Ohne Bilder keine Reformation

Lutherbildnisse – 500 Jahre Verherrlichung und Spott

W enn über die Reformation gesprochen wird, wird die besondere Bedeutung des Wortes hervorgehoben. Der Kernsatz aus dem Johannesevangelium ( Joh 1,1) „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“ wurde von der Evangelischen Kirche und dem Staat zur „Dachmarke“ für das Reformationsjubiläum 2017 erklärt. Bei der Orientierung auf die Bedeutung des Wortes wird oft vergessen, dass die Reformation als politische Aktion schon damals durch eine äußerst erfolgreiche Werbekampagne begleitet wurde, bei der Wort und Bild gemeinsam über ein neues Medium, der Drucktechnik, weit verbreitet wurden.

 

Heute leben wir in einer Zeit der Bilderflut. Bilder bestimmen unser Leben. Fernsehen, Werbung, Filme, Internet, eine Welle von visuellen Eindrücken. Schon lange werden wir von diesem Bildermeer nicht mehr zerdrückt, wir haben uns an diese Überflutung, mehr oder weniger erfolgreich, gewöhnt. In Millisekunden sind wir in der Lage, den visuellen Reizen über unsere Augen und Gehirn die relevanten Informationen zu entlocken. Vor 500 Jahren in der Zeit des Beginns der Reformation war das noch ganz anders. Eine visuelle Reizüberflutung gab es nicht. Nachts Kerzenlicht oder absolute Dunkelheit, dafür aber ein Sternenhimmel, der uns in unserer lichtverschmutzten Zeit unbekannt ist. Tagsüber nur wenige Farben, prächtige farbige Stoffe waren der Oberschicht vorbehalten. Wie müssen in dieser Zeit aufwändig ausgemalte Kirchen auf die Besucher gewirkt haben. Bei den damals üblichen Flügelaltären gab es eine Alltagsseite, die Türen waren geschlossen und eine Feiertagsseite mit geöffneten Flügeln. Die Außenseite war meist schlicht gehalten, oftmals mit einer sehr reduzierten Farbpalette. Im Gegensatz dazu standen die aufwändigen, farbenprächtigen, teils vergoldeten Innenseiten. Wurden sie geöffnet, muss es den damaligen Betrachtern wie ein visuelles Feuerwerk vorgekommen sein. Sie waren einer der Vorboten der kommenden Bildzeit.

 

Die aufkommende Reformation erkannte die Kraft des Visuellen. Der falsche und richtige Gebrauch der Bilder in der Verkündigung war ein Streitpunkt, auch unter den großen Reformatoren. Martin Luther gehörte zu den Gemäßigten unter den Bildkritikern. Für ihn waren Bilder als pädagogisches Mittel sinnvoll. Anders Andreas Bodenstein von Karlstadt, Ulrich Zwingli und Johannes Calvin, sie urteilen strenger als Luther. Der reformatorische Bildersturm, vergleichbar mit den barbarischen Kulturzerstörungen durch den sogenannten Islamischen Staat in der heutigen Zeit, vernichtete tausende hervorragende Altäre, Gemälde, Skulpturen und Kirchenfenster.

„Kein weltlicher Herrscher der damaligen Zeit hat auch nur eine entfernte visuelle Präsenz wie Luther.“

Spannend ist zu sehen, dass die Reformation, die den Bildersturm zu verantworten hat, selbst eine Bilderflut auslöste. Martin Luther ist die am häufigsten bildlich dargestellte Person der deutschen Geschichte. Lucas Cranach d. Ä. schuf 1520 das erste Portrait des Reformators. Von da an hat die bildnerische Darstellung Martin Luthers jede bis dahin gekannte Grenze gesprengt. Kein weltlicher Herrscher der damaligen Zeit hat auch nur eine entfernte visuelle Präsenz wie Luther. Luther als Mönch, als Junker Jörg, als Ehemann, als Professor, als Kirchenvater, abgebildet in Druckschriften, auf Gemälden, Grafiken, Medaillen, Teller, Tassen, Gläsern. Das geht fünf Jahrhunderte weiter, bis heute.

 

Die bildnerische Lutherverehrung und Lutherverdammung lagen bereits zu Beginn der Reformation eng beieinander. In der Radierung „Lutherus triumphans“ aus dem Jahre 1569 hält Martin Luther Papst Leo X. triumphierend die geöffnete Bibel entgegen. Der durch die Reformation geschwächte Papst muss auf dem Druck von seinen Anhängern gestützt werden. Doch auch die Gegner der Reformation bedienten sich der bildnerischen Darstellung um ihren Spott zu verbreiten. Im Holzschnitt von Abraham Nagel „Der Ketzerbaum“ aus dem Jahre 1589 wird Martin Luther mit sieben Köpfen als Stamm des Baumes dargestellt. In den Wurzeln wimmelt es von Höllentieren und dem Teufel. Im Baum selbst wird Luthers Lebenswandel und die Zerstrittenheit der Reformatoren heftig karikiert.

„Ein wahrer Lutherkult setzte ein, der unter anderem in fast zahllosen Lutherdenkmahlen seinen Ausdruck fand.“

Die Lutherverehrung hat in den folgenden Jahrhunderten stetig zugenommen. Im 17. Jahrhundert wurde der Papst auf Bildern oft mit dem Antichrist gleichgesetzt. Luther dagegen als Engel mit Posaune. Die Gegner Luthers zeigten den Reformator gerne als fetten Trinker und Frauenheld. Im 18. Jahrhundert wandelte sich das Lutherbild. In den Portraits wird der Reformator jetzt gerne als Aufklärer, der den mittelalterlichen Aberglauben überwunden hat, dargestellt. Im 19. Jahrhundert wird Luther in Bildwerken immer mehr zum deutschen Patrioten stilisiert. Ein wahrer Lutherkult setzte ein, der unter anderem in fast zahllosen Lutherdenkmahlen seinen Ausdruck fand. Zur selben Zeit wurde Luthers Familienleben als kleinbürgerliches Ideal auf Lithografien festgehalten und in sehr hohen Stückzahlen unters Volk gebracht. Bilder der Familienidylle bei den Luthers zu Weihnachten waren damalige Bestseller. Besonders von der Reichsgründung 1871 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges 1918 wurde Martin Luther auf Bildern politisch instrumentalisiert. 1917 kann man Martin Luther auf einer Konfirmationsurkunde die 99 Thesen anschlagen sehen und direkt neben ihm ringt ein deutscher Landser das aus der Hölle steigende Untier mit seinem Bajonett nieder. Nach dem ersten Weltkrieg fingen bedeutende Bildende Künstler an, sich mit Martin Luther auseinander zu setzen. Lovis Corinth, Ernst Barlach, Gerhard Marcks sind einige der Maler und Bildhauer, die in ihrer Kunst mit der Verherrlichung Luthers brachen. Mit dem Film war ein neues bildnerisches Mittel erfunden, das für die Luther-Rezeption wie geschaffen ist. Schon 1913 ist der erste Stummfilm „Die Wittenberger Nachtigall“ über das Leben Martin Luthers entstanden. Seit dieser Zeit ist der Reformator auch ein Filmstar in vielen Produktionen. Besonders spannend sind die zum 500. Geburtstag Martin Luthers entstandenen Spielfilme. ARD, ZDF und die DEFA produzierten jeweils eigene mehrteilige Filme, die die unterschiedlichen Ost-West Sichtweisen deutlich zu Tage treten lassen.

 

Das 500. Reformationsjubiläum 2017 steht nun vor der Türe. In unserer bilderdominierten Welt wird das geschichtliche Ereignis Reformation und ihre Protagonisten in erster Linie durch Bilder und Filme einer breiten Bevölkerung vermittelt werden. Ohne Bilder keine Reformation – das galt schon vor 500 Jahren und das gilt auch noch heute.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 06/2015 erschienen.

Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber und Chefredakteur von Politik & Kultur.
Vorheriger ArtikelEmpirische Erkenntnisse theologisch reflektieren
Nächster ArtikelDisputationen – Zweite, erweiterte Auflage der Reflexionen zum Reformationsjubiläum ist erschienen