KW 46: Sehnsucht: Kultur im ländlichen Raum

Themen im Newsletter:

  1. Sehnsucht: Kultur im ländlichen Raum
    PS. Neustart Kultur: Ein Skandal?
  2. Einladung 29.11.: Über jeden Verdacht erhaben? – Antisemitismus in Kunst und Kultur
  3. Welttoilettentag: Hygiene-Schwerpunkt in Politik & Kultur 12/22-1/23
  4. Politik & Kultur 11/22
  5. Einladung zur Zukunftswerkstatt „Erinnern mit Games“ am 24. November in Berlin
  6. Schreibwettbewerb L’Chaim: Lesung im Badischen Staatstheater anlässlich des 9. November
  7. Hörtipp: „Macht, Autorität und Gewalt in Kultur und Kirche“
  8. Morgen: Aktionstag „Kultur gibt“
  9. Ideenwettbewerb im Programm „Engagiert für Klimaschutz“
  10. Text der Woche: „Kulturraum Friedhof“ von Tobias Pehle

 


 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

als Jugendlicher saß ich gerne auf der Mauer des Hauses meiner Familie in einem kleinen Taunus-Nest. Mein Blick schweifte immer wieder zur kleinen weißen Rundkirche hoch über dem zwei Kilometer entfernten Nachbarort. Die Kirche war der einzige wirkliche kulturelle Ort im Umkreis von vielen Kilometern. Erst Jahre später, ich besuchte die Berufsfachschule in Wiesbaden mehr als 50 Kilometer von meinem Wohnort entfernt, betrat ich eine echte Bibliothek. Ich weiß noch wie heute, wie beeindruckt und glücklich ich war, ich stand vor riesigen Regalen, durchstöberte die abgegriffenen Karteikarten in zahllosen Holzkästen und fühlte mich im Bücherhimmel. Meine Mutter unterschrieb den Antrag auf einen Bibliotheksausweis für mich und von da an konnte ich so viel Bücher ausleihen und lesen, wie ich wollte.

 

Glücklicherweise hat sich die Situation der Kulturangebote auf dem Land deutlich zum Besseren geändert. 50 Kilometer muss heute hoffentlich niemand mehr fahren, um Bücher ausleihen zu können. Besonders durch das Internet kann nun auch auf dem Land, wenn eine einigermaßen vernünftige digitale Anbindung gewährleistet ist, viel kulturelle Benachteiligung ausgeglichen werden.

 

Aber von »gleichwertigen Lebensverhältnissen« kann zwischen Stadt und Land oder armen und reichen Regionen immer noch nicht überall gesprochen werden. Im Grundgesetz Artikel 72 wird dem Bund die Gesetzgebungskompetenz eingeräumt, wenn es um die »Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet« geht. Der ebenfalls im Grundgesetz (§ 107) festgelegte Länderfinanzausgleich hat gleichfalls das Ziel, die Lebensverhältnisse in Deutschland anzugleichen.

 

Im Raumordnungsgesetz heißt es, dass überall in Deutschland – in Ballungsräumen ebenso wie in ländlichen Gebieten – »ausgeglichene soziale, infrastrukturelle, wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Verhältnisse« anzustreben sind. Kulturangebote auf dem Land zu schaffen, ist also keine politische Freundlichkeit, sondern entspricht unserer Verfassung.

 

Das heißt aber natürlich nicht, dass überall alles angeboten werden muss. Stadt und Land erfüllen bei der zur Verfügungstellung von kultureller Infrastruktur unterschiedliche Aufgaben. Das Raumordnungsgesetz spricht von »zentralen Orten«, in denen Aufgaben gebündelt werden. »Unterzentren«, »Mittelzentren« und »Oberzentren« haben unterschiedliche Aufgaben. Aber die Menschen, die auf dem Land leben, haben ebenso ein Anrecht auf kulturelle Entfaltung und Wertschätzung ihrer Kultur wie die Menschen, die in einer Großstadt leben. Die Sehnsucht nach Kultur hängt nicht vom Wohnort ab, sie ist ein Teil unseres Menschseins.

 

Ihr

 

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 

PS. Ist das Neustart Kultur Programm ein Skandal? Wir haben uns hier dazu geäußert. Um zu verstehen, was die Journalisten angetrieben hat, die im Auftrag von Deutschlandfunk-Kultur die Recherche betrieben und welche extrem schwere Last sie mit der investigativen Recherche auf sich genommen haben, sollte man sich das Gespräch der DLF-Kultur-Journalisten Emily Thomey und Christine Watty mit ihren Kollegen Peter Sim, Fabian Dietrich und Max Kuball anhören. „Ich hätte gerne mehr Bürokratie“, fordert zum Beispiel einer der Journalisten. Das ist schon schräg, denn gerade im DLF-Kultur musste ich mir bei fast jedem Interview, bei dem ich während der Pandemie Auskunft zu Neustart Kultur gab, anhören, dass die Auszahlungen aus Neustart Kultur viel zu langsam die Empfänger erreichen würden und es sollte doch endlich auf die Bürokratie verzichtet werden. Mein Fazit ist einfach, einen Skandal um Neustart Kultur gibt es nicht, er ist nur eine journalistische Fata Morgana.

 


 

2. Einladung 29. Nov. München: Über jeden Verdacht erhaben? – Antisemitismus in Kunst und Kultur

 

29. Nov. 2022, 17:00 Uhr, Bayerischer Landtag, München

 

Keynote von Dr. h.c. Charlotte Knobloch (Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern).

 

Gespräch mit Olaf Zimmermann (Geschäftsführer Deutscher Kulturrat), Stella Leder (Publizistin & Literaturwissenschaftlerin) und Lena Gorelik (Autorin) wird von einem kurzen literarischen Intermezzo eingeleitet.

 

Außerdem mit Katharina Schulze (Grüne Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag) und Marlene Schönberger (Grüne Bundestagsabgeordnete und in der Grünen Bundestagsfraktion zuständig für die Bekämpfung von Antisemitismus und Förderung jüdischen Lebens)

 

Anmeldung hier.

 


 

3. Welttoilettentag: Hygiene-Schwerpunkt in Politik & Kultur 12/22-1/23

 

Morgen ist Welttoilettentag!

Als Welttoilettentag wurde der 19. November erstmals 2001 von der Welttoilettenorganisation ausgerufen. Hintergrund ist das Fehlen ausreichend hygienischer Sanitäreinrichtungen für einen Großteil der Weltbevölkerung und dadurch bedingt verschmutztes Wasser sowie wasserbürtige Krankheiten.

 

Politik & Kultur widmet dem Thema „Hygienekultur“ in Ausgabe 12/22-1/23 einen ausführlichen Schwerpunkt. Fragen, mit denen sich die kommende Ausgabe befassen wird, sind unter anderem: Hygiene und Kultur – wie gehört beides zusammen, welche Bedeutung haben sie füreinander? Wie werden Körper – Hygiene – Gesundheit in Literatur, Kunst, Werbung etc. dargestellt? Welche Bedeutung hat Hygiene in der Religion? Wieso schimpfen wir mit Fäkalbegriffen? u.v.m.

 


 

4. Politik & Kultur 11/22

 

Die Novemberausgabe richtet den Schwerpunkt in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Museumsbund auf das Thema „Museum der Zukunft: Eine Institution im Wandel“.

 

Weitere Themen der Ausgabe:

 

  • In der Krise
    Gleichzeitigkeit der Krisen überfordert die Kultur: Kulturpolitiker und besonders Kulturstaatsministerin Claudia Roth sind jetzt gefordert.
  • Bundesarchiv
    Die öffentlichen Haushalte geben Anlass zur Sorge beim Bundesarchiv: Der Schaden für die Erinnerungskultur wäre groß.
  • Kulturraum Friedhof
    In Deutschland gibt es über 30.000 Friedhöfe. Welche Bedeutung kommt diesen zu? Inwieweit sind sie Kultur- und Naturorte?
  • Ukraine
    Raketen auf Museen und Denkmäler: Das Europäische Parlament verurteilt die Zerstörung des kulturellen Erbes der Ukraine als Kriegsverbrechen.

 

Außerdem: Iran: Bericht zur aktuellen Situation, Ukrainischer Theaterregisseur Andriy May im Gespräch, Flüchtlingsbauten als Chance für einen neuen Wohnungsmarkt in der Ukraine, UNESCO-Weltkulturkonferenz Mondiacult: UNESCO-Botschafter Peter Reuss im Gespräch, Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik: Goethe-Institut & seine Politik der leisen Töne, Stunde der Intendanten: Situation des öffentlich-rechtlichen Rundfunk, Lydia Grün im Porträt u.v.m.

 

 


 

5. Einladung zur Zukunftswerkstatt „Erinnern mit Games“ am 24. November in Berlin

 

Die Initiative kulturelle Integration lädt gemeinsam mit der Stiftung Digitale Spielekultur zu einem Werkstattgespräch zum Thema „Erinnern mit Games“ am Donnerstag, den 24. November 2022 in die Räumlichkeiten der Stiftung Topographie des Terrors ein.

 

Im Rahmen der Veranstaltung werden wir mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Erinnerungsarbeit über die Chancen und Herausforderungen des Mediums Game im Kontext ihrer Arbeit vertiefend diskutieren.

 

Hierzu werden wir am Vormittag nach einem kurzen Impulsvortrag von Dr. Martin Thiele-Schwez einen Einblick in eine „Spielung“, die kommentierte Live-Vorführung eines Computerspiels, geben. Am Nachmittag werden in zwei verschiedenen Workshops zu den Themen „Vermittlungsformate vor Ort“ und „Qualifizierung der Mitarbeitenden“ konkrete Handlungsbedarfe für den Einsatz von Games im Rahmen der Erinnerungsarbeit identifiziert.

 

 


 

6. Schreibwettbewerb L’Chaim: Lesung im Badischen Staatstheater anlässlich des 9. November

 

Wie erinnern wir an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938? Welche Erinnerungen werden 84 Jahre später erzählt? Und wie kann jüdisches Leben in Deutschland heute sichtbar werden? Diesen Fragen widmete sich der musikalisch-literarische Abend „Brücken und Brüche“ des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe mit prämierten Texten des Schreibwettbewerbs „L’Chaim: Schreib zum jüdischen Leben in Deutschland!“ in einer Collage mit musikalischen Werken von jüdischen Komponistinnen und Komponisten.

 

Der Schreibwettbewerb war eine gemeinsame Aktion der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, des Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, des Zentralrats der Juden in Deutschland und der Initiative kulturelle Integration, um im dritten Jahr nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle ein Zeichen der Solidarität und des Zusammenhalts zu setzen.

 

  • Die prämierten Texte sind alle in einer Broschüre veröffentlicht, die Sie hier digital einsehen können.
  • Hier können Sie ein gedrucktes Exemplar der Broschüre bestellen.

 


 

7. Hörtipp: „Macht, Autorität und Gewalt in Kultur und Kirche“

 

Künstlerische Autorität ist notwendig für künstlerische Prozesse. Was aber, wenn diese Macht missbraucht wird? Im Bereich der Kirche stellt sich diese Frage ähnlich, aber auch anders: Geistliche Autorität führt auch hier zur Verleihung von organisatorischer Macht, aber typischerweise in einer Organisation, zu deren Grundsätzen soziale Gerechtigkeit und Stärkung der Schwachen gehört.

 

Mit:

 

  • Prof. Dr. Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
  • Maren Lansink, Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt in der Kulturbranche
  • Ivana Rohr, Künstlerin
  • Eva Spaeth, Leiterin des Mädchenchors an der Sing-Akademie Berlin und Psychologin

 

Moderation: Dr. Hans Dieter Heimendahl, Deutschlandfunk Kultur

 

Die Veranstaltungsreihe findet in Kooperation mit dem Deutschen Kulturrat, der Initiative kulturelle Integration, dem Kulturbüro der EKD und Deutschlandfunk Kultur statt.

 

 


 

8. Morgen: Aktionstag „Kultur gibt“

 

Egal ob Dancefloor oder Staatsballett, Museum oder Malkurs, im Chor singen oder Konzert besuchen – all das macht die DNA unseres Zusammenlebens aus: Kultur gibt Energie, zu denken, Applaus, gute Laune, Verständigung, Inspiration, Zusammenhalt und vor allem jedem etwas anderes.

 

Deswegen setzen Kulturschaffende aus verschiedenen Städten der Bundesrepublik gemeinsam mit vielen weiteren Sympathisantinnen und Sympathisanten am 19. November 2022 ein Zeichen für die Kultur in Deutschland, deren Bedeutung für unser Zusammenleben bei allen Krisen, die uns derzeit umtreiben, nicht aus den Augen verloren werden darf. Denn Kultur gibt Zukunft!

 

Die Initiative für die Kultur in Deutschland will mit dem Kultur gibt – Aktionstag 2022 diese Bedeutung des Kulturlebens ins Bewusstsein rufen: in der ganzen Vielfalt und als Verständigungsraum für die demokratische Gesellschaft.

 

 


 

9. Ideenwettbewerb im Programm „Engagiert für Klimaschutz“

 

Die 2. Bewerbungsphase für den Ideenwettbewerb im Programm ENGAGIERT FÜR KLIMASCHUTZ des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement ist gestartet: Bis zum 28. Februar 2023 können sich engagierte Organisationen bewerben, die das Thema Klimaschutz im Engagementfeld zivilgesellschaftlicher Organisationen (Sport, Kultur, Jugend, Bildung, Migration und Integration, Bevölkerungs- und Katastrophenschutz u. a.) aktiv stärken und (weiter-)entwickeln möchten. Neben innovativen Ideen geht es insbesondere darum, (neue) Kooperationen und Synergien auf Verbands-, Vereins- und Organisationsebene auf den Weg zu bringen.

 

Jedes Projekt kann mit bis zu 50.000 Euro über einen Projektzeitraum von 1 bis 1,5 Jahren gefördert werden. Die Projektpartner erhalten zudem Unterstützung in Form von Beratung, von Wissenstransfer mit weiteren Partnern und dem Austausch von Expertise und Ideen.

 

  • Alle Informationen zum Ideenwettbewerb und dem Bewerbungsverfahren finden Sie hier.
  • Mehr Informationen zum Programm finden Sie hier.

 


 

10. Text der Woche: „Kulturraum Friedhof“ von Tobias Pehle

 

30.000 Kulturräume, von Hunderttausenden gestaltet und millionenfach besucht: Die Friedhöfe in Deutschland sind unverzichtbare Gedächtnislandschaften unserer kulturellen Identität und zugleich unsere größten Skulpturenparks, grünsten Philosophieforen, lebendigsten Geschichtsbücher. Und dennoch bleiben sie vom kulturpolitischen Radar weitgehend unbeachtet, werden oft als gestrig abgekanzelt und feuilletonistisch ignoriert. Das gilt es zu ändern!

 

Kultur, die man unmittelbar erleben und mitgestalten kann, die niedrigschwellig alle Bevölkerungsschichten erreicht sowie auf breiter Ebene an- und wahrgenommen wird: Welches Museum, welches Theater, welches Konzerthaus würde dies nicht gerne für sich beanspruchen? Wonach man sich andernorts in der deutschen Kulturlandschaft streckt, ist im Kulturraum Friedhof selbstverständlich.

 

Tobias Pehle ist Geschäftsführer des Kuratoriums Immaterielles Erbe Friedhofskultur, dem Partner der Deutschen UNESCO-Kommission für diese Kulturform.

 

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