordrhein-Westfalen.

 

Im gleichen Jahr entstand das „Kulturpolitische Forum WDR 3“, eine Kooperation des Landessenders mit seinen Kulturpartnern. Die Kulturpartner stellen die Veranstaltungsorte, WDR 3 liefert Moderation und Technik. Anfänglich wurden zwölf Foren pro Jahr veranstaltet. Später wurden es über 40 jährlich. Bis heute sind insgesamt mehr als 700 kulturpolitische Diskussionssendungen entstanden.

 

Kulturradiofunktionen heute

 

Das „Kulturradio“ ist heute eine feste Marke in Deutschland, ebenso wie die „Kulturpartnerschaften“. Zusätzlich gehört es zu den wesentlichen Merkmalen heutiger Kulturradios, große Flächen für die Kulturberichterstattung bereitzuhalten und hochqualitative Eigenproduktionen herzustellen und auszustrahlen. Insofern können wir aktuell drei grundlegende Funktionen der ARD-Kulturradios in Deutschland festhalten:

 

  • Die Funktion als Kulturvermittler durch regionale und nationale Berichterstattung,
  • die Funktion als Kulturträger durch Produktion und Koproduktion anspruchsvoller Musik- und Wortsendungen und
  • die Funktion als Kulturvernetzer durch Herstellung von Partnerschaften und Bereitstellung von Plattformen für die Kultureinrichtungen der jeweiligen Länder.

 

Wenn es dem Kulturradio gelingt, diese Funktionen sinngerecht zu erhalten, wird es ihm auch in Zukunft nicht an Unterstützung und Zuspruch fehlen. Voraussetzung dafür ist die Öffnung und Nutzung aller Ausspielwege in der linearen und der non-linearen Medienwelt.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2021.

Karl Karst
Karl Karst ist Kulturbeauftragter des WDR-Intendanten und Sprecher des Deutschen Medienrates im Deutschen Kulturrat.
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