KW 2: Kulturdebatte im Bundestag, Parlamentspoet, Studien des Deutschen Kulturrates, …

... "Goethes Welt" in Politik & Kultur, Neue Mitarbeiterin, Text der Woche

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

gestern später Nachmittag fand im Deutschen Bundestag die erste Debatte zur Kulturpolitik in dieser Wahlperiode statt. In dieser Sitzungswoche stellen die neuen Bundesministerinnen und -minister ihre Vorhaben für diese Wahlperiode vor. Abgeordnete aus Regierungs- und Oppositionsfraktionen setzen ihre Akzente.

 

Die drei im Bundeskanzleramt angesiedelten Beauftragten kamen in einem verbundenen Tagesordnungspunkt zu Wort. Als erstes hatte der Beauftragte für Ostdeutschland Staatsminister Carsten Schneider, MdB (SPD) das Wort. Er unterstrich, dass das Thema Ostdeutschland alle angeht und Diskussionen zur Zukunft Ostdeutschlands nicht nur unter Ostdeutschen geführt werden dürfe. Er forderte zu mehr Selbstbewusstsein auf, da Ostdeutsche in den letzten Jahren mit allen Brüchen bewiesen haben, dass Transformation gelingen kann.

 

In ein ähnliches Horn wie Carsten Schneider tutete Hagen Reinhard, MdB (FDP), der zur Gestaltung von Transformation aufrief und unterstrich, dass West- von Ostdeutschen lernen könnten, die bereits eine Transformation bereits durchlebt haben.

 

Weniger „transformativ“ bzw. mit weniger Erwartungen an eine Transformation ging es bei den Kulturpolitikerinnen und -politikern zu. Aufgrund von Quarantäne konnte Kulturstaatsministerin Claudia Roth, MdB (Bündnis 90/Die Grünen) nicht sprechen, was von Dorothee Bär, MdB (CDU/CSU) mit Bedauern festgestellt wurde. Bär hob in ihrem Beitrag die erheblichen Etatsteigerungen hervor, die in den letzten 16 Jahren im Etat der CDU-Kulturstaatsminister und -ministerin erreicht wurden. Hieran müsse die neue Bundesregierung gemessen werden. Als einen wichtigen Schwerpunkt, der ihres Erachtens zu wenig im Koalitionsvertrag Berücksichtigung gefunden hat, nennt sie die Kultur in den ländlichen Räumen. Sie befürchtet angesichts der derzeit stark international ausgerichteten Kulturpolitik des Bundes, dass die kulturelle Vielfalt in Deutschland aus den Augen gerät.

 

Marc Jongen, MdB (AfD) befürchtet, dass künftig „Ethno-Quoten“ statt Qualität die Kultur bestimmen und dass das Bewusstsein für Deutschland als Kulturnation verloren gehe. Darüber hinaus würde durch ideologische Green Culture-Vorhaben die Freiheit der Kultur beschnitten.

 

Statt Claudia Roth skizzierte Erhard Grundl, MdB (Bündnis 90/Die Grünen) die im Koalitionsvertrag festgelegten kulturpolitischen Vorhaben. Angefangen von der besseren Absicherung von Solo-Selbständigen, über die Erinnerungskultur, das Erfordernis nach mehr Weltoffenheit gemischt mit Kritik an der Inschrift an der Kuppel des Humboldt Forums bis hin zur Beratungsstelle Green Culture, die sich an Kulturschaffende richten soll, umriss er die wesentlichen Aspekte grüner Kulturpolitik, die in den Koalitionsvertrag Eingang gefunden haben.

 

Martin Renner, MdB (AfD) sprach von der Tribüne des Plenalsaales aus, auf der die ungeimpften bzw. nicht-genesenen Abgeordneten Platz nehmen müssen und geißelte Medien und Wissenschaft als vom Staat gelenkt. Er rief den Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Querdenkerdemonstrationen zu, dass sie für Meinungsfreiheit stünden.

 

Thomas Hacker, MdB (FDP) sprach sich gleich zu Beginn für das Staatsziel Kultur aus und erinnert daran, dass, wenn nach der FDP gegangen wäre, es schon längst Bestandteil des Grundgesetzes wäre. Seiner Ansicht nach geht es bei der Kulturfinanzierung nicht um einen großen Kulturetat, sondern darum, dass die richtigen Projekte gefördert werden und kündigt an, dass die Zeit der Symbolpolitik vorbei sei – ob dies ein zarter Hinweis auf mögliche Stagnation oder Kürzung im Bundeskulturetat zu verstehen ist, bleibt offen. Hacker unterstreicht, dass eine Stärkung der Kultur auch die Demokratie stärkt.

 

Christiane Schenderlein, MdB (CDU/CSU) hebt wie Bär auf die ländlichen Räume ab und unterstreicht, dass kulturelle Vielfalt sich gerade hier zeige. Auch sie lobt auf den gestiegenen Kulturetat der letzten 16 Jahre ab und kritisiert, dass im Koalitionsvertrag keine Aussage zur Kulturfinanzierung zu finden ist. Ebenso wird ihres Erachtens bei der Erinnerungskultur zu stark auf Kolonialismus abgehoben und die Erinnerung an die SED-Diktatur vernachlässigt.

 

Helge Lindh, MdB (SPD) unterstrich, dass Kunst berühren und Grenzen überwinden kann und verdeutlichte dies an einem US-amerikanischen Beispiel. So wird seines Erachtens Kunst und Kultur auch dringend benötigt, um die einschneidenden Auswirkungen der Corona-Pandemie zu bewältigen. Als wesentliche Aufgabe benennt er das freie künstlerische Schaffen zu unterstützen, die kulturelle Infrastruktur zu sichern und die Erinnerungskultur um neue Aspekte zu erweitern.

 

Die neue Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration Staatsministerin Reem Alabali-Radavon, MdB (SPD) setzte mit einem Dank an ihre Vorgängerin Annette Widmann-Mauz, MdB (CDU/CSU) an und begann damit, dass Migration, Flüchtlinge und Integration ihr gesamtes Leben begleiten und dass sie stolz ist auf die Chancen, die „unser wunderschönes Land“ bietet. Alabali-Radovans Rede war eine Mutmachrede. Sie sparte nicht damit, Aufgaben zu beschreiben, schilderte sie aber nicht als Bürde, sondern machte erfrischend mutmachend deutlich, dass doch eigentlich alle Menschen in Deutschland die gleichen Chancen haben sollten, damit gesellschaftlicher Zusammenhalt gelingen kann. Ein Thema, dass insbesondere die vom Deutschen Kulturrat mitinitiierte Initiative kulturelle Integration beschäftigt.

 

Es war eine erste spannende Debatte im Deutschen Bundestag, in der viele Themen angesprochen wurden, die den Deutschen Kulturrat bereits seit einiger Zeit und auch in Zukunft beschäftigen werden. Spürbar war der Anfang der Wahlperiode, in der die Abgeordneten, die Regierung und die Opposition ihre Rollen finden müssen.

 

Vielversprechend war der Anfang aber allemal.

 

Ihr

 

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 

PS. Braucht Deutschland eine Parlamentspoetin, oder einen einen Parlamentspoet? Diese Frage bewegt seit Tagen die Feuilletons. Die Autoren Dmitrij Kapitelman, Simone Buchholz und Mithu Sanyal hatten Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, MdB (Bündnis90/Die Grünen) die Berufung einer Parlamentspoetin oder eines Parlamentspoeten vorgeschlagen. Hier geht es um ein (!) Stipendium, ich hätte mich gefreut, dass Feuilleton hätte sich einmal genauso intensiv mit den tausenden von Stipendien, die alleine durch das Programm NEUSTART KULTUR, die mit Hilfe der Kulturverbände und Bundeskulturfonds vergeben wurden, beschäftigt.

 


 

Studien des Deutschen Kulturrates 2013 – 2021

 

Diversität in Kulturinstitutionen 2018-2020
Diversität in Kultureinrichtungen ist ein zentrales Thema. In diesem Band werden die Ergebnisse einer erstmaligen Befragung von bundesgeförderten Kultureinrichtungen und -institutionen zur Diversität in ihren Einrichtungen vorgestellt. Es geht darum, wie viele Frauen und Männer in den Einrichtungen arbeiten, wie die Altersstruktur der Beschäftigten aussieht, wie hoch der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund ist und wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einer Behinderung beschäftigt werden.

 

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Frauen und Männer im Kulturmarkt: Bericht zur wirtschaftlichen und sozialen Lage
Corona hat alles verändert und Corona hat vieles sichtbar gemacht. Dass die Seuche innerhalb von wenigen Tagen die ökonomischen Bedingungen der Künstlerinnen und Künstler und der kleinen kulturwirtschaftlichen Unternehmen zum Zusammenstürzen bringen konnte, zeigt, wie dünn das Eis der ökonomischen Absicherung der Frauen und Männer, die im Kulturmarkt arbeiten, ist.

 

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Frauen in Kultur und Medien
Wie viele Frauen studieren und arbeiten in künstlerischen Fächern, und was verdienen sie? Sind sie in führender Position oder in Beratungs- und Entscheidungsgremien in der Kultur-und Medienbranche tätig, und welche Stolpersteine, aber auch Ermutigungen und Förderungen, gibt es? Wie ist Geschlechtergerechtigkeit im Kultur- und Medienbetrieb erreichbar? Mit diesen und anderen Fragen befasst sich die Studie des Deutschen Kulturrates.

 

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Arbeitsmarkt Kultur
Die Studie gliedert sich in vier Teile. Nach einer Einführung wird im ersten Teil eine Bestandsaufnahme zum Arbeitsmarkt Kultur vorgenommen. Dabei wird sowohl auf die Ausbildung für diesen Arbeitsmarkt, die Arbeitgeber, die abhängige Beschäftigung wie auch die Selbständigen eingegangen. Im weiteren Teil wird eine explorative Analyse des Sozio-ökonomischen Panels zum Arbeitsmarkt Kultur vorgenommen. Danach werden Daten der Künstlersozialversicherung dezidiert ausgewertet. Im letzten Teil erfolgt eine Zusammenschau der Untersuchung.

 

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Neue Mitarbeiterin: Dr. Sandra van Lente

 

Dr. Sandra van Lente ist seit Januar 2022 Referentin für Geschlechtergerechtigkeit beim Deutschen Kulturrat. Sie ist promovierte Literaturwissenschaftlerin mit ausgeprägten soziologischen und politischen Schwerpunkten und Erfahrung in der Gleichstellungsarbeit.

 

Nach Aufgaben in Forschung, Lehre und Veranstaltungsmanagement am Großbritannien-Zentrum der Humboldt-Universität zu Berlin war sie Leiterin der Geschäftsstelle des Berliner Chancengleichheitsprogramms (BCP), das von den für Frauen und Wissenschaft zuständigen Senatsverwaltungen finanziert wird. Nach einer erfolgreichen Zeit als Selbständige im Literatur- und Kulturbereich zog es sie 2020 nach Großbritannien, wo sie als Ko-Autorin im Projekt „Rethinking Diversity in Publishing“ Diskriminierungsmuster und Lösungsansätze für die britische Buchbranche erforscht hat. Die Ergebnisse wurden von der britischen Buchbranche breit rezipiert und leisteten einen Beitrag zu Veränderungsprozessen (deutsche Zusammenfassung (pdf) hier).

 


 

„Goethes Welt“ in Politik & Kultur

 

In Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut veröffentlicht Politik & Kultur in jeder Ausgabe einen gemeinsamen Beitrag im Rahmen des Projekts „Lockdown Lehren“ des Goethe-Instituts, das der Frage nachgeht, was weltweit aus der Pandemie zu lernen ist – in sozialer, technologischer, postkolonialer oder zivilgesellschaftlicher Hinsicht. Die internationalen Visionen für eine postpandemische Zukunft werden hier versammelt.

 

 

Zurvor erschienen in der Reihe „Goethes Welt“ in Politik & Kultur in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut regelmäßig Beiträge aus einem afrikanischen Land zu spezifischen Aspekten der Kulturszenen vor Ort. Lesen Sie diese hier.

 


 

Text der Woche: Linde Rohr-Bongard: „Die Frauen kommen“ Mehr Frauen auf Spitzenpositionen im Kunstkompass

 

Weltweit geben immer mehr Künstlerinnen verstärkt Gas im Kunstbetrieb und erobern häppchenweise Männerterrain. Und das macht sich natürlich auch im Kunstkompass bemerkbar. Und noch mehr im zusätzlichen Ranking der „Hundert Stars von morgen“, das seit sechs Jahren zusätzlich über die nachrückenden Künstler informiert. Seit nunmehr 51 Jahren erscheint zur Art Cologne der Kunstkompass, der Auskunft über Ruhm und Rang der zeitgenössischen Künstler liefert. Im Laufe dieser fünf Jahrzehnte haben sich Künstlerinnen jeder Couleur respektable Positionen im Ruhmesbarometer erobert. Das war nicht immer so!

 

Linde Rohr-Bongard ist Kunstjournalistin und Kunstkompass-Herausgeberin.

 

Lesen Sie den Text hier!

 

Mehr dazu:
Politik & Kultur Nr. 12/2020-01/2021 mit dem Schwerpunkt „Von Richter bis Turrell: Wie funktioniert der Kunstmarkt? – Künstler, Galeristen, Sammler & Kritiker

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