Die Extreme von Elbflorenz

Kommunale Kulturpolitik in Dresden

Dresden

  • Einwohner: 553.200
  • Fläche: 328,48 km²
  • Bevölkerungsdichte: 1.656 Einwohner pro km²
  • Nächste Oberbürgermeisterwahl: 2021
  • Nächste Kommunalwahl: 2019
  • Oberbürgermeister: Dirk Hilbert (FDP)
  • Beigeordnete des Geschäftsbereiches Kultur und Tourismus: Annekatrin Klepsch (Die Linke)
  • Kulturausgaben: 90 Millionen Euro pro Jahr
  • Kulturausgaben pro Einwohner: 162,69 Euro pro Jahr

In der Semperoper gibt es Musiktheater mit Orchester der Weltspitze und im Dresdner Zwinger hängen die Alten Meister, von der die Menschheit träumt. Ohne Zweifel: Dresden ist Kunst- und Kulturstadt, seit eh und je. Traditionsgemäß richtet sich demnach auch Dresdens Kulturpolitik und -förderung stärker nach der historisch gewichtigen, konservativ-bürgerlichen „Hochkultur“ – mit guten Ausnahmen freilich. Aber en gros geben die genannten großen Player den Ton der kulturellen Wahrnehmung Dresdens an, sie sind Kultureinrichtungen des Freistaates Sachsen, fallen demnach – wie auch das Militärhistorische Museum der Bundeswehr – nicht ins Budget der beachtlichen kommunalen Kulturausgaben Dresdens, die mit etwas über 90 Millionen Euro für eine ostdeutsche Großstadt überdurchschnittlich hoch sind. In diesem städtischen Budget wird auch das Stadtarchiv mit rund vier Millionen Euro als Kultureinrichtung geführt, weiterhin mit drin sind Dresdner Kreuzchor, Musikfestspiele, Philharmonie und mehr. Knapp sieben Millionen Euro von der genannten großen Summe gehen in die kommunale Kulturförderung an Vereine, Künstler, Verbände, Projekte etc. Kurzum: Dresden punktet mit Kultur.
„Es gibt bestimmte Defizite im Bereich der Gegenwartskünste“, sagt Manfred Wiemer, Leiter des Amtes für Kultur und Denkmalschutz, „wobei wir in den vergangenen Jahren mächtig aufgeholt haben, etwa mit dem Europäischen Zentrum der Künste Hellerau“. Das 2004 gegründete und zwei Jahre später umbenannte Hellerau ist ein Kulturbetrieb der Stadt Dresden auf dem Gelände des Festspielhauses Hellerau, als „Nachfolger“ des Dresdner Zentrums für zeitgenössische Musik ein toller Ort für Neue Musik, für Gegenwartskunst, Tanz und Darstellende Kunst, für Bildende Kunst allerdings weniger. Jede Stadt hat eben seine kommunalen kulturpolitischen Traditionen.

 

Bei Kulturpolitik herrscht im Stadtrat positive Stimmung. Vorhaben im Kulturbereich – egal, ob sie von der Verwaltung oder einzelnen Fraktionen vorgeschlagen wurden – erfahren seitens der ehrenamtlichen Politikerinnen und Politiker hohe Akzeptanz. „Jede Fraktion muss sich genau überlegen, falls sie bei Stadtratsbeschlüssen gegen ‚Kultur‘ stimmen möchte“, sagt Wiemer, „es ist nicht populär, dagegen zu sein.“
Das hört sich gut an. Und man könnte es so stehen lassen, wären da nicht die populistischen Scheußlichkeiten, die insbesondere in Dresden mit den Pegida-Demonstrationen ab 2014 an gesellschaftlicher wie politischer Relevanz Zulauf erfahren haben. Es schmerzt. Aber der gegenwärtige populistische Trend, die gewollt politisch destruktive Böswilligkeit, greift auch jene ansonsten einhellige kommunale Kulturpolitik Dresdens an. Bereits 2008, erinnert sich Manfred Wiemer, waren es zwei Gegenstimmen der NPD-Stadträte, die sich grundsätzlich gegen den guten, vernünftigen kulturpolitischen Willen richteten: Das war damals beim Stadtratsbeschluss für den Kulturentwicklungsplan der Stadt. Mit Ausnahme dieser beiden rechtsextremen Stimmen waren alle anderen dafür. Weil die Radikalen – das lief und läuft in vielen anderen deutschen Städten ähnlich – im kommunalen Gremium (also dort, wo de facto Politik gemacht wird) gemieden bis geschnitten werden, da mit ihnen in aller Regel de facto auch keine gestaltende Politik zu machen ist, staut sich außerparlamentarisch umso mehr politischer Hass seitens der Antidemokraten an, die leider auch Bürgerliche der gesellschaftlich breiten Bevölkerungsschicht mitgerissen haben und mit derzeit angesagten populistischen Vereinfachungen oder auch Lügen weiterhin mitreißen. Dresden hat in den letzten Jahren gezeigt, wie weit die kulturpolitische Wahrnehmung bei den Leuten auseinanderdriftet: Während draußen bei Pegida-Kundgebungen nach Bewahrung und Schutz „der Identität unserer christlich-jüdischen Abendlandkultur“ geschrien wurde, wirkte drinnen in der Rathauspolitik jener in Kraft gesetzte Kulturentwicklungsplan, von dem die wenigsten Pegida-Anhänger oder Mitläufer aus politischer Unbildung überhaupt etwas gewusst haben dürften, von dem Manfred Wiemer hingegen im Nachhinein überzeugt ist, dass er absolut wichtig und richtig war.

 

„Der Kulturentwicklungsplan hat sich als nachhaltig erwiesen. Wir konnten uns bei allen Vorhaben immer wieder auf dieses Papier berufen“, so Wiemer. Sein Amt erarbeitet derzeit eine Novellierung, die dem Stadtrat vorgelegt werden soll. Die Novellierung wird parallel zur Bewerbung Dresdens als Europäische Kulturhauptstadt 2025 angegangen. Hier ist noch nichts spruchreif, aber inhaltlicher Schwerpunkt wird das Frieden stiftende Europa sein. Es gibt ost-westdeutsche Unterschiede in der Mentalität im Hinblick auf Europa. Die DDR war an Osteuropa angebunden, der Westen an den Westen. Die Bewerbung um die Kulturhauptstadt 2025 soll ein Zeichen gegen die populistische Hetze setzen. Die Rechtsextremen müssen übertönt werden und zwar mit dem anderen Extrem von Elbflorenz: der entschlossenen Mehrheit der Dresdner nämlich. Sie steht zu guter Letzt auch hinter der fraktionsübergreifenden kulturpolitischen Geschlossenheit im Stadtrat.

 

Stolz kann die Stadt z. B. sein, dass der Dresdner Stadtrat vor sieben Jahren gleich für zwei sehr große 100 Millionen-Kulturprojekte gestimmt hat:
Zum einen für Sanierung und Umbau des Heizkraftwerks Mitte der beiden Theater Staatsoperette Dresden und Theater Junge Generation. Sie wurden Mitte Dezember 2016 eingeweiht, auch die Theater selbst haben nochmals Budgetzuschüsse bzw. neue Stellen bekommen. Zum anderen hat Ende April 2017 der Kulturpalast wiedereröffnet, der 2008 noch unter Denkmalschutz gestellt wurde als Baudokument der DDR-Moderne. Auch der »Kulti«, wie die Dresdner das Haus liebevoll nennen, wurde saniert und umgebaut, im Inneren wurde ein Konzertsaal der Extraklasse eingerichtet, sodass die Dresdner Philharmonie, die sich in städtischer Trägerschaft befindet, nun auch ihren festen Spielort bekommen hat, der fürs Konzertwesen mit natürlicher Akustik optimiert ist. Dass die Öffentlichkeit verhältnismäßig wenig davon mitbekam, lag daran, dass heuer zeitgleich die Elbphilharmonie in Hamburg ihre Neueröffnung feierte. In der Hansestadt waren die Kosten für die Elbphilharmonie explodiert, in Dresden war die Finanzierung hingegen überaus glücklich geraten.
Ursprünglich war vorgesehen, dass es für das Projekt Kulti städtebauliche Fördermittel gibt, d. h. von Bund, Land und Kommune zu jeweils einem Drittel finanziert. Doch diese Wünsche hatten sich wegen verschiedener, nicht erfüllbarer Förderbedingungen zerschlagen. Man suchte eine Alternative. Da bot sich folgendes an: Die Stadt ist seit dem Verkauf der Dresdner Wohnungsbaugesellschaft 2006 schuldenfrei. Mit den Geldern aus diesem Erlös wurden Stiftungen gegründet. Zwei dieser Stiftungen hatten ihr Kapital bis zu jener offenen Frage, wie man den Kulti finanzieren könnte, noch nicht untergebracht. Die zwei Stiftungen haben das Geld nun in der Kommunalen Immobilien Dresden GmbH & Co KG (KID) als stille Gesellschafter angelegt – in der Summe sind das 27 Millionen Euro; jene KID wurde als hundertprozentige Tochter der Stadt gegründet. Sie hat das Objekt gebaut, bleibt Eigentümerin des Kulturpalasts und vermietet die Flächen des Gebäudes an die Nutzer. Das Konstrukt der KID wurde notwendig, weil die Stiftungen das Kapital nicht direkt bei der Stadt hätten anlegen können. Clever!

 

Dresden selber hatte sich zuvor eine Neuverschuldung in seiner Haushaltssatzung untersagt, d. h. Dresden darf keinen Kredit aufnehmen. Dank Gesellschafter-Modell via KID ist es aber gelungen, beide Vorhaben – Kulturpalast und Neubau von Operette und Theater Junge Generation – ohne Neuverschuldung zu stemmen. Glückliches Dresden, während alle Welt zur Elbphilharmonie nach Hamburg schielte. Die Kulturverwaltung hatte in der Vorbereitung zu Umbau und Sanierung des Kulturpalasts die sogenannten Nutzerbedarfe zu ermitteln, was das Kabarett, die Philharmonie, die Bibliothek an Fläche und Funktion benötigen. Diese Nutzerbedarfe wiederum musste sie mit den Interessen des Bauherrn abgleichen und vermitteln. Beim Konzertsaal etwa können sämtliche Sparten stattfinden, auch Rock, Pop und Schlager. Bislang ist der Besucherzuspruch sehr groß. Kulturpolitisch kann dazu keiner ernsthaft nein sagen wollen. Das ist ähnlich wie bei der Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2025.

 

Doch trotz der Einigkeit gibt es immerhin Unzufriedenheit mit dem Wunsch, besser gehört zu werden, auch besser berücksichtigt zu werden bei jener Bewerbung für 2025. Dieser Wunsch kommt vom „Netzwerk Kultur Dresden“, das sich 2014 gegründet hat und als Plattform von über 60 freien Kulturinstitutionen und Kulturinitiativen fungiert. Faire Arbeitsbedingungen in der Kulturbranche stehen ganz oben auf deren Wunschliste, man streitet für weitere Erhöhungen der städtischen Mittel, für freie Kulturarbeit und für größere Transparenz in der Kulturpolitik. Das Engagement des Netzwerks der letzten drei Jahre trägt erste Früchte, wie man sehen kann. Die kulturpolitischen Akzente sind in Dresden ganz ähnlich verteilt wie in den meisten deutschen Städten, wonach eine CDU-Fraktion – die derzeit im Dresdner Stadtrat die größte ist, aber nicht die Mehrheit inne hat – sich auf die sogenannte Hochkultur, d. h. die Ausstattung der großen Kultureinrichtungen, konzentriert, während sich Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und SPD, die in Dresden gegenwärtig die Mehrheitsfraktionen sind, sich stärker auf Soziokultur und freie Kulturszene hin verlagern. Wobei: Die Pole sind nicht immer so eindeutig verteilt. „Es gibt erfreulicherweise Überschneidungen“, beobachtet Manfred Wiemer. Seit zwei Jahren regiert FDP-Oberbürgermeister (OB) Dirk Hilbert, der deutlich gemacht hat, OB aller Dresdner zu sein. Die letzte rot-grün-rote Stadtratsmehrheit hat unterdessen entsprechende Akzente gesetzt und je mit einer Million eine Erhöhung für die Kulturförderung in zwei Haushaltsjahren beschlossen. Auch wenn die Spartenzuordnungen nicht mehr eindeutig zutreffen, aber was die Soziokultur betrifft, profitieren von den Erhöhungen etwa der „riesa efau. Kultur Forum Dresden e. V.“ oder der Johannstädter Kulturtreff e.V., eine klassische Stadtteil-Kultureinrichtung mit starker soziokultureller Ausrichtung. Soziokultur ist wichtig für Dresden. Die Stadt verzeichnet eine leicht wachsende Bevölkerungszahl. Kulturpolitik muss hier nicht zuletzt der Integration förderlich wirken, in zwei Richtungen übrigens: einerseits zu denjenigen, die aus Krieg und Elend geflohen und in der Dresdner Gesellschaft noch nicht angekommen sind; andererseits zu denjenigen, die der demokratischen Gesellschaft unlängst oder schon länger verloren gegangen sind.

Sven Scherz-Schade
Sven Scherz-Schade ist freier Journalist in Karlsruhe und arbeitet unter anderem zu den Themen Kultur und Kulturpolitik für den Hörfunk SWR2.
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