Simulation von Gesellschaft

Science-Fiction als Raum für Experimente

Reisen bedeutet aber auch, dort auf andere, unbekannte Lebensformen zu treffen. Das bringt selbstredend ein Problem mit sich: Wie mit dem Anderen umgehen? In Wells’ „Krieg der Welten“ sieht sich die Erdbevölkerung mit einer Invasion von Außerirdischen konfrontiert. Marsianer landen mit ihren Raumschiffen auf der Erde. Die marsianische Technik ist der menschlichen weit überlegen und die Außerirdischen zeigen keinerlei Respekt für menschliches Leben. Auch das ist als Kritik am britischen Imperialismus zu verstehen. Dass die Menschheit überlebt, ist übrigens in dem Roman ausgerechnet einer primitiven Lebensform, nämlich Bakterien, zu verdanken, welche die Marsianer infizieren. Aber längt nicht alle Außerirdischen sind der Menschheit feindlich gesinnt. Steven Spielberg zeigt 1977 in der „Unheimlichen Begegnung der dritten Art“, dass die Menschheit dem Unbekannten, dem Neuen offen begegnen sollte und sich eben nicht verschließen darf.

 

Dass die Science-Fiction Gesellschaftskritik übt, hat sie in gewisser Weise zur zu oft vernachlässigten Schwester der Utopie werden lassen. Sie ist letztlich Ergebnis des Wissenschafts- und Technikoptimismus des 19. Jahrhunderts und versucht eher als die Utopie, durch Extrapolation eine Kontinuität zwischen der Gegenwart und der fiktionalen Zukunft herzustellen. Im Gegensatz dazu tendiert die Utopie in ihrem normativ postulierten Idealbild viel mehr dazu, einen totalen Bruch mit der Realität herzustellen. Die Science-Fiction ist also in ihrer Flexibilität wesentlich dynamischer und erzählt von laufenden Veränderungen, während die Utopie eher ein statisches Ergebnis von Veränderung präsentiert. Wie die Utopie orientiert sich die Science-Fiction aber an unserer Gegenwart und spiegelt diese wider. Mit der Utopie hat die Science-Fiction auch mehr gemein als mit Märchen oder Fantasy. Ersteres spielt meist in einer vergangenen Nebenwelt („Es war einmal …“), Letztere macht sich übernatürliche Elemente wie Fabelwesen oder Magie zu eigen. Insofern ist die „Star Wars“-Saga von George Lucas tatsächlich keine Science-Fiction, auch wenn das verschiedentlich immer behauptet wird, geht es doch hier im Grunde um einen groß angelegten Heldenmythos.

 

Schildert die Science-Fiction also eine Veränderung der Realität, die durchaus im Bereich des Machbaren liegt? Da sie extrapoliert und eine, wenn auch nur spekulative, Kontinuität zur Realität herstellt, erhebt sie damit den Anspruch, dass ihre Spekulationen durchaus realisierbar sind. Was in manchen Punkten auch zutrifft: Waren sprechende Computer und tragbare Kommunikatoren bei „Star Trek“ noch bis in die 1990er Jahre Zukunftsmusik, so hat die Gegenwart mit unseren Smartphones und digitalen Assistenten die Science-Fiction eingeholt.

 

Doch trotzdem bleibt das Genre aktuell. Schon 1968 zeigte Stanley Kubrick in „2001: Odyssee im Weltraum“ mit dem Supercomputer HAL die Gefahren von künstlicher Intelligenz auf. Auch die „Neuromancer“-Trilogie von William Gibson und die „Matrix“-Filme der Wachowskis beschäftigen sich mit dem Thema und nicht zuletzt die neuen „Star Trek“-Inkarnationen wie „Discovery“ führen die Diskussion um diese neuen Technologien fort. Die Science-Fiction verspricht technologischen Fortschritt zum Guten der Menschheit und warnt vor einer Entmündigung durch neue Technik. Sie trägt utopische Elemente in sich, wenn sie etwa wie in „Star Trek“ von einem positiven Humanismus ausgeht, in dem die Menschheit aus ihren Fehlern gelernt hat und sich bessern möchte. Sie kann aber auch zur Dystopie werden, bei der Technologie genutzt wird, um eine totalitäre Herrschaft zu errichten.

 

Sie möchte also vieles. Sie ist Gesellschaftssimulation, Versuchslabor und Spiegel unserer Gegenwart.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2021.

Sebastian Stoppe
Sebastian Stoppe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universitätsbibliothek Leipzig und Autor des Buches „Unterwegs zu neuen Welten: Star Trek als politische Utopie“, erschienen im Büchner-Verlag.
Vorheriger ArtikelWissenschaft inspiriert durch Science-Fiction
Nächster ArtikelEs können Wunder geschehen