Unkultur der Gewalt

Warum greifen die SPD-Vorsitzende, eine taz-Autorin und Randalierer Polizisten an?

Ich gestehe: Auch ich habe in jungen Jahren Polizisten schon mal als Bullen beschimpft, z. B. als Bereitschaftspolizisten mit tieffliegenden Hubschraubern, Tränengas und Schlagstöcken mich und Zehntausende andere Demonstranten hindern wollten, in Brokdorf gegen den Bau des Atomkraftwerks friedlich zu protestieren. Als ich später als junger Reporter miterlebte, wie Beamte Hunderte Atomkraftwerksgegner in Hamburg stundenlang einkesselten, begann ich jedoch zu verstehen, dass die Beamten so etwas in aller Regel nicht aus Boshaftigkeit oder finsteren Absichten tun, sondern weil ihnen es von Gesetzen, Vorgesetzen, Politikern und manchmal Gerichten auferlegt wird.

 

Erst recht seit ich Kinder bekam, sehe ich in Polizisten in erster Linie Freunde und Helfer. In den allermeisten Fällen jedenfalls. Mit einem gleichaltrigen Beamten habe ich mich sogar mal tatsächlich angefreundet. Ich betrieb zu der Zeit mit meinem Sohn nebenbei ein Bistro im heftigsten Hamburger Problemviertel, einem bunten, schwierigen Gemisch von Menschen unterschiedlichster Herkunft und Kulturen, wo Gewalttaten und Kriminalität zum Alltag gehörten, selbst Schießereien auf offener Straße. Als bürgernaher Beamter war er mehr Sozialarbeiter als Ordnungshüter. Und erklärte mir immer wieder, weshalb seine Kollegen manchmal wegsehen müssen, damit Situationen nicht eskalieren. Dass sie sich aber gleichzeitig auch selbst schützen müssen, um nicht zwischen die Fronten zu geraten. Er hatte bei der Räumung der besetzten Häuser in der Hafenstraße das Gehör auf einem Ohr verloren. Danach war er jahrelang im Hamburger Schanzenviertel im Einsatz, wo es bis heute regelmäßig Ausschreitungen gibt, zuletzt auf schreckliche Weise beim G20-Gipfel.

 

An ihn musste ich denken, als zunächst die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken die 250.000 deutschen Polizisten pauschal des Rassismus verdächtigte, nachdem in Minneapolis ein weißer Polizist den Afroamerikaner George Floyd auf bestialische Weise umgebracht hatte – obwohl deutsche Beamte mit solchen Totschlägern in Uniform in keiner Weise zu vergleichen sind. Und auch, als dann eine Autorin in der taz schrieb, alle Polizeibeamten in Deutschland gehörten auf die Müllhalde. So etwas Menschenverachtendes kannte man bis dahin nur von rechtsextremen AfDlern und Nazis. Der Proteststurm gegen sie und die taz war deshalb nur zu verständlich.

 

Kurz darauf randalierten Hunderte junge Leute in Stuttgart ohne erkennbares Motiv und griffen zum Teil brutal Polizisten an, die gerufen worden waren, um ihre Gewaltorgie zu stoppen. Natürlich gibt es keinen unmittelbaren Zusammenhang mit den abwegigen Unterstellungen der SPD-Vorsitzenden und der taz-Autorin gegen alle deutschen Polizisten, darunter inzwischen viele, die wie die Autorin migrantischer Herkunft sind. Wahrscheinlich war die Nacht der Gewalt vielmehr in erster Linie der Tatsache geschuldet, dass die Clubs, wo sich solche testosterongeschwängerten Jungmänner sonst gerne tummeln, wegen der Pandemie geschlossen waren und sie ein Ersatzventil suchten, ihren Frust in körperlicher Gewalt auszuleben. Dennoch sind solche unbedachten Äußerungen geeignet eine Stimmung zu fördern, in Polizisten feindliche Vertreter eines verhassten Staates zu sehen, die man wahllos attackieren darf. Und zwar auf der rechten wie der linken Seite des politischen Spektrums wie auch offensichtlich unter vielen migrantischen Jugendlichen, in deren Herkunftsländern Polizisten tatsächlich oft Helfer eines Unterdrückerapparats sind.

 

Ja, Polizisten repräsentieren auch bei uns die Staatsgewalt. Der Staat sind wir jedoch alle, er ist die Organisation unserer demokratischen, toleranten, liberalen Gesellschaft. Polizisten haben die Aufgabe, ja: die Pflicht, für Recht, Sicherheit und Ordnung zu sorgen, für ein gewaltfreies Miteinander und den Schutz der Bürgerinnen und Bürger, und Straftaten zu verfolgen. Damit es möglichst friedlich zugeht und niemand fürchten muss, Opfer von Gewalt und Kriminalität zu werden. Wo es Übergriffe von Beamten gibt, werden sie untersucht und in der Regel geahndet, anders als in den USA.

 

In allererster Linie aber sind Polizisten Menschen wie du und ich, kein Freiwild. Ich habe junge Beamte kennengelernt, die selbst in Brokdorf und in der Hamburger Schanze demonstriert haben und erleben mussten, wie Steine und Tränengasgranaten über sie hinwegflogen. Ihre Kollegen zu attackieren wäre ihnen nie in den Sinn gekommen, selbst wenn sie sich vielleicht über den oder die einen oder anderen geärgert haben.

 

Deshalb: Wer Polizisten grundlos angreift, ob körperlich oder verbal, greift im Grunde unser friedliches Zusammenleben an. In einem Rechtsstaat darf nur der Staat Gewalt ausüben, zum Schutz der Freiheit und der Bürger. Niemand sonst. Das unterscheidet unsere Gesellschaft und unsere Staat fundamental von Diktaturen wie China, Russland oder der Türkei. Und leider auch den USA. Geben wir das nicht ohne Not preis.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2020.

Ludwig Greven
Ludwig Greven ist freier Journalist und Autor.
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