Fasching-Fastnacht-Karneval ist Kultur

Die Brauchformen reichen zurück ins christlich geprägte Mittelalter und verdienen Respekt

 

Wie weit reicht die Fastnacht in die Geschichte zurück? Einige sagen, schon die alten Römer hätten Fastnacht gefeiert. Das ist ein Irrtum, der leicht aufzuklären ist. Schon allein die oben angeführte Worterklärung spricht gegen diese Annahme. Richtig ist, dass es gewisse Ähnlichkeiten in der Feierform gibt. Z. B. die viel zitierten „Bacchanalien“, die aus Unteritalien als mystisch-dunkler Kult des Bacchus – im Griechischen Dionysos – nach Rom kamen. Das ausschweifende Fest rief allerdings im Jahre 186 v. Chr. einen solchen Skandal hervor, dass der römische Senat beschloss, diesen zügellosen Kult zu unterbinden. Auch die „Lupercalien“, die die Römer zu Ehren des Gottes Lupercus feierten, werden gern mit unserer Fastnacht verglichen. Am häufigsten betrachtet man die „Saturnalien“ als Vorläufer fastnachtlicher Bräuche. Am 17. Dezember manchmal bis zum Neujahrstag wurden in den Häusern üppige Gastmähler gehalten, bei denen die Herren die Sklaven bedienen und so ausgelassen gefeiert wird, dass man die Saturnalien auch den „altrömischen Karneval“ nannte.

 

Die Fastnacht ist aber ein Fest des christlichen Mittelalters. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts standen die Begriffe Fastnacht – Fasching – Karneval gleichberechtigt nebeneinander. Lange Jahrzehnte des vorherigen und unseres Jahrhunderts beharrten die Brauchpfleger im deutschen Südwesten auf den heidnisch-germanischen Fruchtbarkeitskulten, der Winteraustreibung sowie der damit verbundenen Mythologisierung der Fastnacht, was der Ideologie der Nationalsozialisten sehr entgegenkam, die auch die Fastnacht in Deutschland für ihre verhängnisvolle Politik instrumentalisiert haben. Joseph Goebbels, Minister für Volksaufklärung und Propaganda, verordnete die nationalsozialistische Deutung der Fastnacht eben nicht als christliches Schwellenfest, sondern als das Fest „der Freude des Menschen über das ankommende Licht und das neu aufsteigende Leben, … der Überfülle aus der schöpferischen Urkraft eines Jahrtausende erdenfrohen Volkes“, welches „dieses Ur-Gesetz aus Blut und Scholle“ nicht verfälschen dürfe.

 

Es ist das Verdienst von Wissenschaftlern um Werner Mezger und Dietz-Rüdiger Moser, dass die Fastnacht entmythologisiert und mit der germanischen Kontinuitätsthese aufgeräumt wurde. Solche Klarstellungen kommen dankenswerterweise auch aus dem Bereich der organisierten schwäbisch-alemannischen Fastnacht.

 

Die Feierbräuche gleichen sich im Wesentlichen in ganz Deutschland über das ganze Mittelalter hinweg. Im Grunde sind auch die Klagen gegenüber der Fastnacht immer die gleichen und die Begründungen für das Verbot genauso, wenn dieses nicht gar politisch motiviert war. Immer wieder wurden Zucht und Anstand angemahnt. Dennoch duldete die Kirche die Fastnacht als eine Veranstaltung, bei der das Böse demonstriert wird und zur Hinwendung zum Guten motiviert. Und auch in Kleriker-Kreisen und Klöstern feierte man die Fastnacht als die „verkehrte Welt“, in der man für Stunden selbst die hierarchische Ordnung auf den Kopf stellte.

 

Nach der sogenannten Fastnachtsreform, die mit der Gründung des Kölner Festordnenden Komitees 1823 begann und sich rheinaufwärts mit Vereinsgründungen fortsetzte – Bonn 1824, Koblenz 1826, Bingen 1833, Mainz 1837 –, entwickelte sich die Fastnacht zusehends zu einem Ventil angesichts staatlicher Zensur und Restriktionen gegenüber Intellektuellen, Journalisten und Schriftstellern, maßgeblich legitimiert durch Fürst Klemens Metternichs Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die Fastnacht war niemals frei im eigentlichen Sinn, denn das Scheitern des Paulskirchen-Parlaments 1848/49, die preußische Obrigkeit mit und ohne Bismarck, der Nationalsozialismus und die Kontrolle durch Besatzungsmächte im noch nicht entnazifizierten Nachkriegsdeutschland haben immer wieder mutige Redner aus der Bütt erfordert. Und auch heute braucht es einigen Mut, die eigene Meinung gegenüber der Saison abhängigen „political correctness“ laut zu äußern.

 

Fastnacht als Fest der Lebensfreude, als Fest der „verkehrten Welt“, auch als Gelegenheit zur Kritik und zur Satire darf ruhigen Gewissens als Kulturgut betrachtet werden, das man nicht vor die Hunde gehen lassen darf. Nicht zuletzt ist es das Fest, das den Aspekt unserer eigenen Endlichkeit deutlich macht, wenn es am Aschermittwoch heißt: „Memento mori! – Bedenke, dass Du sterblich bist!“ Auch das gehört zu unserer Kultur, wenngleich die meisten Kulturbeflissenen dies längst nicht mehr so erkennen. Und die Medien außerhalb der wenigen verbliebenen Karnevals- und Fastnachts-Metropolen nehmen die Fastnacht als billiges Trallalla unterhalb von Volksmusik-Gejodel wahr. Von einer Akzeptanz als Kulturfest, als Fest der Volkskultur ist wenig zu spüren.

 

Als Optimist und Fastnachter hoffe ich auf die noch existierenden Kollegen wie Till und Bajazz und die Büttenredner in unseren Mainzer Vereinen, die in Versen oder in Prosa beim Kritisieren mit dem Florett fechten und den Säbel Kabarettisten überlassen, die es nicht lassen können, sich wegen lukrativer TV-Präsenz auch noch der Fastnacht zu bemächtigen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.

Peter Krawietz
Peter Krawietz ist Vizepräsident im Bund Deutscher Karneval.
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