„Im Osten gibt es zu viele Problembürger“

Marco Wanderwitz im Gespräch

Das wissen auch im Westen viele nicht.

Aber der Anteil ist im Osten größer. Noch schlimmer sind die, die über Minderheitsrechte stöhnen und dass es hier nicht mehr so schön homogen ist. Nach dem Motto: „Wir möchten, dass es so bleibt, wie es in der DDR war. Da gab es nur Deutsche. Mir ist es egal, wenn im Mittelmeer Menschen ersaufen.“ Das sind ganz schwierige Debatten.

 

Woher kommt das?

Ein Teil ist frustriert durch die Transformation, das Nichterreichen des Wohlstandsversprechens der Bundesrepublik, auf das sie gehofft hatten, und die Mühseligkeit der Demokratie. Das hat dazu geführt, dass sich demokratiefeindliche Tendenzen festgesetzt haben. Das wird zum Teil von Generation zu Generation übertragen.

 

Erreichen Sie diese Menschen durch solche Äußerungen?

Alle, die es mit der Gebetsmühle und Gesprächsrunden versucht haben, haben auch wenig bewirkt. Einen Teil kann man erreichen, indem man ihnen den Spiegel vorhält und ihnen sagt: Wir reden gerne über eure Probleme, auch die der Vergangenheit. Aber wir müssen auch darüber reden, dass es nicht zur Grundverfasstheit der Demokratie gehört, Rechtsextreme zu wählen, nur weil ich dagegen bin, dass eine Windmühle vor meinem Haus stehen soll.

 

Aber grenzt es nicht dennoch aus, weil es dann immer schnell heißt: Alle im Osten sind so?

Deshalb muss man differenzieren. Wir haben das Problem genauso im Westen, nur ist es im Osten proportional erheblich größer. Es sind auch nicht alle AfD-Wähler verloren. Aber es gibt im Osten zu viele Problembürger. Natürlich schreien die dann und sagen, wir wollen nicht stigmatisiert werden. Aber sorry, wenn ich rechtsradikal bin, jedenfalls hemmungslos Rechtsradikale wähle, dann muss ich damit leben, dass mir das jemand vorhält.

 

Fällt das nicht auch auf Ihre Partei zurück? Hat sie genug dagegen getan?

Offensichtlich erreichen wir und die anderen demokratischen Parteien einen Teil der Bevölkerung nicht. Teilweise Leute, die in schwierigen Verhältnissen leben, aber die Mehrzahl in guten, die sich aber über Nischenthemen definieren, wie „Ich finde keine andere Partei, die mir gibt: In Deutschland leben nur Deutsche.“ Diesen Leuten kann man nur sagen, ihr müsst damit leben, dass wir jetzt ein Einwanderungsland sind. Über die Regeln, die „Hausordnung“, können wir sprechen. Aber bei ihren Grundpositionen können wir sie nicht abholen, weil wir es nicht wollen.

 

Also müssen wir damit leben, dass die AfD und dieses Milieu bleiben wird. Dann bleibt die entscheidende Frage: Wie geht die CDU und gehen die anderen Parteien damit um?

Die Brandmauer muss hoch sein und jedes Jahr neu verputzt werden. Viele sagen zu Recht: Hört auf, vor denen zu sitzen wie das Kaninchen vor der Schlange und zu überlegen, wie können wir die gewinnen. Die große demokratische Mehrheit sagt: Hier wird nach unseren Regeln gespielt. Deshalb dürfen wir auch nicht darüber reden, wie stimmen wir ab, wenn die AfD mal einen sinnvollen Antrag einbringt. Da muss klar sein: Das ist eine rechtsradikale Partei, ihre Anträge werden grundsätzlich abgelehnt. Wenn es Themen gibt, die wir als Demokraten bearbeiten müssen, machen wir das selbst.

 

In Thüringen wurde der CDU-Rechtsaußen und frühere Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen als Bundestagskandidat aufgestellt, beim Misstrauensantrag der AfD mit Björn Höcke gegen Bodo Ramelow sind die CDU-Abgeordneten sitzen geblieben. Hält die Brandmauer?

Sie hält. Machen Sie sich da keine Sorgen.

 

Die meisten DDR-Bürger haben sich nicht als Ostdeutsche verstanden. Auch in der Nachwende-Generation gibt es viele, die sich nicht so definieren, sondern einfach selbstbewusst ihren Weg gehen. Weshalb betonten andere ihr Ost-Sein, obwohl sie die DDR gar nicht erlebt haben?

Das ist dieses identitäre Denken, das es auch auf der Linken gibt. Da fehlt mir der Zugang. Bei Initiativen wie „Wir sind der Osten“ hat es etwas Positives. Mich stört es aber, wenn man sich negativ von Westdeutschen abgrenzt. Viele Sachsen, Thüringer und Brandenburger definieren sich als Erstes als solche, dann als Deutsche und Europäer. Aber wenn man sie fragt: „Fühlen Sie sich als Menschen zweiter Klasse?“, sagt ein Drittel Ja. Allerdings auch fast genauso viele in den alten Ländern. Weil es da um ganz andere Dinge geht als Ost/West, z. B. wie viel Lohn bekomme ich als Paketfahrer. Es gibt Parteien und sie begleitende Medien, die darauf rumreiten und eine unheilige Agenda verfolgen.

 

Sollte man Ihre Aufgabe in der neuen Regierung mit der Frauengleichstellung und der Integration der Migranten zu einem Integrationsministerium zusammenfassen?

Ich bin da skeptisch. Es bleiben genügend ostspezifische Aufgaben. Ich bin froh, dass es jetzt endlich – zu spät – das Amt der Beauftragten für die SED-Opfer gibt. Das sollte man nicht in einem Megaressort bündeln, weil es dann leicht untergeht.

 

Wenn Sie nach der Wahl nicht Ostbeauftragter bleiben, wie werden Sie dann auf die Erfahrungen in dem Amt zurückschauen?

Ich konnte an konkreten Stellen helfen, etwas für den Osten herauszuholen. Und habe gelernt, dass man dreimal ums Eck denken muss, um nur ja niemandem auf den Fuß zu treten. Dennoch bleibe ich dabei: Getroffene Hunde bellen fix.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.

Marco Wanderwitz und Ludwig Greven
Marco Wanderwitz ist Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer. Ludwig Greven ist freier Publizist.
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