Der Kultur- und Mediensektor nimmt für sich gern in Anspruch, zur Avantgarde zu zählen. Wo, wenn nicht in Kunst, Kultur und Medien wird die Gesellschaft reflektiert, werden Konflikte dargestellt, sublimiert und verdichtet, werden Ungerechtigkeiten und Missstände thematisiert, werden alternative Handlungsmodelle erprobt und damit zur Diskussion gestellt. Kunst und Kultur bieten einen besonderen Reflexionsrahmen.
An starken Frauen mangelt es in den künstlerischen Werken nicht. Medea, Kassandra, Antigone sind starke Frauenfiguren der griechischen Mythologie, die immer wieder zu neuen Interpretationen oder literarischen Bearbeitungen einladen. Kriemhild, eine der Protagonistinnen des Nibelungenliedes, wird von manchen als erste feministische Figur in der mittelhochdeutschen Dichtung bezeichnet. Andere starke Frauenfiguren aus der Literatur, der bildenden Kunst oder auch dem Film sind vertreten.
Frauen als Motiv in der Kunst, sei es als starke Protagonistinnen, als Figuren, die um Anerkennung ringen, oder auch als Unterdrückte, die still leiden oder aufbegehren und sich befreien, sind seit Jahrhunderten präsent.
Frauen, die als Akteurinnen, als Urheberinnen, als Kulturunternehmerinnen, als Verantwortliche in Kultureinrichtungen tätig sind, sind allerdings weniger selbstverständlich. Es gilt allerdings auch, sich davor zu hüten, Narrative fortzuschreiben, die heute keine Gültigkeit mehr haben oder zumindest in Auflösung begriffen sind.
Das trifft z. B. auf die Leitung von Kultureinrichtungen zu. Bereits im Jahr 2014 wurden 43 Prozent aller Staats-, Landes-, Zentral- und Universitätsbibliotheken von Frauen geführt. Dieser Trend hat sich fortgesetzt, sodass heute mehr Frauen als Männer eine solche Einrichtung leiten. Im Jahr 2014 lag der Frauenanteil in der Leitung von Kunstmuseen bei 30 Prozent, im Jahr 2021 bei 42 Prozent. Fachmuseen wurden 2014 zu 33 Prozent von Frauen geleitet, 2021 zu 40 Prozent. Die Staats-, Landes-, Zentral- und Universitätsbibliotheken befinden sich in Trägerschaft der öffentlichen Hand, Ähnliches gilt für viele größere Kunst- oder auch Fachmuseen. Die Daten belegen, dass Vorgaben in Gleichstellungsgesetzen und die Arbeit von Gleichstellungsbeauftragten offenbar wirken. Der Frauenanteil steigt.
Wenn es um das Reden über die Arbeit von Kultureinrichtungen geht, haben ganz klar Frauen die Nase vorn. Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist fest in weiblicher Hand. Die Leitung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Kunst- und Fachmuseen obliegt Frauen zu über 80 Prozent. Bei den Theatern leiten zu 77 Prozent Frauen die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und bei den Symphonie- und Rundfunkorchestern zu 69 Prozent. Das Sprechen über Kunst und Kultur ist zumindest, was die genannten Kultureinrichtungen betrifft, eine Sache der Frauen.
Ganz anders sieht es bei der Leitung von Theatern oder Symphonie- und Rundfunkorchestern aus. Auch wenn in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Intendantinnen berufen wurde, steht bei der Mehrzahl der Theater ein Intendant an der Spitze. Generalmusikdirektorinnen müssen mit der Lupe gesucht werden. Hier wirken Gleichstellungsgesetze offenbar nicht. Andere Argumente wie Weltruhm, Männernetzwerke und mehr scheinen vielfach den Ausschlag bei der Besetzung einer solchen Spitzenposition zu geben.
Anders wiederum die Situation bei den Verwaltungsleitungen der Theater, hier hatten im Jahr 2021 33 Prozent eine weibliche Spitze. Es ist anzunehmen, dass in den nächsten Jahren zunehmend Frauen in die Leitung berufen werden.
Um es kurz zusammenzufassen: In einigen Arbeitsbereichen in Kultureinrichtungen stellen Frauen, was Leitungspositionen betrifft, längst den größeren Anteil oder sind auf dem Weg dahin. Der große Zuspruch zum Mentoring-Programm des Deutschen Kulturrates, das sich an Frauen mit Berufserfahrung richtet, die eine Führungsposition im Kultur- oder Mediensektor anstreben, spricht Bände. In den letzten sechs Ausschreibungsrunden konnte jeweils nur ein kleiner Teil der Bewerberinnen genommen werden. Mit Blick auf die Leitung von Kultureinrichtungen sind – ausgenommen von Orchestern und Theatern – Frauen auf dem Kurs, die Hälfte aller Leitungspositionen zu stellen. Bei den Theatern und Orchestern besteht zumindest mit Blick auf die künstlerische Leitung, trotz einiger Berufungen in den letzten Jahren, nach wie vor erheblicher Handlungsbedarf. Die Unruhe in der Branche spricht hier eine deutliche Sprache.
Nicht von der Hand zu weisen ist die beträchtliche geschlechtsspezifische Segregation bereits in der Ausbildung für den Arbeitsmarkt Kultur und Medien. Generell streben sehr viel mehr Frauen als Männer eine Ausbildung, sei es im Rahmen des dualen Ausbildungssystems oder als Hochschulausbildung, im Kultur- und Medienbereich an. Teilweise erreicht der Frauenanteil Spitzenwerte von bis zu 90 Prozent in Studiengängen. Umgekehrt gibt es nach wie vor Ausbildungsgänge im Kultursektor, die vor allem von Männern eingeschlagen werden. Für Berufe, die eher technisch orientiert sind und bei denen bereits aktuell ein akuter Fachkräftemangel herrscht, qualifizieren sich deutlich mehr Männer als Frauen. Gleichstellung im Kulturbereich ist also schon bei der Wahl der Ausbildung ein zentrales Thema. Hier scheint es nach wie vor erforderlich zu sein, junge Männer für sogenannte Frauen- und junge Frauen für sogenannte Männerberufe zu interessieren, um Diversität und Gleichstellung in den Berufsfeldern zu erreichen.
Auffallend ist, dass in Kulturberufen, insbesondere, wenn die höchste Qualifikationsstufe der Experten betrachtet wird, weniger verdient wird als in allen anderen Berufen. „Experten“, ein Terminus technicus in der Beschreibung von Qualifikationsstufen in Berufen, haben zumindest einen Master- oder vergleichbaren Abschluss, der ein mindestens vierjähriges Studium voraussetzt. Abhängig Beschäftigte in Kulturberufen mit dem Qualifikationsniveau „Experten“ erzielen ein geringeres Bruttoeinkommen als abhängig Beschäftigte anderer Branchen. Zu diesem per se geringeren Einkommen tritt noch der Gender-Pay-Gap hinzu, der in einigen Berufen bis zu 30 Prozent beträgt. Insbesondere in der Qualifikationsstufe „Experten“ ist ein hoher Gender-Pay-Gap festzustellen. Jedoch gibt es ebenso Berufe, in denen der Gender-Pay-Gap um die fünf Prozent liegt, also relativ gering ist. Dies trifft unter anderem für eher technische Berufe zu. Oder anders formuliert: In Berufen, in denen eher wenige Frauen anzutreffen sind, ist der Gender-Pay-Gap geringer, als in Berufen, in denen eher wenige Männer anzutreffen sind, ist der Gender-Pay-Gap größer. Ein Befund, der unter Gleichstellungsgesichtspunkten dringend weiterverfolgt werden muss.
Der Gender-Pay-Gap ist im Kultur- und Medienbereich aber nicht nur mit Blick auf abhängig Beschäftigte relevant, er hat gleichfalls eine große Bedeutung für die soloselbstständigen Künstlerinnen und Künstler, die in der Künstlersozialversicherung versichert sind. Im Durchschnitt verdienen weibliche Versicherte im Jahr 2022 24 Prozent, also ca. ein Viertel, weniger als männliche. Werden die einzelnen Berufsgruppen betrachtet, zeigen sich deutliche Unterschiede. In den Berufsgruppen Wort und Musik beträgt der Gender-Pay-Gap 22 Prozent, in der Berufsgruppe bildende Kunst 30 Prozent und in der Berufsgruppe darstellende Kunst 34 Prozent. Neben diesem hohen Gender-Pay-Gap, der an sich ein Problem anzeigt, ist bemerkenswert, dass sich mit Blick auf den Durchschnitt aller Versicherten der Gender-Pay-Gap seit 2015 nicht geändert hat. Bereits im Jahr 2015 lag er bei 24 Prozent. In der Berufsgruppe Musik hat er sich seither verringert, in der Berufsgruppe bildende Kunst hingegen erhöht.
Der Gender-Pay-Gap darf im Kulturbereich nicht losgelöst vom Gender-Show-Gap betrachtet werden. Gerade in künstlerischen Berufen hängt beides eng zusammen. Wessen Werke gezeigt, aufgeführt, besprochen werden, der ist präsent, dessen Werke sind im Markt. Der- oder diejenige erzielt neben direkten Einnahmen aus dem Verkauf oder dem Auftritt unter anderem Einnahmen aus Verwertungsgesellschaften, wird weiterempfohlen, eingeladen und so weiter. D. h., der Aufmerksamkeitsmarkt und der ökonomische Markt sind eng miteinander verflochten. Wenn Werke von Komponistinnen oder Librettistinnen nicht gespielt werden, erhalten sie keine Ausschüttungen aus Verwertungsgesellschaften. Wenn Werke von Autorinnen nicht besprochen werden, verschwinden sie oftmals schnell aus den Buchhandlungen, und potenzielle Leserinnen oder Leser können sie auch nicht entdecken. Sie werden weniger für Lesungen angefragt und haben damit weniger Chancen, Einkommen zu erzielen. Ein wesentlicher Schlüssel zur Beseitigung des Gender-Pay-Gaps ist daher gerade mit Blick auf die Soloselbstständigen, dem Gender-Show-Gap entgegenzuwirken.
Gleichstellung ist eine wesentliche kulturpolitische Aufgabe. Sie verdient mehr Aufmerksamkeit – auch über den 8. März, den internationalen Frauentag hinaus.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2023.