Fasching-Fastnacht-Karneval ist Kultur

Die Brauchformen reichen zurück ins christlich geprägte Mittelalter und verdienen Respekt

Wenn auch der Fasching, die Fastnacht und der Karneval nur mit einigen wenigen Hochburgen wie Düsseldorf, Köln, Mainz und München in Verbindung gebracht werden, so ist doch der Bund Deutscher Karneval als größter Fachverband in allen Bundesländern vertreten. Aufgrund der geschichtlichen Verwurzelung im christlichen Mittelalter und der Verbreitung nicht nur in Deutschland, sondern auch in mehreren europäischen Ländern, hat dieser Brauch verschiedenartigste Rituale und Feierformen entwickelt und ist nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819 auch politisch geworden, insofern als die mundtot gemachten Demokraten die Bütt und die Narrenzeitung für die Äußerung ihrer Kritik in literarischer Form zu nutzen wussten – übrigens weit über die Zeit der Frankfurter Paulskirche hinaus.

 

Deshalb zweifeln weder die Karnevalisten und Fastnachter selbst noch die Fastnachtsexperten aus der Wissenschaft daran, dass Fastnacht und Karneval als kulturelle Ausdrucksformen bestimmter Regionen ihren eigenen Wert haben. Sie erdulden es oder nehmen es mit Humor, wenn die Öffentlichkeit das Kulturgut Karneval nicht wahrnimmt. Aber sie empören sich zu Recht, wenn zuweilen behauptet wird, die Fastnacht sei nichts anderes als eine legitimierte Gelegenheit zu maßlosem Fressen und Saufen, zum Brechen von Tabus und zur hemmungslosen Überschreitung von Normen im Bereich von Sitte und Anstand. Wenn vielfach beobachtet wird, dass vor allem junge Leute an den tollen Tagen bedenklich „über die Stränge schlagen“, indem sie schon vor Beginn des Rosenmontagszuges alkoholisiert die Besinnung verlieren, dann muss man dies begründen mit einem allgemeinen Trend in der Gesellschaft und mit einer Sinn-Entleerung dieses Brauchs, die wiederum damit zu erklären ist, dass die maßgeblichen Leute, also Eltern und die verantwortlichen „Brauch-Pfleger“, es versäumt haben zu erklären, um was es sich bei den fastnachtlichen und/oder karnevalistischen Bräuchen tatsächlich handelt.

 

Dabei ist das Verständnis des Begriffs „Brauch“ natürlich Voraussetzung für richtiges Erklären und entsprechendes Handeln. Brauch nennen wir eine rituell genormte, regelmäßig wiederkehrende und von gemeinschaftlichem Geist geprägte Handlung, die durch Tradition gefestigt ist und einen Bedeutungsgehalt hat. Und es ist, um allen Missverständnissen vorzubeugen, darauf hinzuweisen, dass Bräuche statisch und dynamisch zugleich sind. Diesen scheinbaren Widerspruch lösen Fastnachtsforscher mit der Feststellung auf, dass ein Brauch nur dann lebendig ist, wenn beide Elemente ausgewogen sind: „Wenn Beharrungselemente überhandnehmen, entsteht stillgelegte Vergangenheit. Wenn der Wandel überhandnimmt, löst sich der Brauch auf“, so der Germanist Werner Mezger.

 

In Mainz z. B. haben junge Aktive der Fastnacht den Einfall gehabt, zu den traditionellen Sitzungen auch eine „Stehung“ ins Veranstaltungsprogramm der Kampagne aufzunehmen. Der Einfall der jungen Fastnachter war genial, wie sich sehr bald herausstellte, weil er eine neue Dynamik entfacht hat.

 

Und so vielfältig und verschiedenartig die heutigen Brauch-Formen von Fastnacht und Karneval auch sein mögen, so basieren sie doch alle auf einer gemeinsamen historischen Grundlage im christlich geprägten europäischen Mittelalter. Das verdient Respekt! Absolut inakzeptabel ist, wenn manche meinen, man könne das ganze Jahr über Fastnacht feiern entsprechend günstiger oder ungünstiger Wetterlage oder wenn wirtschaftliche Zwänge es angeblich vorgeben. Denn schon die Namensbezeichnungen von Fastnacht, Fasching und Karneval setzen die christliche Fastenzeit voraus und sind auf diese bezogen. Von der Worterklärung her besagen diese Begriffe nichts anderes als „die Zeit vor dem Fasten“ und „die Wegnahme oder der Verzicht auf Fleisch“ – aus dem Lateinischen carnis levamen. Auch der bewegliche Fastnachtstermin richtet sich seit dem Konzil von Nicäa im Jahre 325 nach der Fastenzeit, die wiederum vom Ostertermin abhängt. Und so wenig wie man Weihnachten in den Juli oder Ostern in den Oktober verlegen kann, so wenig macht es Sinn, mitten im Sommer fastnachtliche Aktivitäten zu entwickeln. Die Ethik-Charta des Bundes Deutscher Karneval lehnt den sogenannten „Sommerkarneval“ mit gutem Grund ab.

 

Gerade als Verband muss man auf der Festschreibung der fastnachtlichen Bräuche als Kulturgut bzw. als Kulturerbe im Gegensatz zu wirtschaftlichem Gewinnstreben bestehen. Wie anders wollte man denn begründen, dass entgegenkommende Vereinbarungen mit der GEMA ihre absolute Berechtigung haben. Wie anders könnte man Erwartungen an den Gesetzgeber, an die Regierungen sowie an die Landes- und Kommunalbehörden rechtfertigen, bei Bestimmungen und Vorgaben Rücksicht auf die Fastnachter und Karnevalisten zu nehmen, die nicht nur aus eigenem Spaß an der Freude ehrenamtlich arbeiten, sondern eben auch einer Vielzahl von Mitmenschen auf mancherlei Art zumindest Unterhaltung, wenn nicht gar neuen Lebensmut vermitteln, ganz zu schweigen von der immensen Jugendarbeit, die da geleistet wird.

 

Wie weit reicht die Fastnacht in die Geschichte zurück? Einige sagen, schon die alten Römer hätten Fastnacht gefeiert. Das ist ein Irrtum, der leicht aufzuklären ist. Schon allein die oben angeführte Worterklärung spricht gegen diese Annahme. Richtig ist, dass es gewisse Ähnlichkeiten in der Feierform gibt. Z. B. die viel zitierten „Bacchanalien“, die aus Unteritalien als mystisch-dunkler Kult des Bacchus – im Griechischen Dionysos – nach Rom kamen. Das ausschweifende Fest rief allerdings im Jahre 186 v. Chr. einen solchen Skandal hervor, dass der römische Senat beschloss, diesen zügellosen Kult zu unterbinden. Auch die „Lupercalien“, die die Römer zu Ehren des Gottes Lupercus feierten, werden gern mit unserer Fastnacht verglichen. Am häufigsten betrachtet man die „Saturnalien“ als Vorläufer fastnachtlicher Bräuche. Am 17. Dezember manchmal bis zum Neujahrstag wurden in den Häusern üppige Gastmähler gehalten, bei denen die Herren die Sklaven bedienen und so ausgelassen gefeiert wird, dass man die Saturnalien auch den „altrömischen Karneval“ nannte.

 

Die Fastnacht ist aber ein Fest des christlichen Mittelalters. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts standen die Begriffe Fastnacht – Fasching – Karneval gleichberechtigt nebeneinander. Lange Jahrzehnte des vorherigen und unseres Jahrhunderts beharrten die Brauchpfleger im deutschen Südwesten auf den heidnisch-germanischen Fruchtbarkeitskulten, der Winteraustreibung sowie der damit verbundenen Mythologisierung der Fastnacht, was der Ideologie der Nationalsozialisten sehr entgegenkam, die auch die Fastnacht in Deutschland für ihre verhängnisvolle Politik instrumentalisiert haben. Joseph Goebbels, Minister für Volksaufklärung und Propaganda, verordnete die nationalsozialistische Deutung der Fastnacht eben nicht als christliches Schwellenfest, sondern als das Fest „der Freude des Menschen über das ankommende Licht und das neu aufsteigende Leben, … der Überfülle aus der schöpferischen Urkraft eines Jahrtausende erdenfrohen Volkes“, welches „dieses Ur-Gesetz aus Blut und Scholle“ nicht verfälschen dürfe.

 

Es ist das Verdienst von Wissenschaftlern um Werner Mezger und Dietz-Rüdiger Moser, dass die Fastnacht entmythologisiert und mit der germanischen Kontinuitätsthese aufgeräumt wurde. Solche Klarstellungen kommen dankenswerterweise auch aus dem Bereich der organisierten schwäbisch-alemannischen Fastnacht.

 

Die Feierbräuche gleichen sich im Wesentlichen in ganz Deutschland über das ganze Mittelalter hinweg. Im Grunde sind auch die Klagen gegenüber der Fastnacht immer die gleichen und die Begründungen für das Verbot genauso, wenn dieses nicht gar politisch motiviert war. Immer wieder wurden Zucht und Anstand angemahnt. Dennoch duldete die Kirche die Fastnacht als eine Veranstaltung, bei der das Böse demonstriert wird und zur Hinwendung zum Guten motiviert. Und auch in Kleriker-Kreisen und Klöstern feierte man die Fastnacht als die „verkehrte Welt“, in der man für Stunden selbst die hierarchische Ordnung auf den Kopf stellte.

 

Nach der sogenannten Fastnachtsreform, die mit der Gründung des Kölner Festordnenden Komitees 1823 begann und sich rheinaufwärts mit Vereinsgründungen fortsetzte – Bonn 1824, Koblenz 1826, Bingen 1833, Mainz 1837 –, entwickelte sich die Fastnacht zusehends zu einem Ventil angesichts staatlicher Zensur und Restriktionen gegenüber Intellektuellen, Journalisten und Schriftstellern, maßgeblich legitimiert durch Fürst Klemens Metternichs Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die Fastnacht war niemals frei im eigentlichen Sinn, denn das Scheitern des Paulskirchen-Parlaments 1848/49, die preußische Obrigkeit mit und ohne Bismarck, der Nationalsozialismus und die Kontrolle durch Besatzungsmächte im noch nicht entnazifizierten Nachkriegsdeutschland haben immer wieder mutige Redner aus der Bütt erfordert. Und auch heute braucht es einigen Mut, die eigene Meinung gegenüber der Saison abhängigen „political correctness“ laut zu äußern.

 

Fastnacht als Fest der Lebensfreude, als Fest der „verkehrten Welt“, auch als Gelegenheit zur Kritik und zur Satire darf ruhigen Gewissens als Kulturgut betrachtet werden, das man nicht vor die Hunde gehen lassen darf. Nicht zuletzt ist es das Fest, das den Aspekt unserer eigenen Endlichkeit deutlich macht, wenn es am Aschermittwoch heißt: „Memento mori! – Bedenke, dass Du sterblich bist!“ Auch das gehört zu unserer Kultur, wenngleich die meisten Kulturbeflissenen dies längst nicht mehr so erkennen. Und die Medien außerhalb der wenigen verbliebenen Karnevals- und Fastnachts-Metropolen nehmen die Fastnacht als billiges Trallalla unterhalb von Volksmusik-Gejodel wahr. Von einer Akzeptanz als Kulturfest, als Fest der Volkskultur ist wenig zu spüren.

 

Als Optimist und Fastnachter hoffe ich auf die noch existierenden Kollegen wie Till und Bajazz und die Büttenredner in unseren Mainzer Vereinen, die in Versen oder in Prosa beim Kritisieren mit dem Florett fechten und den Säbel Kabarettisten überlassen, die es nicht lassen können, sich wegen lukrativer TV-Präsenz auch noch der Fastnacht zu bemächtigen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.

Peter Krawietz
Peter Krawietz ist Vizepräsident im Bund Deutscher Karneval.
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