Ein neues Wohlstandsverständnis

Gleichgewicht ins globale Kräfteverhältnis bringen

Am 2. März 1972 veröffentlichte der Club of Rome den Bericht „Die Grenzen des Wachstums“. Erstmals wurde systematisch untersucht, welche Auswirkungen die Industrialisierung, Bevölkerungswachstum und die Übernutzung endlicher Ressourcen auf Mensch und Natur haben. Das Ergebnis war erschütternd und alarmierend zu gleich. Ein „Weiter-so“ würde katastrophale Folgen für unsere Gesellschaft haben.

 

Neue Form des Wirtschaftens

 

Dieser Report hat auch 50 Jahre nach Veröffentlichung nichts an seiner Bedeutung verloren. Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Auswirkungen des Klimawandels sind mit dem jüngst veröffentlichten IPCC-Bericht ein weiteres Mal untermauert worden. Schon heute sind die Folgen des menschgemachten Klimawandels rund um den Globus spürbar. Um die größten Gefahren für Mensch und Natur noch abzuwenden, brauchen wir eine wirkliche Trendumkehr beim Ausstoß von Treibhausgasemissionen. Und wir haben nur ein kleines Zeitfenster dafür. Unsere Art zu wirtschaften spielt dabei eine zentrale Rolle. Indikatoren wie der „Earth Overshoot Day“ zeigen, dass unsere aktuelle Wirtschaftsweise die Ressourcen dieser Erde deutlich überschreitet.

 

Die Gewerkschaften haben erkannt, dass Gute Arbeit nur auf einem intakten Planeten möglich ist. Mit der Forderung „There are no Jobs on a dead Planet“ hat sich beispielsweise der Interna­tionale Gewerkschaftsbund (IGB) 2015 bei der Pariser Klimakonferenz deutlich positioniert. Es braucht ein deutliches Umsteuern in unserer Art zu wirtschaften und zu konsumieren, um zu ökologischem sowie sozialem Gleichgewicht zu kommen. Hier sehen die Gewerkschaften Deutschland auch als Vorbild für andere Länder: Deutschland muss die Transformation zu nachhaltiger und wettbewerbsfähiger Wirtschaft so gestalten, dass soziale Gerechtigkeit, Gute Arbeit und gute Lebensbedingungen unter Einhaltung der planetaren Grenzen für alle erreicht werden.

 

Zukunft der Arbeit

 

Klar ist, dass der damit einhergehende Strukturwandel enorme Auswirkungen auf die Arbeitswelt haben wird. Schon heute sehen wir, dass gut organisierte Branchen und tariflich abgesicherte Arbeitsplätze zunehmend unter Druck geraten. Die digitale und ökologische Transformation stellt etablierte Geschäftsmodelle, Produktionsverfahren, Wertschöpfungsketten und damit verbundene Arbeitsplätze in Frage. Die bisherige Globalisierung hat die weltweite Arbeitsteilung maßgeblich verändert, was auch zu einem verschärften Wettbewerb um die Ansiedlung von Wertschöpfung und Zukunftstechnologien geführt hat. Ob Beschäftigungsabbau und neue Arbeitsformen zu einer positiven oder negativen Bilanz führen, wird stark von der Gestaltung der großen Transformation abhängen. Der digitale und ökologische Umbau unserer Arbeitswelt wird maßgeblich Auswirkungen auch auf die Qualifikationsanforderungen der Beschäftigten haben und so das Potenzial besitzen, die sich heute schon abzeichnende Fachkräftenachfrage zu verstärken.

 

Gewerkschaften gestalten Transformation

Der gewerkschaftliche Anspruch ist klar. Wir wollen diese Veränderung gestalten. Schon heute sind wir dabei, auf betrieblicher, regionaler und nationaler Ebene die Transformation aktiv voranzutreiben. In Betrieben sorgen wir mit Tarifverträgen und Mitbestimmung für engagiertes Handeln und zukunftsorientierte Unternehmensentwicklung. Das sorgt für mehr Nachhaltigkeit in den Unternehmen, führt zu Beschäftigungsentwicklung und sichert die Standorte, auch und gerade gegenüber reinen Kapitalinteressen. Tarifverträge und Mitbestimmung geben Sicherheit im Wandel und garantieren wirtschaftliche und soziale Teilhabe für Männer und Frauen – gerade in Zeiten von Veränderungen. Damit steigt auch die gesellschaftliche Akzeptanz der Transformation. In Transformationsräten setzen wir uns konkret mit den Bedürfnissen vor Ort auseinander. Gemeinsam mit den relevanten Akteuren erarbeiten wir Maßnahmen, um belastbare Perspektiven für betroffene Regionen zu entwickeln. Dazu gehören strukturpolitische Maßnahmen genauso wie zielgenaue Aus- und Weiterbildungsanforderungen.

 

In seiner Transformationscharta hat der DGB 2021 die zentralen Handlungsfelder beschrieben, durch die das Land sozial, ökologisch und demokratisch zum Besseren verändert werden kann. Dabei wird eines deutlich: Es braucht ein gemeinsames gesamtgesellschaftliches Agieren. Nur wenn wir über unsere Branchen- und Organisationsgrenzen hinaus an einem Strang ziehen, können wir gemeinsam die Zukunft erfolgreich gestalten.

 

Die Transformation darf nicht dem Markt überlassen werden

Eines sollten wir aus der Vergangenheit gelernt haben: Allein aus dem Markt heraus können wir keine Verbesserung der sozialen oder ökologischen Lage erwarten. Eine Politik, die nur Marktversagen korrigiert, wird die notwendige Trendumkehr nicht einleiten können. Vielmehr brauchen wir einen handlungsfähigen Staat, der mutig den Rahmen für eine nachhaltige Entwicklung vorgibt. Wir brauchen eine ambitionierte öffentliche Investitionsoffensive entlang der gesellschaftlichen Bedarfe für eine nachhaltige Modernisierung unserer Wirtschaft. Damit müssen wir die Grundlagen schaffen, um klimafreundliches und ressourcenschonendes Wirtschaften von der erneuerbaren Energiegewinnung über eine ressourcenschonende Lebensmittelindustrie bis hin zu geschlossenen Stoffkreisläufen voranzutreiben. Dazu braucht es auch die Unterstützung privater Investitionen, um unsere industrielle Wertschöpfungsketten zukunftsfest zu machen. Zudem müssen vorhandene arbeitsmarktpolitische Instrumente besser genutzt und das industrie- und strukturpolitische Instrumentarium transformations- und krisengerecht ausgebaut werden. Mobilitätshemmnisse auf dem Arbeitsmarkt sind zu beseitigen. Nur im Zusammenspiel betrieblicher Beteiligungsprozesse, wirksamer Mitbestimmung, tariflicher Aushandlungen und staatlicher Verantwortung können die Brücken in die Arbeit der Zukunft gebaut werden.

 

Wir brauchen ein neues Wohlstandsverständnis

 

Mit neuen Produktions- und Konsummustern stellt sich immer stärker auch die Verteilungsfrage. Nicht nur zwischen dem globalen Süden und dem globalen Norden oder zwischen Generationen, sondern zunehmend zwischen Kapital und Arbeit. Wenn in Zukunft umweltfreundlich konsumiert und produziert wird, kann quantitatives Wirtschaftswachstum, jedenfalls nach dem konventionellen Verständnis, nicht als Hoffnungsträger für Verteilungsgerechtigkeit angeführt werden.

 

Vielmehr müssen wir begreifen, dass das „Wachstum“ der Zukunft auf Nachhaltigkeit und einer gerechteren Verteilung beruht. Einige Konzepte abseits des aktuellen Wohlstandsverständnis „BIP“, wie der „Human Development Index“ der Vereinten Nationen oder der „Better Life Index“ der OECD, zeigen, dass ein umfassendes Verständnis von gesellschaftlichem Wohlstand möglich ist.

 

Wollen wir also zu einer inklusiveren und nachhaltigeren Gesellschaft kommen, ohne die planetaren Grenzen zu sprengen, müssen wir das, was wir haben, gerechter verteilen. Dazu ist die Besteuerung großer Vermögen, die Beseitigung der wachsenden Einkommensungleichheit, die Stärkung der staatlichen Einnahmenseite durch Steuer- statt Finanzmarktfinanzierung und Guter statt prekärer Arbeit unausweichlich. Nur so können wir das globale Kräfteverhältnis ins Gleichgewicht bringen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/22.

Reiner Hoffmann
Reiner Hoffmann ist Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
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