KW 14: Kolonialismus-Debatte: Bestandsaufnahme & Konsequenzen, Programm: Kultursommer 2021, Soziale Lage der Künstlerinnen, Künstler und Kreativen im Bundestag, …

... Politik & Kultur 4/21 ist erschienen, Kulturhilfen von Bund und Länder in der Corona-Krise, Text der Woche

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

vor mehr als 100 Jahren, mit dem Abschluss des Versailler Vertrages, verlor Deutschland alle „seine“ Kolonien. Der Friedensvertrag zwischen dem Deutschen Reich und den Alliierten wurde am 28. Juni 1919 unterzeichnet und trat am 10. Januar 1920 in Kraft. Damit endete die verhältnismäßig kurze Zeit der deutschen Kolonien. 1884 hatte Deutschland Territorien in Afrika, die deutsche Kaufleute erworben hatten, zu staatlichen Schutzgebieten erklärt und damit das deutsche „Kolonien-Zeitalter“ begründet, wenn auch schon acht Jahre vorher „Besitz und Rechte“ für das Deutsche Reich in Übersee erworben wurden. Deutsch-Neuguinea, heute nördlicher Teil Papua-Neuguineas; Deutsch-Ostafrika, heute Tansania, Burundi und Ruanda; Deutsch-Südwestafrika, heute Namibia; Kamerun; Karolinen, Palau und Marianen (Westpazifik); Kiautschou (Nordostchina); die Marshall-Inseln, Nauru und die Samoa-Inseln, heute Samoa (alle im Pazifik) und Togo waren deutsche Kolonien.

 

Die Niederschlagung von Aufständen der Herero und Nama gegen die deutsche Kolonialmacht in Deutsch-Südwestafrika zeigen exemplarisch die Brutalität der Kolonialherren. Es ging in den Kolonien um die Ausbeutung der Ressourcen der Länder und dabei ist man oftmals skrupellos mit Menschenleben umgegangen. Die deutschen Kolonien waren in erster Linie ein perfides Geschäftsmodell. Doch war 1884 weder der Beginn noch 1920 das Ende der Verstrickungen Deutschlands in den Kolonialismus. Die frühen Handelshäuser, die Missionare und auch Forschungsreisende wie der berühmte Alexander von Humboldt waren Boten des globalen Kolonialismus. Und auch nach 1920 ist Deutschland weiter Kolonialmacht, wenn auch ohne eigene Kolonien.

 

Heute braucht man zur Marktfähigmachung der Welt keine Kolonien mehr, sondern nutzt das Instrumentarium der sogenannten Freihandelsabkommen, um sich oftmals Handelsvorteile auf Kosten der Länder des Südens zu verschaffen. TTIP, CETA & Co. sind deshalb auch im Kulturbereich sehr umstritten.

 

Jetzt, 100 Jahre nachdem Deutschland „seine“ Kolonien verloren hat, beginnt endlich die substanzielle Debatte.

 

Zuerst einmal muss man wissen, um welche Artefakte, menschlichen Gebeine und Kunstwerke in den Ethnologischen Museen und Sammlungen es geht. Die Applied Botany Collection (ABC) der Universität Hamburg, die Bonner Amerikas-Sammlung (BASA Museum), die Ethnografische Studiensammlung der Johannes Gutenberg Universität Mainz, das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin (SPK), das Linden-Museum in Stuttgart, das Medizinhistorische Museum der Charité in Berlin, das Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK) in Hamburg, das Museum Fünf Kontinente in München, das Museum für Naturkunde Berlin, das Museum Wiesbaden – Hessisches Landesmuseum für Kunst und Natur, das Nordfriesland Museum in Husum, die fünf Museen des PAESE-Verbundprojektes (Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg, Roemer- und Pelizaeusmuseum in Hildesheim, Städtisches Museum in Braunschweig, Ethnologisches Museum der Universität Göttingen), die Philipps Universität Marburg, das Rautenstrauch Joest Museum – Kulturen der Welt in Köln, die Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen im Verbund der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die Staats- und Universitätsbibliothek Bremen (SuUB), die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, das Übersee Museum in Bremen, die Universität Bayreuth – Institut für Afrikastudien, und die Universität Freiburg, werden ihr Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten bald über eine zentrale Internetadresse öffentlich auffindbar machen. Ein erster, ein wichtiger Schritt.

 

Unter welchen Bedingungen sind die Artefakte, menschlichen Gebeine und Kunstwerke in die Ethnologischen Museen gekommen? Diese Frage muss schnell und trotzdem gründlich beantwortet werden. Das gilt auch für die Missionssammlungen.

 

Die Diskussionen um die Konzeption des Humboldt Forums in Berlin, das hoffentlich irgendwann in diesem Jahr dem Publikum geöffnet werden kann, hatte die Debatte positiv befördert. Der Kulturbereich wird sich der Verantwortung stellen und natürlich werden Bestände aus den Ethnologischen Museen, wenn sie unrechtmäßig erworben wurden, zurückgegeben werden. Dazu gehören auch die zum Symbol für koloniale Raubkunst gewordenen Benin-Bronzen. Doch mit diesen notwendigen Rückgaben ist die Debatte mitnichten zu Ende.

 

Die Frage nach der Aufarbeitung unserer kolonialen Vergangenheit ist viel tiefgreifender. Deutschland muss sein koloniales Verhalten HEUTE hinterfragen. Wir dürfen zum Beispiel keine Freihandelsabkommen zulasten des globalen Südens mehr abschließen. Der globale Süden braucht nicht mehr deutsche Entwicklungshilfe, sondern echte Teilhabemöglichkeit am globalen Handel und am Kulturaustausch. In Coronazeiten ist diese Forderung noch wichtiger geworden!

 

Ihr

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
Twitter: olaf_zimmermann


 

Kolonialismus-Debatte: Bestandsaufnahme und Konsequenzen

 

Wie so oft, ist auch bei der Kolonialismus-Debatte der Kulturbereich der Katalysator, der die Diskussion in Schwung bringt. Es geht um die Bedingungen unter denen Artefakte, menschliche Gebeine und Kunstwerke in Ethnologische Museen gekommen sind. Welche Verantwortung hat der deutsche Staat heute, wie kann Wiedergutmachung aussehen? Aber nicht nur der Staat steht in der Verantwortung. Welche Rolle haben die Missionen gespielt und wie ist das Verhältnis der Kirche zum globalen Süden heute? Es wird gefragt, welche Konzeption für das Humboldt Forum, das zukünftige nationale Museum der Weltkulturen in Berlin, die Beste ist? Was ist eigentlich Kolonialismus, Postkolonialismus oder Dekolonisation?

 

59 Autorinnen und Autoren haben sich in Politik & Kultur, der Zeitung des Deutschen Kulturrates, mit diesen Themen intensiv beschäftigt. Sie haben Bestandsaufnahmen verfasst und Konsequenzen gefordert. Ihre Texte sind in dem Buch gesammelt.

 

„Pflichtlektüre für alle, die sich mit dem Thema befassen“, schreibt der Informationsdienst Kunst (Nr. 690) über das Buch. Und weiter: „Kolonialismus-Debatte: Bestandsaufnahme und Konsequenzen enthält über 60 Beiträge der wichtigsten Experten und beleuchtet das Phänomen von allen Seiten, mal sachlicher, mal polemischer.“

 

 

Kolonialismus-Debatte: Bestandsaufnahme und Konsequenzen
Hg. v. Olaf Zimmermann und Theo Geißler
ISBN 978-3-947308-18-7, Okt. 2019
179 Seiten, 14,80 Euro

 


 

Kultursommer 2021

 

Die Corona-Pandemie hat den Kulturbereich schwer getroffen: Museen, Theater, Clubs und Konzerthäuser waren die ersten, die schließen mussten, Veranstaltungen wurden verschoben oder abgesagt. Viele Kunst- und Kulturschaffende verloren damit die Möglichkeit, ihre Arbeit vor einem Live-Publikum zu präsentieren.

 

Um Künstlerinnen und Künstlern wieder Auftrittsmöglichkeiten und der Kultur- und Veranstaltungsbranche eine Perspektive zu eröffnen, lobt die Kulturstiftung des Bundes kurzfristig das antragsoffene Förderprogramm Kultursommer 2021 aus. Der Bund stellt für die Fördermaßnahme insgesamt bis zu 30,5 Mio. Euro aus dem Rettungs- und Zukunftsprogramm NEUSTART KULTUR bereit. Der Kultursommer 2021 soll zu einer verantwortungsvollen kulturellen Wiederbelebung der Städte beitragen und bundesweit mehr als 100 kreisfreie Städte und Landkreise bei der Gestaltung eines neu entwickelten, vielfältigen Kulturprogramms unterstützen.

 

Mit Open-Air-Konzerten, Theateraufführungen, Lesungen, Performances, Ausstellungen und anderen Formaten im öffentlichen Raum soll das kulturelle Leben aus dem digitalen Raum wieder in die urbane Öffentlichkeit verlagert und die analoge Begegnung zwischen Kulturschaffenden und ihrem Publikum ermöglicht werden. Interaktionen zwischen Künstlern und Publikum können unter Berücksichtigung der geltenden Corona-Schutzverordnungen gestaltet und künstlerische Arbeiten, die während des Lockdowns entstanden sind, einer größeren Öffentlichkeit präsentiert werden.

 

Die Förderung wird insbesondere freischaffenden Künstlerinnen und Künstlern, den Freien Szenen, lokalen Kulturakteuren und Bündnissen sowie der ansässigen Kultur- und Veranstaltungsbranche zugutekommen.

Antragsberechtigt sind kreisfreie Städte und Landkreise. Voraussetzung für die Förderung im Programm ist, dass die Antragsteller neben einem neu entwickelten, vielfältigen Kunst- und Kulturprogramm ein Hygienekonzept für die geplanten Veranstaltungen umsetzen. Regelmäßig stattfindende Festivals wie etwa jährliche Sommerfestivals oder Stadtfeste können nicht gefördert werden – gefördert werden jedoch Veranstaltungen, die zusätzlich dazu stattfinden. Förderanträge können bis zum 22. April 2021 ausschließlich über das Online-Antragsformular eingereicht werden.

 

Alle Informationen zu den Förderbedingungen – etwa, wer antragsberechtigt ist, welche Vorhaben im Programm gefördert werden, welche Unterlagen für einen Antrag einzureichen sind und in welcher Höhe gefördert wird – finden Sie auch in den Fördergrundsätzen.

 

Gerne beantwortet die Kulturstiftung des Bundes in einer Online-Fragestunde Ihre offenen Fragen zu den Förderbedingungen.

 

Online-Fragestunde: Montag, 12. April 2021, 14–15 Uhr


 

Fachgespräch im Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundeastages: Soziale Lage der Künstlerinnen, Künstler und Kreativen

 

Am 14. April 2021, 14:00 Uhr findet das leider nicht öffentliche Fachgespräch zur sozialen Lage der Künstlerinnen, Künstler und Kreativen im Kulturausschuss des Deutschen Bundestages statt.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer:

  • Andreas Bräunig, Freie Ensembles und Orchester in Deutschland e. V. (FREO)
  • Leif Greinus, Kurt Wolff Stiftung zur Förderung einer vielfältigen Verlags-und Literaturszene
  • Ulrich Meinhard, Verband der Agenturen für Film, Fernsehen und Theater e. V. (VdA)
  • Dagmar Schmidt, Bundesverband Bildender Künstlerinnen und Künstler e. V. (BBK)
  • Gabriele Schulz, Deutscher Kulturrat e. V.

 

Lesen Sie dazu unsere aktuelle Studie: Frauen und Männer im Kulturmarkt: Bericht zur wirtschaftlichen und sozialen Lage.


 

Politik & Kultur 4/21 ist erschienen

 

Themen:

  • L’Chaim – Auf das Leben!
    Jüdischer Alltag in Deutschland
  • Kulturfinanzierung
    Länder und Kommunen müssen die adäquate Vergütung einer künstlerischen Leistung sicherstellen
  • Amateurmusik
    Endlich gibt es einen NEUSTART für die 14 Millionen musizierenden Amateure in Deutschland: Wie kann er gelingen?
  • Oralität in Afrika
    Der afrikanische Kontinent ist von mündlicher Wissensweitergabe geprägt: Wie funktioniert die Kunst des Erzählens?
  • Die Rote Liste 2.0
    Welche Musikfestivals und Kunstmessen fallen coronabedingt erneut aus?

 


 

Corona-Hilfen von Bund und Ländern

 

Bundesländer und der Bund haben Hilfsmaßnahmen für Unternehmen und Soloselbständige aus dem Kulturbereich aufgelegt. Ebenso haben verschiedene Bundesländer und der Bund Maßnahmen für öffentlich geförderte Kultureinrichtungen bzw. Projekte auf den Weg gebracht.

Nachfolgend sind die Maßnahmen des Bundes aufgeführt. Die Aufzählung wird fortlaufend aktualisiert.

 

 

Nachfolgend sind die Maßnahmen der Länder aufgeführt. Die Aufzählung wird fortlaufend aktualisiert.


 

Text der Woche: Rolf Schmachtenberg „Balanceakt in der Krise – Künstlersozialversicherung und Corona

 

Wegbrechende Einnahmen führen dazu, dass viele Kunst- und Kulturschaffende auch nach kurzfristigen Auswegen und Alternativen jenseits ihres künstlerischen Schaffens suchen. Sie empfinden dies häufig als Abwertung und mitunter auch als persönliche Kränkung. Wenn sich dann der Ausweg über eine neue Tätigkeit auf ihre Absicherung nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) auswirkt, irritiert dies. Rufe nach gesetzlichen Änderungen finden Echo in der Szene und in den Medien. Tenor: Die Versicherung in der Künstlersozialversicherung müsse ausgebaut werden, sie dürfe nicht enden, wenn Künstlerinnen und Künstler in Zeiten der Pandemie mehr als nur geringfügige Nebeneinkünfte aus einer nicht-künstlerischen Tätigkeit erzielen. Die entsprechenden Zuverdienstgrenzen müssten erhöht werden.

 

Rolf Schmachtenberg ist Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

 

Lesen Sie den Text hier!

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