14. KW: Dekolonisation im Bundestag, Integration durch und mit Medien, Kostenfrei Wachgeküsst, …

... Veranstaltung: Neue Träume für Europa, Postdigitale Arbeitswelt

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

vorgestern führte der Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestags eine Anhörung zum Thema Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten durch. Grundlage waren Anträge der FDP-Fraktion (19/8545) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/7735) vor. Befragt wurden neun Sachverständige aus der Wissenschaft und Museen.

 

Mit Blick auf die Museen führte Wiebke Ahrndt, Direktorin des Übersee-Museum Bremen und Leiterin des Arbeitskreises des Deutschen Museumsbundes zu Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, aus, dass die Provenienzforschung in den Museen zu den Kernaufgaben zählt. Sie bezeichnete es als eine moralische Pflicht, sich mit der Herkunft der Objekte auseinanderzusetzen und bedauerte, dass diese Aufgabe vielfach vernachlässigt wurde. Damit die Museen dieser Aufgabe nachkommen können, bedarf es einer entsprechenden dauerhaften finanziellen und personellen Ausstattung. Weiter nannte sie als wesentliches Anliegen Transparenz über die Bestände und deren Herkunft – auch gegenüber den Herkunftsgesellschaften. Hierfür sind Investitionen in die Digitalisierung von Objekten und der Bereitstellung der entsprechenden Metadaten erforderlich. Gleichfalls führte sie aus, dass es in der Vergangenheit Rückgaben von Objekten gab und es in Gegenwart und Zukunft weitere Rückgaben geben wird. Sie gab allerdings zu bedenken, dass teilweise gar keine Rückgabeforderungen vorliegen oder aber nur einzelne Objekte aus Objektgruppen zurückgefordert werden. Auch wenn das Thema jetzt aktuell ist, müsse mit Sorgfalt gearbeitet werden. Entscheidend ist für sie der Dialog auf Augenhöhe.

 

Manuela Bauche, Freie Universität Berlin und Bündnis Decolonize Berlin, ging in ihrem Statement vor allem auf den Kolonialismus als Herrschaftsinstrument ein. Sie beklagte, dass in Deutschland der Kolonialismus immer noch positiv gesehen wird. Kolonialismus wird, so Bauche, immer noch nicht als Unrecht anerkannt. Der Kolonialismus beruhte auf Gewalt, Zwangsarbeit, militärischen Aktionen und unterschiedlichen Rechtssystemen für Europäer und Kolonisierte. Sie forderte von der Bundesregierung eine klare Aussage, dass Kolonialismus Unrecht ist. Diese Aussage bilde dann die Grundlage für Entschädigungen.

 

Der Generaldirektor des Königlichen Museums für Zentralafrika in Tervuren (Belgien) Guido Gryseels schickte seinen Ausführungen voraus, dass König Leopold II. im Kongo eines der grausamsten Kolonialregime führte. Hiermit muss und wird sich in Belgien auseinandergesetzt. Das Königliche Museum für Zentralafrika hat eine der größten afrikanischen Sammlungen der Welt. Es ist erst vor kurzem nach einer Renovierung wiedereröffnet worden. Hierbei galt es, sich der eigenen Kolonialgeschichte zu stellen und dem Museum einen neuen Sinn zu geben – weg von einer „Propaganda“ hin zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. In Belgien fehlte bislang die rechtliche Grundlage zur Rückgabe von Objekten. Wesentliche Aufgaben sind derzeit, die Objekte zu inventarisieren und ihre Provenienz zu erforschen. Dieses ist nicht einfach, weil viele Objekte durch Missionare in das Museum gekommen sind und die Herkunft unbekannt ist. Objekte mit symbolischer Bedeutung müssen ohne Frage ebenso wie menschliche Überreste so shcnell wie möglich zurückgegeben werden. Hier stellt sich allerdings teilweise das Problem, an wen sie zurückgegeben werden können. Als weitere Schwierigkeit erweist sich, dass die Demokratische Republik Kongo über keine entsprechenden Museen verfügt und das Land durch Krieg und Bürgerkrieg geprägt ist. Sie sehen es als ihre Aufgabe an, die Fähigkeiten vor Ort zu stärken.

 

Mit der Erinnerung an den Kolonialismus setzte sich Rebekka Habermas, Georg-August-Universität Göttingen, auseinander. Sie sprach an, dass nach dem 1. Weltkrieg in Deutschland eine Kolonialnostalgie einsetzte und eine Auseinandersetzung mit der alltäglichen Willkür in den Kolonien und der strukturellen Bereicherung der europäischen Staaten nicht stattfand. Weiter nahm sie besonders die Rolle der Missionsstationen und der Missionare in den Blick. Sie leisteten einerseits dem Kolonialismus Vorschub, in dem sie das immer noch wirkmächtige Narrativ der höherstehenden europäischen Kultur prägten. Andererseits bereiteten sie mit den Ideen von Gleichheit teilweise auch den Boden für die koloniale Befreiung. Habermas vertrat die Auffassung, dass die Erinnerung an den Kolonialismus die Chance für eine neue Beziehung zu den ehemals Kolonisierten in sich birgt. Aus Respekt vor der Vergangenheit kann die Zukunft gestaltet werden. Einen Beitrag hierzu kann eine offensive Restitutionspolitik leisten.

 

Gleich zu Beginn der Anhörung stellte Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, klar, dass der Kolonialismus nicht beschönigt werden darf. Die Dekolonisation ist Aufgabe der ganzen Gesellschaft, der sich angesichts einer immer diverseren Gesellschaft, die durch Zuwanderung geprägt ist, gestellt werden muss. Die Museen wissen seines Erachtens, dass sie sich bewegen müssen. Restitution findet statt, so Parzinger, und werde weiter stattfinden. Dazu gehören die entsprechenden haushaltsrechtlichen Grundlagen, die geschaffen werden müssen. Die Beweislastumkehr funktioniert, d.h., dass die Museen bei Rückgabeersuchen den rechtmäßigen Erwerb nachweisen müssen. Dazu gehört allerdings ebenfalls, der Provenienzforschung die entsprechende Aufmerksamkeit zu schenken. Hierfür ist fach- und sachkundiges Personal von Nöten. Als Missstand beschreibt Hermann Parzinger, dass vielfach Provenienzforschung im Rahmen von befristeten Projekten stattfindet. Läuft ein Projekt aus, gehen auch die gut eingearbeiteten und qualifizierten Mitarbeiter verloren. Hier sind mehr dauerhafte Stellen erforderlich. Parzinger stellt die anstehenden Aufgaben in einen internationalen Kontext, die nur durch einen Dialog und wissenschaftlichen Austausch auf Augenhöhe zu lösen sind. Er erinnert an Erfahrungen mit der Washingtoner Erklärung bei der Restitution NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut. Etwas Vergleichbares könnte er sich auch für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten vorstellen. Keinen Zweifel ließ Parzinger an der erforderlichen Rückgabe menschlicher Überreste. Was das Humboldt Forum betrifft, so hält er einen Erinnerungsort an das Kolonialgeschehen für unverzichtbar.

 

Ludwig von Pufendorf, Staatssekretär a.D., stellte gleich zu Beginn klar, dass er kein Experte zum Thema Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten ist. Er plädierte dafür, die Provenienzforschung vielseitig anzulegen und Recht und Moral nicht zu trennen. Gerechte und faire Lösungen müssen innerhalb des rechtlichen Rahmens geschaffen werden.

 

Mit Verve unterstrich Bénédicte Savoy, Technische Universität Berlin, in ihrem Statement, dass es sich um kein neues Thema handelt. Sie kritisierte die Bundesregierung, die in parlamentarischen Anfragen zum Umfang von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Museen unzureichend Auskunft gibt, obwohl ein Blick in Kataloge, Inventarlisten und Publikationen der Museen der 1960er und 1970er Jahre die Informationen bereithält. Erkenntnisse qualitativer Art finden sich in alten Museumspublikationen. Weiter verwies sie auf eine europäische Diskussion zu dem Thema von 1978-1982 hin und zitierte die damalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt Hildegard Hamm-Brücher, die sich explizit für Rückgaben ausgesprochen hatte. Savoy führte weiter aus, dass, wie Akten aus dem politischen Archiv des Auswärtigen Amts belegen, die Museen aktiv vor Provenienzrecherchen gewarnt und sich entschieden gegen Rückgaben ausgesprochen haben, sodass die Diskussion im Sande verlief. Sie folgerte hieraus, dass der aktuelle Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten nicht den Museen überlassen werden dürfe und forderte eine unabhängige Historikerkommission.

 

Auf die Frage des Umgangs mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten ging Louis Henri Seukwa, Hochschule für Angewandte Wissenschaften, in seinem Statement nur am Rande ein. Er widmete sich vor allem der Aufarbeitung des Kolonialismus an sich. Dabei konstatierte er ein nach wie vor bestehendes strukturelles Ungleichgewicht zwischen Europa und den ehemals Kolonisierten. Seines Erachtens muss die Geste zur Versöhnung von Europa ausgehen. Teilhabe und Dialog mit den ehemals Kolonisierten sind erforderlich für globale Solidarität.

 

Abschließend kam Johannes Vogel, Generaldirektor des Naturkundemuseums Berlin, in der Anhörung zu Wort. Er legte in seinem Statement den Akzent auf die internationale Zusammenarbeit und das Arbeiten für die Eine Welt. Er gesteht zu, dass bei der Provenienzrecherche trotz aller aktuellen Anstrengungen auch in Naturkundemuseen noch Luft nach oben ist, legte den Hauptakzent aber auf die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit und die Kooperation mit den Ländern des globalen Südens. Es geht darum miteinander zu handeln und gemeinsam für eine nachhaltige Welt zu arbeiten.

 

Was bleibt von der Anhörung in Erinnerung? Der Vorwurf von Bénédicte Savoy, dass die Museen in der Vergangenheit Provenienzrecherche und Rückgaben hintertrieben haben und daher statt der Museen eine unabhängige Historikerkommission sich des Themas annehmen müsse. Was sich so wohlfeil anhört, würde angesichts der Vielzahl der in Deutschland betroffenen Museen und den vielen Objekten letztlich eine Verschiebung auf den St. Nimmerleinstag bedeuten. Nein, ich denke, die Museen müssen in ihren Bestrebungen gestärkt werden, sich mit ihren Sammlungen zu befassen, die Provenienz zu erforschen, die Objekte zusammen mit den Metadaten digital zugänglich zu machen. Und ich vermute, dass auch die Bibliotheken sich mit dem Thema beschäftigen müssen. Hierfür müssen die Kultureinrichtungen entsprechend personell und finanziell ausgestattet werden. Dieses Thema ist eine Langzeitaufgabe, die auch dann noch bedeutend ist, wenn sich der Diskurs längst einer anderen Fragestellung zugewandt hat. Diese Aufgabe lässt sich nicht mit Besucherzahlen, mit Besprechungen oder Änlichem messen, aber sie ist eine Kernaufgabe der Museen.

 

Darüber hinaus ist eine gesellschaftliche Diskussion zum Kolonialismus und seinen Auswirkungen bis in unsere Gegenwart erforderlich. Diese Diskussion muss breit in Deutschland, in Europa und international geführt werden. Erst vor wenigen Tagen war eine Vertretung des niederländischen Kulturministerium bei mir, um sich über die Einschätzung des Deutschen Kulturrates zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten zu informieren. Der Deutsche Kulturrat hat hierzu ein Positionspapier verfasst. Der Diskurs wird, durchaus kontrovers, in Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, geführt. Ich bin gespannt auf die weiteren Debatten.

 

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates

twitter.com/olaf_zimmermann

 

PS. Lesen Sie zum Thema das Dossier des Deutschen Kulturrates: Koloniales Erbe – Was ist jetzt zu tun?

 


Integration durch und mit Medien: Staatsministerin Widmann-Mauz lud zum Gespräch

 

Welche Rolle spielen Menschen mit Migrationshintergrund in den Medien im Jahr 2019? Wie beeinflussen Soziale Medien unsere Sicht auf Migration und Integration? Welche Medienangebote gibt es für Einwanderer? Das sind nur einige der Fragen, die bei der Auftaktsitzung des Dialogforums „Medien und Integration“ intensiv diskutiert wurden.

 

Über Medienschaffende, Verbandsvertreter und Wissenschaftler, darunter für den Deutschen Kulturrat und die Initiative kulturelle Integration, Olaf Zimmermann, waren der Einladung der Integrationsbeauftragten Annette Widmann-Mauz ins Bundeskanzleramt hierzu gefolgt.

 


 

Wachgeküsst – jetzt auch als kostenfreies E-Book

 

Das Buch „Wachgeküsst. 20 Jahre neuen Kulturpolitik des Bundes 1998-2018„ hat sich seit seinem Erscheinen vor einem halben Jahr zum Kulturratsbestseller entwickelt. Das Buch bietet einen Überblick über die wichtigsten Themen der Bundeskulturpolitik der letzten zwanzig Jahre.

 

Jetzt kann das Buch auch als kostenfreies E-Book (pdf) gelesen werden.

 

Themen:

 

Urheberrecht, Kulturgutschutz, Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten, Provinienzforschung, Filmförderung, Religion, Medien, Stiftungsreform, Künstlersozialversicherung, Kulturwirtschaft, Computerspiele, Erinnerungspolitik, Reformation, Digitalisierung, Kulturfinanzierung, Inklusion, Vielfalt und Diversität, das komplizierte Verhältnis zwischen Bund und Ländern in Kulturfragen, Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, …

 


 

Jetzt Sonntag: Reden über Veränderung – Neue Träume für Europa

 

In der zweiten Ausgabe der Diskussionsreihe „Reden über Veränderung“ sprechen Roger de Weck, Ulrike Guérot, Johann König und Maryam Zaree über die Zukunft unserer internationalen Gemeinschaft.

Eine Veranstaltung des Deutschen Kulturrates, des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der Initiative kulturelle Integration und der Berliner Festspiele in Zusammenarbeit mit Deutschlandfunk Kultur.

 

  • Sonntag, 07.04.2019
  • 11:00 — 12:30
  • Haus der Berliner Festspiele

 

Eintritt frei

 


 

Kulturvisionärer Salon in der Akademie der Kulturellen Bildung diskutierte Zukunftsfragen der postdigitalen Arbeitswelt

 

Wie verändern digitale Techniken, Robotik und künstliche Intelligenz die Arbeitswelt von Morgen? Wie würden wir diese gerne gestalten? Und welche Rolle spielen Kunst und Kultur? Unter dem Titel „Brot und Spiele?“ diskutierte am 2. April in der Akademie der Kulturellen Bildung im Remscheid der österreichische Philosoph Armen Avanessian, der Kulturpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion NRW, Andreas Bialas, und der Präsident des Deutschen Designtags und Vize-Präsident des Deutschen Kulturrats, Boris Kochan. Die Akademie-Direktorin Prof. Dr. Susanne Keuchel und Präsidentin des Deutschen Kulturats moderierte die Diskussion.

 


 

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