Gesellschaftliche Transformation

Chancen einer Allianz zwischen Bildung für nachhaltige Entwicklung und kultureller Bildung

Das UNESCO-Weltaktionsprogramm „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) wird als essenziell angesehen für die Verwirklichung der 17 Sustainable Development Goals (SDG), welche die Vereinten Nationen 2015 in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet haben, wie Frieden, Gerechtigkeit, starke Institutionen, Klimaschutz, hochwertige Bildung, weniger Ungleichheit, nachhaltiger Konsum und Produktion etc. Dabei werden als zentrale Säulen Ökonomie, Soziales und Ökologie hervorgehoben.

 

Innerhalb des deutschen BNE-Diskurses werden demgemäß vor allem ökologische Themenschwerpunkte gesetzt. Allein 63 Prozent der ausgezeichneten Maßnahmen auf dem BNE-Bundesagendakongress 2016 beschäftigten sich mit ökologischen Themen, 23 Prozent mit der Entwicklung von Bildungslandschaften und/oder 18 Prozent mit Globalem Lernen. Kultur und kulturelle Bildung spielen im deutschen BNE-Diskurs eine marginale Rolle. Sind diese wirklich so unwichtig bei der Umsetzung der Agenda 2030? Welches Potenzial hätte eine Allianz zwischen BNE und kultureller Bildung?

 

Vorbehalte in der kulturellen Bildung

Kulturelle Bildung spielt nicht nur eine unterrepräsentierte Rolle innerhalb des BNE-Diskurses, sondern es kann partiell auch eine kritische Haltung der kulturellen Bildung gegenüber BNE beobachtet werden – eine Haltung, die sich auch gegenüber anderen politischen Handlungsfeldern, wie beispielsweise der politischen Bildung, zeigt. Diese ist begründet in der Sorge vor einer „Funktionalisierung“ der kulturellen Bildung für politische Ziele, wie sie in der Vergangenheit immer wieder praktiziert wurde. Entsprechend verwehrt sie sich der Erwartung, junge Menschen zu einem spezifischen, beispielsweise ökologisch bewussten Verhalten im Sinne von BNE zu erziehen – und die Künste als nettes Beiwerk zu nutzen, um normative Vorgaben zur Mülltrennung, dem Wassersparen etc. zu vermitteln.

 

Allianzvorteile für BNE

Es ist jedoch gerade diese kritische Haltung, die eine gemeinsame Allianz besonders bereichern könnte. Die Umweltbildung beispielsweise gründet sich auf ökologische Betrachtungen des Wechselspiels von Mensch und Natur, um Existenzbedingungen zu ermitteln. Analysen zu negativen Umweltveränderungen führen so zwangsläufig zu dem Schluss der Notwendigkeit einer Verhaltensveränderung. Das wiederum heißt, es gibt ein klar definiertes „falsches“ und damit auch „richtiges“ Handeln, das jedoch möglicherweise weniger klar definiert ist.

 

Gänzlich anders gestaltet sich dies in der kulturellen Bildung und in den Künsten. Es gibt hier kein „richtig“ oder „falsch“ in der Handlungslogik. Der Bruch bzw. das ergebnisoffene Spiel mit „Regeln“ ist innerhalb der Künste fest integriert. Es obliegt dem Subjekt, sich innerhalb künstlerisch-ästhetischer Erfahrungen zu positionieren. Dadurch entwickeln sich ein stärkenorientierter Ansatz und das besondere Potenzial der kulturellen Bildung für gesellschaftliche Transformations- als auch nachhaltige Bildungsprozesse. Freiraum für eigene Positionierung garantiert ein nachhaltiges, da selbstbestimmtes, Handeln. Zugleich birgt die Ergebnisoffenheit der kulturellen Bildung auch Chancen für neue Perspektiven, neue Lösungswege und Denkweisen für nachhaltige Entwicklung und gesellschaftliche Transformation. Die Vorteile der kulturellen Bildung bezogen auf BNE liegen in ihren Grundprinzipien der Selbstbildung, dem Perspektivwechsel und der Stärkenorientierung.

 

Allianzvorteile für die kulturelle Bildung

In den letzten zehn Jahren ist die kulturelle Bildungslandschaft aufgrund ihrer politischen Bedeutungszunahme sehr stark gewachsen, allerdings vor allem im Kontext der Projekt- und nicht der Infrastrukturförderung. Projektorientierte Förderlogik steht in einem gewissen Widerspruch zu einer nachhaltigen prozessorientierten Bildung. Um kulturelle Bildung nachhaltiger zu verankern, wurde schon lange vor dem BNE-Diskurs die Idee von Bildungslandschaften in der kulturellen Bildung verfolgt, hier die Entwicklung von kommunalen Gesamtkonzepten kultureller Bildung. Eines der ältesten Konzepte entwickelte die Stadt München seit 1990 stetig weiter. Um langfristig den kulturellen Bildungszuwachs in nachhaltige Infrastruktur zu überführen, kann das Weltaktionsprogramm BNE eine wichtige politische Argumentationsebene sein.

 

Auch betont die kulturelle Bildung als ein Prinzip ihre Lebensweltorientierung. Mit Blick auf junge Zielgruppen ergibt sich dadurch ein weiteres Argument, sich mit BNE und gesellschaftlichen Transformationen auseinanderzusetzen. Denn Fragen der Zukunftsentwicklung und Zukunftsgestaltung sind existentiell für junge Menschen.

 

Fazit zu einer Allianz

Es gibt viele gute Gründe für eine Allianz. BNE soll laut Weltaktionsprogramm „zu informierten Entscheidungen im Sinne ökologischer Integrität, ökonomischer Lebensfähigkeit sowie einer gerechten Gesellschaft für aktuelle und zukünftige Generationen“ beitragen und so „verantwortliches Handeln“ fördern. Es geht um „Informationen“ und „Entscheidungen für die Zukunft“. Der aktuelle BNE-Diskurs konzentriert sich vielfach vor allem auf die Informationsvermittlung. Für „nachhaltige Zukunftsentscheidungen“ wäre es bedauerlich, wenn Fragen zur gesellschaftlichen Transformation künftig nicht mehrdimensional und stärkenorientiert im Sinne der kulturellen Bildung betrachtet würden.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 1/2018.

Susanne Keuchel
Susanne Keuchel ist ehrenamtliche Präsidentin des Deutschen Kulturrates und Hauptamtlich Direktorin der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW.
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