Aufhebung der Grenze zwischen Technik und Inhaltsproduktion im Rundfunk führt zu bedenklicher Regelungslücke: Resolution

Deutscher Kulturrat fordert medienpolitische Debatte

Berlin, den 31.05.2006. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, fordert eine grundlegende medienpolitische Debatte. Mit dem Verkauf der Bundesliga-Fernsehübertragungsrechte an einen Kabelnetzbetreiber wurde erstmals die bislang respektierte Grenze überschritten: ein Verbreitungsunternehmen kauft Inhalte ein und wird damit auch Lieferanten von Inhalten. Dieser Schritt ist ordnungs- und kulturpolitisch ähnlich bedeutsam wie die Zulassung des kommerziellen Rundfunks und die Einführung des dualen Rundfunksystems in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts.

 

Die Einführung des dualen Rundfunkssystems löste damals eine breite gesellschaftliche Debatte über den Auftrag des Rundfunks, die Kommerzialisierung des Rundfunks und die Qualität der Rundfunkangebotes aus. Inzwischen existiert – zusätzlich zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk – der private Rundfunk seit mehr als zwanzig Jahren und hat einen festen Stellenwert im Rundfunksystem.

 

Bei allen Unterschieden zwischen dem öffentlich-rechtlichen und dem privat-kommerziellen Rundfunk, was die Finanzierung, den Auftrag und das Programm betrifft, sind beide Rundfunk im klassischen Sinn, d.h. sie verbreiten für die Allgemeinheit bestimmte Informationen in Wort, Bild und Ton. Rundfunkunternehmen produzieren Hörfunk- bzw. Fernsehsendungen, d.h. Inhalte.

 

Diese Inhalte werden überwiegend über Kabel bzw. Satellit verbreitet. Die Verbreitung erfolgt durch Breitbandkabelnetzbetreiber bzw. Satellitenbetreiber.

 

Mit dem Schritt eines Kabelnetzbetreibers, die Rechte der Bundesligafernsehübertragungen zu kaufen und selbst auszustrahlen, wurde eine medienpolitische Wende eingeleitet. Ein Unternehmen, das sich zuvor geschäftlich auf die technische Weiterleitung des Programms konzentrierte, bietet nunmehr auch Inhalte an.

 

Der Deutsche Kulturrat hält es für dringend erforderlich, dass über diese medienpolitische Entwicklung, die bislang vornehmlich in medienpolitischen Kreisen und kaum öffentlich debattiert wurde, eine breite kulturpolitische Diskussion beginnt.

 

Der Deutsche Kulturrat befürchtet, dass die kulturelle Vielfalt in Deutschland Schaden nimmt, wenn die spezifischen Leistungen des Rundfunkprogramms für große und kleine Zielgruppen in den Hintergrund treten und es weit überwiegend nur noch darauf ankommt, massenattraktive Inhalte anzubieten, um die ökonomische Auslastung der Netze sicherzustellen. Diese Befürchtung gilt selbst dann, wenn man dem betreffenden Unternehmen und anderen Akteuren für die Zukunft keine Absicht einer missbräuchlichen Nutzung ihrer Markt- und Meinungsmacht unterstellt.

 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist laut § 11 (Auftrag) des Rundfunkstaatsvertrags zu Folgendem verpflichtet:

(1) Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat durch die Herstellung und Verbreitung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken. Er kann programmbegleitend Druckwerke und Mediendienste mit programmbezogenem Inhalt anbieten.
(2) Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat in seinen Angeboten und Programmen einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Er soll hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern. Sein Programm hat der Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Er hat Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten.
(3) Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat bei Erfüllung seines Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit der Angebote und Programme zu berücksichtigen.

 

Der private Rundfunk ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen (Gewährleistung des Grundstandards gleichgewichtiger Vielfalt) ebenfalls nicht frei in seinem Angebot, sondern laut § 25 (Meinungsvielfalt, regionales Fenster) Rundfunkstaatsvertrag zu Folgendem verpflichtet:

(1) Im privaten Rundfunk ist inhaltlich die Vielfalt der Meinungen im wesentlichen zum Ausdruck zu bringen. Die bedeutsamen, politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen müssen in den Vollprogrammen angemessen zu Wort kommen; Auffassungen von Minderheiten sind zu berücksichtigen. Die Möglichkeit, Spartenprogramme anzubieten, bleibt hiervon unberührt.
(2) Ein einzelnes Programm darf die Bildung der öffentlichen Meinung nicht in hohem Maße ungleichgewichtig beeinflussen.
(3) Im Rahmen des Zulassungsverfahrens soll die Landesmedienanstalt darauf hinwirken, dass an dem Veranstalter auch Interessenten mit kulturellen Programmbeiträgen beteiligt werden. Ein Rechtsanspruch auf Beteiligung besteht nicht.

 

Das heißt, sowohl dem öffentlich-rechtlichen als auch dem privaten Rundfunkanbieter wird vom Gesetzgeber auferlegt, ein Programm anzubieten, das sich an die Allgemeinheit richtet und bestimmte inhaltliche Mindeststandards erfüllt. Dieses Programm muss vielfältig sein und die öffentliche Meinungsbildung unterstützen und fördern. Speziell der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat zudem den Auftrag, Kultur anzubieten. Kabelnetzbetreiber, die spezifische Inhalte kaufen und anbieten, sind an keinen Programmauftrag gebunden. Vergleichbar mit einem Fachgeschäft, das spezifische Produkte anbietet, haben sie spezielle Inhalte im Angebot. Sie können dem Nutzer auf ihn zugeschnittene Programmangebote präsentieren. Da es sich bei den Kabelnetzbetreibern um privatwirtschaftlich orientierte Unternehmen mit einer entsprechenden Renditeerwartung handelt, die überdies teilweise von Investorengruppen, so genannten Private Equities, dominiert werden, die die besondere Bedeutung der Medien oftmals nicht gebührend anerkennen, werden voraussichtlich vor allem solche Angebote präsentiert werden, die auf eine große Nachfrage treffen. Die erfolgreichen Beispiele werden bald Nachahmer finden. Wird eine solche Entwicklung weitergedacht, so wird dies zu einem Verlust an Pluralität im Rundfunk und an kultureller Vielfalt führen.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert daher die Politik, d.h. speziell die Ministerpräsidenten auf, sich stärker des Themas Medienentwicklung im privatwirtschaftlichen Bereich anzunehmen und konkrete Konzepte für die Sicherstellung der Pluralität und der kulturellen Vielfalt im Rundfunk der Zukunft zu entwickeln. Ebenso sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestags gefordert, innerhalb ihres medienpolitischen Zuständigkeitsbereichs zu prüfen, ob die genannte Entwicklung, dass ein Unternehmen, das bislang Verbreiter der Netzinfrastruktur war, zum Inhaltslieferanten wird, in ihren potentiell vielfaltsbedrohenden Aspekten genügend beachtet wurde. In diesem Zusammenhang fordert auch der Deutsche Kulturrat die Prüfung sowohl der medien-, der telekommunikations- als auch der kartellrechtlichen Vorschriften.

 

Kulturelle Vielfalt gerade auch in den elektronischen Medien ist ein hohes Gut. Diese kulturelle Vielfalt zu sichern, ist angesichts der technischen aber auch der ökonomischen Entwicklung eine wesentliche Herausforderung der Zukunft. Der Deutsche Kulturrat fordert Politik und Öffentlichkeit zu einer breiten Diskussion auf, wie diese Herausforderung gemeistert werden kann.

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