Kulturhaushalte unter Druck

Kulturpolitik muss jetzt kreative Lösungen finden

An der Frage, wie die Haushaltslöcher zu stopfen sind, ist die Ampelkoalition am 6. November dieses Jahres zerbrochen. Wenn man sich zurückerinnert, scheint es kaum ein Thema gegeben zu haben, das die Ampelkoalition so sehr aufgerieben und beschäftigt hat wie die Aufstellung und Durchführung der Bundeshaushalte. Klar, der Bundeshaushalt 2022 kam aufgrund der Bundestagswahl 2021 verspätet. Eine solche vorläufige Haushaltsführung ist eingeübte Praxis. Der Bundeshaushalt 2023 ging am Anfang noch geordnet über die parlamentarischen Hürden, nicht zuletzt aufgrund des Wirtschaftsstabilisierungsfonds, der die notwendigen Haushaltsmittel im laufenden Haushaltsjahr 2023 bereitstellte. Dieser Fonds wurde nach einer Klage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor dem Bundesverfassungsgericht als nicht verfassungsgemäß bewertet und im Nachgang verboten. Das hatte zur Folge, dass die Beratungen zum Bundeshaushalt 2024 im Jahr 2023 nicht abgeschlossen werden konnten und 2024 erneut mit einer vorläufigen Haushaltsführung begann. Zwar konnte der Haushalt im ersten Quartal 2024 auf den Weg gebracht werden, doch dräute bereits die Aufstellung des Bundeshaushalts 2025. Er verzögerte sich, eine Einigung zwischen den Fachministerien und Finanzminister Christian Lindner schien in weite Ferne zu rücken. Immer häufiger mussten Christian Lindner, Vizekanzler Robert Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz zu dritt tagen, um schließlich im Juli 2024 weißen Rauch aufsteigen zu lassen, Habemus Haushalt.

 

Doch weit gefehlt, die Auseinandersetzungen gingen weiter und kaum eine Woche verging ohne Wasserstandsmeldungen zur Haushaltslage und mangelnder Einigung für das Jahr 2025. Die Unsicherheit wuchs und wuchs. Nicht nur, aber auch im Kulturbereich. Alle, die vorausschauend ihre Projekte geplant hatten, mit einem Ende in diesem Jahr und in der Hoffnung auf eine Fortführung Anfang 2025, die über die anstehende vorläufige Haushaltsführung 2026 wegen der anstehenden regulären Bundestagswahl tragen sollte, schauen nun in die sprichwörtliche Röhre.

Das Jahr 2025 wird auf der Bundesebene mit einer vorläufigen Haushaltsführung beginnen, mit einer Bundestagswahl Ende Februar 2025 und anschließender Regierungsbildung. Die neue Bundesregierung wird vermutlich erst im Mai mit der Aufstellung des Bundeshaushalts 2025 beginnen, ein Zeitpunkt, an dem in einem „normalen“ Jahr die ministeriumsinternen Haushaltsaufstellungen 2026 begonnen hätten. Man kann nur hoffen, dass die neue Bundesregierung bei der Aufstellung des Haushalts 2025 gleich den von 2026 mitbedenkt. Vor September/Oktober 2025 ist jedenfalls kaum mit einem Haushalt zu rechnen. D. h., dass aller Wahrscheinlichkeit nach über drei Quartale eine vorläufige Haushaltsführung gelten wird. Viele Projekte und Vorhaben stehen in den Startlöchern, können aber nicht begonnen werden. Es besteht eine erhebliche Unsicherheit, mit welchen Mitteln überhaupt gerechnet werden kann. Eine lange Durststrecke steht den bundesgeförderten Einrichtungen bevor.

 

In den Ländern und in Kommunen sieht es oftmals nicht viel besser aus – auch wenn dort Haushalte beschlossen werden. In Berlin steht eine Kürzung des Kulturhaushalts um sage und schreibe zwölf Prozent an. Das bedeutet teilweise Beendigung von Institutionen und Projekten. So steht die Weiterfinanzierung der Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung auf der Kippe. Die Sanierung der Komischen Oper soll gestoppt werden. Die Kürzungen bei Theatern führen dazu, dass kaum mehr Neuproduktionen möglich sein werden. Dies wird sich natürlich auf die Eigeneinnahmen auswirken, die fester Bestandteil des Wirtschaftsplans sind. Der Chef der Schaubühne, die eine GmbH ist, befürchtet die Insolvenz des Hauses. Die massiven Kürzungen bei den Institutionen werden sich auch in der Freien Szene und der Kultur- und Kreativwirtschaft auswirken. Fördermittel für die Freie Szene werden gekürzt, Aufträge an Unternehmen werden rarer. In Köln oder in Dresden zeigt sich ein ähnliches Bild. Massive Einsparungen im Kulturetat drohen, die an die Substanz gehen.

In vielen kleinen und größeren Orten kämpfen die Kulturinstitutionen und die Künstlerinnen und Künstler um das Überleben. Dabei werden gerade jetzt die Kulturorte dringend gebraucht, um aktuelle Fragen zu verhandeln, um Orte des demokratischen Diskurses zu bieten, um zum Nachdenken anzuregen oder einfach nur um Zusammenhalt zu stiften. Viele aufgeregte Debatten finden statt. Gerade Kulturorte können dabei helfen, diese historisch einzuordnen, ihre Einmaligkeit zu hinterfragen und zu ermutigen, neue Wege zu gehen.

 

Vieles wurde in den letzten Jahren, nicht zuletzt in der Coronapandemie auf den Weg gebracht. Die Diskussion um Honoraruntergrenzen ist bundesweit angekommen. Der Bund sieht deren Einhaltung in Zuwendungsbescheiden vor, und auch in den Ländern wurden die Bestrebungen vorangetrieben, zumindest eine untere Haltegrenze für Honorare von Künstlerinnen und Künstlern einzuziehen. Diese Entwicklung darf angesichts schrumpfender Kulturhaushalte jetzt nicht abgeschnitten werden. Auch wenn es vielleicht verlockend erscheinen mag, jetzt auf die Umsetzung von Honoraruntergrenzen zu verzichten, um überhaupt Projekte zu ermöglichen, wäre dies genau die falsche Entscheidung. Auch in schwierigen Haushaltszeiten muss zumindest die Honoraruntergrenze gezahlt werden.

Ebenso wenig darf die Nachhaltigkeitsdiskussion erstickt werden. Viele Kulturorte haben hier in den letzten Jahren, auch dank des Bundesprogramms NEUSTART KULTUR, investieren können. Dieses muss fortgeführt werden. Kulturorte müssen energieeffizienter, nachhaltiger und damit resilienter werden. Ja, das kostet Geld. Doch was sind die Kosten im Vergleich zum möglichen unwiederbringlichen Verlust von materiellem Kulturgut. Kultur wird vom KRITIS-Dachgesetz ausgenommen, da sie keine mit Stromversorgung oder Finanzdienstleistungen vergleichbare Infrastruktur ist. Gleichzeitig wird angekündigt, dass Kultur Teil der Nationalen Resilienzstrategie sein wird. Hierfür wird es erforderlich sein, die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu stellen.

 

Die genannten Anforderungen, Honoraruntergrenzen und Nachhaltigkeit, sind nur zwei von verschiedenen anderen Themen, die nicht zurückgestellt werden dürfen und trotz knapper Ressourcen angegangen werden müssen. Andere sind z. B. die Digitalisierung des Kulturbereiches, die Weiterentwicklung von Personalstrategien, die Öffnung für neue Zielgruppen und andere mehr.

 

Priorisierungen werden vermutlich erforderlich sein, aber die Modernisierung des Kulturbetriebs darf bei der Sanierung von Haushalten nicht auf der Strecke bleiben. Gerade in Zeiten des knappen Geldes beweist sich die Qualität von Kulturpolitik. Jetzt ist die Zeit kreative Lösungen zu finden und nicht nur stur die Wünsche der Kämmerer, Finanzsenatoren und Finanzminister abzuarbeiten.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/24-1/25.

Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Gabriele Schulz ist Stellvertretende Geschäftsführerin des Deutschen Kulturrates.
Vorheriger ArtikelKulturpolitik: Taten zählen
Nächster ArtikelWeckruf an die Gesellschaft