Kunst sollte sich einmischen

Reaktion zur Debatte um die Beteiligung von Künstlern am Wahlkampf

„Dürfen Künstlerinnen und Künstler sich für den Wahlkampf hergeben?“ Meine Antwort ist: Ja, Künstlerinnen und Künstler dürfen sich nicht nur für den Wahlkampf „hergeben“, sondern sollten sich auch viel mehr als bisher den politisch-gesellschaftlichen Debatten hingeben.

 

Spätestens seit dem vergangenen Jahr erleben wir eine spürbare Polarisierung von Gesellschaft und Öffentlichkeit, wie es sie lange nicht gab, das gesellschaftliche Klima ist zum Teil sehr vergiftet. Politisch ist einiges ins Rutschen geraten und der Rechtspopulismus ist auf dem Vormarsch – hierzulande, in Europa, in den USA. Etablierte Politik und repräsentative Demokratie befinden sich in einer schweren Krise.

 

Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, dass auch Kulturschaffende das Wort ergreifen und Stellung beziehen: gegen Rassismus, für ein solidarisches Miteinander, gegen soziale Spaltung, für unsere Demokratie. Da hat Tanja Dückers Recht: Das muss parteipolitisches Engagement keineswegs einschließen. Kunst und Kultur sollten aber ein Stück weit runter von den „Zuschauerrängen“, wie Klaus Staeck schreibt, und den „Posten des neutralen Beobachters“ ganz bewusst verlassen. Dazu gehört auch, Gesellschaftskritik, Debatten über grundsätzliche Alternativen und das „Vorstellungsvermögen von einer anderen, besseren Zukunft“ zu artikulieren. Im Gegensatz zu Tanja Dückers bin ich hier der Auffassung, dass all das nicht jenseits der Politik verhandelt werden sollte, sondern dass Kunst „das utopische Moment“ in der Politik einfordern sollte. Politik muss mehr sein als Tagesgeschäft, Politik muss auch für Visionen stehen, die über eine Legislaturperiode hinausweisen.

 

Der Maler Gerhard Richter äußerte sich kürzlich in einem Interview: „Flüchtlinge sind nicht willkommen. Ich habe noch nie was gegen Ausländer gehabt. Aber wenn mir gesagt wird, du musst jetzt alle willkommen heißen, dann ist das gelogen. Ich nehme die nicht mit zum Essen, sondern nur die ich jetzt kenne. Egal, ob das jetzt ein Neger ist oder ein Däne.“ Diese Einlassungen sind das eine, aber ich frage mich: Wo waren öffentlich vernehmbare Reaktionen aus der Kunst?

 

Hier wird die Grenze des Sagbaren wieder einmal deutlich nach rechts verschoben, verfassungsmäßige Grundrechte werden nonchalant beiseitegeschoben. Als ob es um Essenseinladungen zu den Richters ginge. Die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin zu kritisieren ist nicht nur legitim, sondern notwendig. Gründe gibt es viele: Türkei-Deal, Asylrechtsverschärfungen, schwache Integrationspolitik, keine Politik für sozialen Zusammenhalt. Rassistischen Ressentiments muss jedoch vehement widersprochen werden. Es ist auch die Aufgabe von Kunst und Kultur, dieser Verschiebung der Diskurse hin zur Salonfähigkeit rechter Positionen entgegenzutreten. Ob Wahlkampf oder nicht: Dafür sollten sich alle und mit aller Kraft – auch und gerade Künstlerinnen und Künstler – her- und hingeben.

 

Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 1/2017.

Matthias Höhn
Matthias Höhn ist Bundesgeschäftsführer der Linken
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