Mitteilung der EU-Kommission „Eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung“: Stellungnahme des Deutschen Kulturrates

Berlin, den 19.09.2007. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, begrüßt die an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen gerichtete Mitteilung „Eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung“, die die EU-Kommission am 10. Mai 2007 vorgelegt hat. Die Mitteilung proklamiert die zentrale Rolle der Kultur im europäischen Integrationsprozess und schlägt zudem eine Kulturagenda für Europa sowie für die Beziehungen Europas zu Drittländern vor. Damit wird zum ersten Mal in der Geschichte der Europäschen Union die zentrale Rolle der Kultur im europäischen Integrationsprozess hervorgehoben. Es kommt nunmehr darauf an, dass auf der Ebene der EU die Respektierung des Eigenwertes von Kunst und Kultur eine zentrale Orientierung der Politik ist.

 

Im Gegensatz zu einer EU-Richtlinie ist die Form der Mitteilung nur eine Empfehlung ohne rechtsbindende Wirkung.

 

Drei konkrete Ziele werden in der Mitteilung genannt, die zusammen den Entwurf einer Kulturstrategie der europäischen Mitgliedstaaten, der Institutionen und des kulturellen und kreativen Sektors bilden.

  1. Förderung der kulturellen Vielfalt und des interkulturellen Dialogs
  2. Förderung der Kultur als Katalysator der Kreativität
  3. Förderung der Kultur als Bestandteil der internationalen Beziehungen der Europäischen Union

Grundsätzliches Handlungsinstrument zur Ereichung dieser Ziele ist die „offene Methode der Koordinierung“.

 

Einrichtung einer offenen Koordinierungsmethode (OMK)

Die Formulierung „offene Methode der Koordinierung“ (OMK) wurde das erste Mal beim Lissabon Gipfel 2000 als Koordinierungsmethode zwischen den Regierungen vorgeschlagen. Sie ist ein Prozess, in dem auf EU-Ebene gemeinsame Ziele/Leitlinien festgelegt und mittels vereinbarter Indikatoren die Fortschritte gemessen sowie bewährte Praktiken identifiziert und verglichen werden. Sie ist ein eigenständiges politisches Verfahren, welches den gemeinschaftsrechtlichen Gesetzgebungsprozess ergänzt. Bisher wird die offene Methode der Koordinierung in den Bereichen Beschäftigung, Sozialschutz, Bildung und Jugend angewandt. Die EU-Kommission ist der Ansicht, dass die offene Methode der Koordinierung auch einen geeigneten Rahmen für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Kulturbereich bietet, da diese den unverbindlichen Austausch zwischen den Regierungen über geplante Maßnahmen und gemeinsame Aktionen ermöglicht. Absicht ist es, kulturpolitische Ziele zu vereinbaren, Fortschritte zu prüfen und Verfahren und Daten zwischen den Staaten auszutauschen.

 

Der Deutsche Kulturrat begrüßt das Vorhaben, die kulturpolitische Zusammenarbeit zwischen den EU-Staaten zu stärken und damit den Austausch von Erfahrungen und Informationen zu fördern.

 

Unklar ist aber, welche konkreten Maßnahmen und kulturpolitischen Ziele genau in der offenen Methode der Koordinierung vereinbart werden sollen. Darüber hinaus ist es nicht ersichtlich, wie die Umsetzung der „offenen Methode der Koordinierung“ erfolgen soll und welche Akteure auf europäischer als auch auf nationaler Ebene mit in den Konsultationsprozess einbezogen werden sollen.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert daher, im Vorfeld den inhaltlichen Rahmen der „offenen Methode der Koordinierung“ für den Kulturbereich zu klären und die beteiligten kulturpolitischen Akteure klar zu benennen.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert weiter, die Kooperation mit der Zivilgesellschaft als ersten Schritt der Konsultation in besonderer Weise hervorzuheben.

 

Die Rechtgrundlage der europäischen Kulturpolitik ist und bleibt Artikel 151 des EG-Vertrags von Amsterdam. Der Deutsche Kulturrat fordert daher, dass in allen Aktivitäten der EU-Kommission die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips gewahrt bleiben muss, wonach die EU die Maßnahmen der Mitgliedstaaten unterstützt und ergänzt, nicht aber ersetzt. Das bedeutet insbesondere, dass der Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften enge Grenzen gesetzt werden.

 

A. Ziele der europäischen Kulturagenda

1. Förderung der kulturellen Vielfalt und des interkulturellen Dialogs

Mit dem Vorschlag der EU-Kommission zur Förderung der kulturellen Vielfalt und des interkulturellen Dialogs, wird den Zielen der „UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ Rechnung getragen, die kulturelle Vielfalt und den interkulturellen Dialog auch innerhalb Europas zu fördern und den kulturellen Reichtum Europas auf europäischer Ebene besser zur Geltung zu bringen. Dazu gehört auch die Förderung der Mobilität von Künstlern und Beschäftigten im Kulturbereich, die Verbreitung künstlerischer Ausdrucksformen über nationale Grenzen hinweg sowie die Förderung des grenzüberschreitenden Verkehrs von Kunstwerken und anderen künstlerischen Ausdrucksformen. Darüber hinaus sollen interkulturelle Kompetenzen und der interkulturelle Dialog gefördert und gestärkt werden. Dies soll durch die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen, wie bewusster Umgang mit den Kulturen in einer Gesellschaft, soziale Kompetenzen und das Erlernen von Fremdsprachen erzielt werden.

 

Der Deutsche Kulturrat begrüßt, dass mit dieser Forderung auch die Einbeziehung von Kultur in die Bildungsinhalte einhergeht und dadurch Kultur und kulturelle Bildung stärker in der Bildungspolitik der EU-Politik verankert werden. Wichtig ist dabei, von einem Kulturbegriff der Vielfalt auszugehen.

 

Der Deutsche Kulturrat begrüßt zudem den Vorschlag der EU-Kommission, den Austausch und den Dialog zwischen den Künstlern zu fördern. Um aber eine Kontinuität dieses Dialogs zu gewährleisten, fordert der Deutsche Kulturrat zum einen die Einrichtung eines Mobilitätsfonds für Künstler auf europäischer Ebene, um damit den finanziellen Rahmen für den interkulturellen Austausch sicher zu stellen. Dieser Fonds, ebenso wie alle anderen Fördermöglichkeiten, müssen auch kleineren kulturellen Trägern zugänglich gemacht werden. Zu fordern ist daher auch, dass auf nationaler Ebene ein Fonds zur Risikoabsicherung eingerichtet wird, der insbesondere für die kleineren Träger bestimmt ist. Zum anderen müssen Visum-Bestimmungen sowie das Steuer- und Sozialversicherungsrecht für Künstlerinnen und Künstler verbessert werden, um so einen unbürokratischen kulturellen Austausch zu gewährleisten.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert, wirksame kulturpolitische Instrumente zur Förderung kultureller Vielfalt, die in den einzelnen europäischen Ländern entwickelt werden, systematisch zusammenzustellen und einer Nutzung zugänglich zu machen. Dazu gehört auch die Nutzung der vielfältigen Erfahrungen der europäischen Institutionen wie dem Europarat oder dem Europäischen Parlament.

 

Der Deutsche Kulturrat begrüßt, dass der Kultur auf europäischer Ebene ein wichtiger Stellenwert zugesprochen wird. Er weist darauf hin, dass es bereits zahlreiche Programme auf europäischer Ebene gibt, die die Kultur als Motor und Ressource gesellschaftlicher Entwicklungen nutzen und unterstützen. Zu nennen sei hier vor allem das Programm „Kulturhauptstadt Europa“. Wichtig ist es, diese bestehenden Programme weiter zu fördern und zu unterstützen. Zum kulturellen Erbe Europas gehört auch die Vielfalt der europäischen Sprachen. Diese ist gerade im Kontext der Europäischen Union zu pflegen und zu fördern.

 

2. Förderung der Kultur als Katalysator der Kreativität im Rahmen der Lissabon Strategie für Wachstum und Beschäftigung

In Hinblick auf die wachsende Bedeutung der so genannten creative industries als Wirtschaftsfaktor fordert die EU-Kommission in ihrer Mitteilung die Förderung der Kreativität in der allgemeinen Bildung. Dazu gehört auch die Förderung von Kultur und Künsten in der non-formalen und formalen Bildung. Um die soziale und wirtschaftliche Wirkung von Investitionen in die Kultur und Kreativität zu verstärken, schlägt die EU-Kommission den Aufbau kreativer Partnerschaften zwischen dem Kultursektor und anderen Sektoren wie beispielsweise der Forschung oder der Informations- und Kommunikationstechnologienbranche (IKT) vor. Dies soll zu mehr Wachstum und Arbeitslätzen führen.

 

Der Deutsche Kulturrat begrüßt, dass die Kommission die Bedeutung des kulturellen Potentials für alle Bereiche von Gesellschaft und Politik feststellt und insbesondere die Kultur in ihrer Rolle als Motor der Kreativität gestärkt werden soll. Um aber die kulturelle Produktivität und die Kreativität nachhaltig zu gewährleisten, bedarf es der Sicherung der sozialen Lage für Künstler. Wesentlich ist hierbei die Gestaltung der Rahmenbedingungen im Steuer-, Arbeits- und Sozialversicherungs- und im Urheberrecht.

 

Kunst und Kultur haben eine wachsende wirtschaftliche Bedeutung. Der Deutsche Kulturrat fordert, dass der Eigenwert von Kunst und Kultur oberste Priorität haben muss.

 

3. Förderung der Kultur als wesentlicher Bestandteil der internationalen Beziehungen der Union

Vor dem Hintergrund der Unterzeichnung des „UNESCO-Übereinkommens über den Schutz und die Förderung kultureller Ausdrucksformen“ fordert die EU-Kommission in ihrer Mitteilung die systematische Eingliederung der kulturellen Dimension und Komponenten in alle Maßnahmen, Projekte und Programme der Außenbeziehungen zwischen der EU und anderen Ländern und Regionen als Mittel zur Stärkung der Qualität der diplomatischen Tätigkeit. Dazu gehört u.a. der Ausbau des politischen Dialogs mit allen Ländern und Regionen im Kulturbereich, die Förderung des kulturellen Austauschs zwischen der EU und anderen Länden und Regionen sowie die Nutzung der Außenbeziehungen und der Entwicklungspolitik zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Vielfalt durch finanzielle und technische Unterstützung bei Erhaltung des kulturellen Erbes. So schlägt die EU-Kommission die Errichtung eines EU-AKP-Kulturfonds vor, mit dem spezifische kulturelle Aktionen und Veranstaltungen unterstützt werden sollen. Dieser Kulturfonds soll bis 2013 mit 30 Mio. Euro zur Förderung der Kultur in den AKP-Ländern (Afrika, Karibik, Pazifik) beitragen.

 

Der Deutsche Kulturrat begrüßt die Einrichtung eines EU-AKP Kulturfonds. Wichtig ist, dass mit diesem Fond nicht nur Austauschprojekte zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten, sondern auch die regionalen und lokalen Kulturproduktionen innerhalb der jeweiligen Länder gefördert werden, da sie überhaupt erst die Grundlage für einen Austausch darstellen. Es ist darauf hin zu weisen, dass die Kultur- und Außenpolitik auch die anderen Weltregionen nicht außer Acht lassen darf.

 

Der Kulturrat fordert weiter, dass Kunst und Kultur auch in der Außenpolitik der EU ihren Eigenwert behält und nicht von Politikbereichen, wie beispielsweise der Wirtschafts- oder Außenpolitik, in Dienst genommen wird.

 

B. Umsetzungsmaßnahmen zur Erreichung der Ziele

Um diese drei Kernziele zu realisieren, schlägt die EU-Kommission, neben der Einrichtung der „offenen Methode zur Koordinierung“, u.a. zwei weitere Umsetzungsmaßnahmen vor.

 

1. Aufbau eines strukturierten Dialogs mit dem Kultursektor

Da der Kultursektor, von der Sache und seiner Geschichte her, sehr heterogen strukturiert ist, sieht die EU-Kommission die Kartografierung des Kultursektors vor, mit dem Ziel die Gesamtheit der kulturellen Organisationen (Berufsverbände, kulturelle Institutionen, Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und europäische und nichteuropäische Netzwerke) zu ermitteln und besser verstehen zu können. Darüber hinaus plant die EU-Kommission ein Kulturforum einzurichten, das den Organisationen aus dem Kulturbereich die Möglichkeit bietet, sich auf europäischer Ebene mit ihren spezifischen Anliegen Gehör zu verschaffen und damit den kulturpolitischen Dialog zu ermöglichen.

 

Mit Sorge nimmt der Deutsche Kulturrat die Forderung nach einer stärkeren Strukturierung des Kultursektors zur Kenntnis. Da sich der Kultursektor auf europäischer Ebene in seiner Vielfalt bisher teilweise noch nicht hinreichend organisiert hat, besteht mit einer von der EU-Kommission forcierten Strukturierung zum jetzigen Zeitpunkt die Gefahr, dass es zu einer Harmonisierung und Zentralisierung der kulturpolitischen Organe auf europäischer Ebene kommt. Eine Strukturierung darf nicht erzwungen werden, sondern muss sich mittelfristig entwickeln. Um diese Vielfalt der kulturellen Organisationen zu ermöglichen und damit eine selbstorganisierte Strukturierung voranzutreiben, bedarf es der finanziellen Unterstützung von kulturellen Netzwerken.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert, dass den politisch legitimierten zivilgesellschaftlichen Institutionen Mitgestaltung ermöglicht wird. Dabei ist es notwendig, die repräsentativen kulturellen Selbstorganisationen in Europa finanziell zu unterstützen.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert darüber hinaus den Erhalt der Vielfalt und Heterogenität der kulturellen Akteure auf europäischer Ebene, weil sie die kulturelle Vielfalt Europas repräsentieren und widerspiegeln.

 

2. Einbeziehung der Kultur in andere betroffene Politikbereiche

Der Deutsche Kulturrat begrüßt, dass die Kommission in Hinblick auf Artikel 151 Absatz 4 des EG-Vertrags von Amsterdam für Ausgewogenheit zwischen den verschiedenen politischen Zielen sorgen möchte, zu denen auch die Förderung der kulturellen Vielfalt zählt. Damit wird ein weites Verständnis von Kulturpolitik vertreten, das die hohe kulturpolitische Relevanz kulturfremder Ressorts betont.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert, dass die Rahmenbedingungen, wie sie im Steuer-, Arbeits- und Sozialversicherungs- sowie im Urheberrecht gestaltet werden, kulturverträglich sein müssen.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert weiter, über die Beachtung der Kulturverträglichkeit des Handelns kulturfremder Ressorts hinaus, konstruktiv die Integration kultureller Impulse in allen Politikbereichen der EU zu betreiben. Die auf europäischer Ebene vertraglich zugesicherte Kulturverträglichkeitsprüfung muss bei allen Gemeinschaftspolitiken der Europäischen Union konsequent angewandt werden. Dazu bedarf es auch der stärkeren Einbindung des EU-Kommissars für Kultur und Bildung in die Debatten anderer Politikbereiche, wie beispielsweise dem Sozial-, Wirtschafts- und Urheberrechtsbereich.

 

C. Forderungen an die nationale Kulturpolitik

Die europäische Politik wird auch durch die Regierungen der Mitgliedstaaten gesteuert. Es kommt daher darauf an, dass eine kohärente Interessensvertretung der Bundesrepublik Deutschland in Brüssel auch im europäischen Kontext stattfindet.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert daher Bund und Länder auf, sich aktiv an der Ausgestaltung der Kulturagenda zu beteiligen. Um auch die nationalen Interessen auf europäischer Ebene zu vertreten, ist es notwendig, dass Vertreter von Bund und Ländern stärker und vor allem einheitlicher als bisher diesen Prozess inhaltlich begleiten und steuern.

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