Ohne Kultur keine Nachhaltigkeit

Über die Verantwortung des Kulturbereiches

Künstlerinnen und Künstler wählen in der Regel die Themen selbst, mit denen sie sich in ihren Arbeiten beschäftigen. Die einen interessieren sich für die zwischenmenschlichen Beziehungen, die anderen für die Vergangenheit, die nächsten spüren bestehenden Texten, Tönen, Farben, Klängen usw. nach, andere ergründen die Untiefen und Tiefen menschlicher Existenz. Wiederum andere finden ihre Inspiration in der Natur, sie bilden die Natur ab, sie arbeiten mit dem Material der Natur, sie verfremden Natur. Die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen ist ebenso groß wie die der künstlerischen Sujets und Genres. Selbstverständlich gibt es auch Künstlerinnen und Künstler, die sich mit Nachhaltigkeit und mit der ökologischen Transformation in ihrem Werk künstlerisch auseinandersetzen. Nur eines ist klar, Kunst ist höchst individuell. Künstlerische Arbeit, insbesondere schöpferische Arbeit in der Literatur, in der Bildenden Kunst, in der Komposition usw., gründet in der Auseinandersetzung der Künstlerin oder des Künstlers mit der Idee und dem Material. Sie ist sehr oft zuerst selbstbezüglich und frei von jedem Auftrag.

 

Natürlich gibt es daneben auch die »Auftragskunst«. Ausschreibungen von Stiftungen, Kulturämtern usw., in denen Stipendien oder Preise ausgelobt werden, für Texte, Musik, Bilder oder Theaterstücke, in denen sich mit bestimmten Themen auseinandergesetzt wird. Dabei kann Nachhaltigkeit ein Thema sein. Es steht Künstlerinnen und Künstlern frei, sich auf solche Ausschreibungen zu bewerben. Manche sehen darin eine gute Gelegenheit, um ein Thema, an dem sie ohnehin arbeiten, voranzubringen und mittels Stipendium ihren Lebensunterhalt zu sichern, manche lehnen solche Ausschreibungen generell ab. Wie eine Ausschreibung inhaltlich gefüllt wird, obliegt entsprechend der Freiheit der Kunst wiederum der Künstlerin oder dem Künstler.

 

Wir sind fest davon überzeugt, dass Künstlerinnen und Künstler keine besondere Pflicht haben, sich in spezieller Weise für Nachhaltigkeit bzw. für die ökologische Transformation einzusetzen. Künstlerinnen und Künstler sind frei darin, was sie künstlerisch arbeiten und womit sie sich auseinandersetzen. Urheberinnen und Urheber sind nur sich und ihrem Werk verpflichtet. Das kann im persönlich schlimmsten Fall auch bedeuten, dass sich niemand für die Arbeiten interessiert und sie keinen Markt haben. Das ist aber eine individuelle Entscheidung.

 

Wenn Künstlerinnen und Künstler sich aber dazu entscheiden, sich in ihrem Werk mit Nachhaltigkeit und ökologischer Transformation auseinanderzusetzen, haben sie ganz eigene Wege und Chancen, die Menschen zu erreichen. Kunst spricht nicht nur den Verstand, sondern die Sinne an. Kunst ermöglicht einen emotionalen Zugang zu einem Thema und eröffnet damit andere Ebenen der Auseinandersetzung. In künstlerischen Fotografien können ökologische Veränderungen sehr viel eindrücklicher vermittelt werden als es in einfachen Bildern im Sinne von Abbildern möglich ist. Neben der emotionalen Ergriffenheit bieten sie einen eigenen Zugang zu Schönheit und Bedrohung, der wiederum zur intellektuellen Auseinandersetzung einlädt. Es besteht die Möglichkeit, Menschen zu erreichen, die sich ansonsten mit Themen wie Nachhaltigkeit oder ökologische Veränderung nicht auseinandersetzen würden.

 

Vom Werkbereich der Kunstfreiheit, der Künstlerinnen und Künstler und ihr Werk betrifft, ist der Wirkbereich, also die Arbeit von Kultureinrichtungen zu unterscheiden. Auch der Wirkbereich ist von der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz geschützt. Das künstlerische Leitungspersonal verantwortet das Programm. D. h. sie planen und wählen aus, welche Stücke in einem Theater oder Konzerthaus gespielt, welche Ausstellungen in einem Museum gezeigt werden, oder auch welche Lesungen und Veranstaltungen eine Bibliothek durchführt. Handlungsleitend sind dabei eine kuratorische, inhaltliche Idee und künstlerische Qualität.

 

Öffentliche Kultureinrichtungen stehen neben der Verantwortung für die künstlerische Qualität zusätzlich in der Pflicht, Publikum zu gewinnen. Anders als privatwirtschaftliche Unternehmen müssen sie sich zwar nicht am Markt bewähren und haben daher die Freiheit, auch jene Kunst zu zeigen, die ein kleines Publikum erreicht, gleichwohl wird die Resonanz beim Publikum bei der Beurteilung der Arbeit auch herangezogen.

 

Viele Kultureinrichtungen engagieren sich für Nachhaltigkeit. Das betrifft insbesondere die internen Betriebsabläufe und die Gebäude. In verschiedenen Kultureinrichtungen arbeitet spezifisch ausgebildetes Personal: Nachhaltigkeits- oder Transformationsmanagerinnen und -manager analysieren die internen Betriebsabläufe und machen konkrete Vorschläge für Re- und Upcycling. Insbesondere in der Theaterbranche ist das Thema seit vielen Jahren verankert und wird beispielsweise bei den Berliner Theaterfestspielen prominent verhandelt. Neben den Theatern widmen sich Soziokulturelle Zentren, Museen, Bibliotheken usw. dem Thema Nachhaltigkeit. Auch hier geht es um nachhaltige Produktionsabläufe. Unterstützt werden die Bemühungen der genannten sowie weiterer Institutionen z. B. durch die Green Culture Anlaufstelle, die regelmäßige Beratungen und Weiterbildungen anbietet oder zu lokalen Akteuren weiterleitet.

 

Eine Grenze finden öffentliche sowie öffentlich geförderte Kultureinrichtungen sehr oft in den eigenen Ressourcen. Das betrifft insbesondere die Gebäude und hier speziell eine nachhaltige Energieversorgung. Der vielfach beklagte Investitionsstau trifft auch auf den Kulturbereich zu. Viele Kultureinrichtungen befinden sich in dringend sanierungsbedürftigen Gebäuden, was dazu führt, dass dem nachhaltigen Wirtschaften Grenzen gesetzt sind.

 

Über die Betriebsökologie hinaus, die als solche bedeutsam ist, können Kultureinrichtungen in ihrem Programm Fragen der Nachhaltigkeit und der ökologischen Transformation verhandeln. Dies gelingt insbesondere dann gut, wenn es nicht mit dem sprichwörtlichen Holzhammer erfolgt, sondern die spezifischen Möglichkeiten der Kunst genutzt werden, um eine Auseinandersetzung mit dem Thema zu ermöglichen. Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, spricht Kunst die Sinne an und ermöglicht daher die Auseinandersetzung auf einer anderen Ebene.

 

Viele Kulturverantwortliche begreifen ihre Arbeit politisch, wollen in die Gesellschaft hineinwirken und Diskurse anregen. Gerade sie widmen sich aus eigenem Antrieb Fragen der Nachhaltigkeit und der ökologischen Transformation. Dies geschah teilweise bereits zu einem Zeitpunkt, als die öffentliche Debatte noch längst nicht so weit war. Zu denken ist in diesem Zusammenhang beispielsweise an Ausstellungen und Publikationen zum Anthropozän im Haus der Kulturen der Welt in Berlin während der Intendanz von Bernd Scherer. Hier wurde auf künstlerisch-intellektuelle Weise der Diskurs um Nachhaltigkeit weltweit verhandelt.

 

Neben der individuellen Künstlerinnen- und Künstlerförderung und der Förderung von Institutionen fördert die öffentliche Hand auch Kulturprojekte. Es kann sich dabei um künstlerische Vorhaben, um Vermittlungsprojekte, um Ausstellungen, Veranstaltungen usw. handeln. In der Regel muss sich für diese Vorhaben beworben werden. In Förderrichtlinien oder -grundsätzen wird zum einen vorgegeben, was konkret gefördert werden kann, zum anderen können weitere Anforderungen formuliert werden. Zu diesen weiteren Anforderungen können Vorgaben zur Nachhaltigkeit gehören. In der Filmförderung sind solche Vorgaben unter dem Stichwort »Grünes Drehen« längst selbstverständlich. Bei Festivalförderungen werden zunehmend Vorgaben mit Blick auf Nachhaltigkeit gemacht.

 

Die Bedingungen werden in der Regel bereits in den Antragsunterlagen klar kommuniziert und jeder und jede kann für sich entscheiden, ob er oder sie unter den präzisen Ausgangsbedingungen ein Projekt beantragt oder nicht. Ebenso wenig wie es eine Garantie dafür gibt, dass Kunst und Kultur öffentlich gefördert werden, genauso wenig ist garantiert, dass ausreichend interessante Bewerbungen für eine Förderung eingehen. Das Risiko liegt bei denjenigen, die eine Förderung ausloben und vergeben.

 

Es besteht eine sehr hohe intrinsische Motivation im Kulturbereich, sich mit Fragen der Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Das gilt für die künstlerische Arbeit im engeren, für die kuratorische im weiteren Sinne sowie für die betriebsökologische Transformation. Dabei setzen Künstlerinnen und Künstler sowie Kulturverantwortliche ihre eigenen Schwerpunkte und Akzente. Das große Potenzial des Kulturbereiches besteht darin, dass mit einer eigenen Sprache und Ausdrucksweise für Nachhaltigkeit und die ökologische Transformation eingetreten wird. Hierdurch kann es gelingen, Menschen zu begeistern und für das Thema zu gewinnen. Kunst und Kultur können so einen wesentlichen Beitrag zur Debatte um Nachhaltigkeit leisten, ganz im Sinne von »Ohne Kultur keine Nachhaltigkeit«.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2025.
Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
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