Entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze ist ein einmaliger Verbund besonderer Lebensräume entstanden: das Grüne Band. Es ist ein Querschnitt durch fast alle Landschaftstypen Deutschlands, von den norddeutschen Niederungsgebieten bis hin zu den Mittelgebirgen. In das, was einmal der Todesstreifen entlang des Eisernen Vorhangs war, ist vielfältiges Leben zurückgekehrt.
Dieser einzigartige Raum des Naturschutzes ist zugleich eng verwoben mit der jüngeren politischen und gesellschaftlichen Geschichte Deutschlands. Die Berliner Mauer, Zäune mit Stacheldraht und Selbstschussanlagen – sie sind ein dunkles Stück deutscher Geschichte, an das wir die Erinnerung wachhalten.
Die Überwindung dieser Mauer, der Teilung Deutschlands und Europas hingegen gehört zu den glücklichsten Momenten unserer Geschichte. Die Geschichte der demokratischen Revolution von 1989/90 ist auch der historische Hintergrund für die großartige Entscheidung, die den Ausschlag gegeben hat für die Entstehung des heutigen Grünen Bandes.
Die friedliche Revolution in der DDR folgte nicht nur auf die Forderungen nach Reise- und Meinungsfreiheit, auf das Verlangen nach einem verlässlichen Rechtsstaat. Daneben waren Umweltzerstörung, Luft- und Gewässerverschmutzung zentrale Themen der politischen Opposition. Auch in der DDR gab es eine widerspenstige Umweltbewegung.
In der Umbruchphase 1989/90 gerieten deren Themen in den Hintergrund. Es bedurfte daher einer wirklich kühnen Vision, bedeutende Naturräume – darunter ehemalige Truppenübungsplätze und Staatsjagdgebiete – durch die Einrichtung von Schutzgebieten für die Zukunft zu sichern. Dieser Vision folgten die Väter des Nationalparkprogramms der letzten DDR-Regierung, das am 12. September 1990 – buchstäblich in letzter Minute vor dem Beitrittstermin – im Ministerrat der DDR beschlossen wurde. Insgesamt 14 Großschutzgebiete wurden so gesichert.
Das war eine Situation, wie sie Stefan Zweig in seinen „Sternstunden der Menschheit“ beschrieben hat: „Was ansonsten nacheinander und nebeneinander abläuft, komprimiert sich in einen einzigen Augenblick, der alles bestimmt und alles entscheidet: ein einziges Ja, ein einziges Nein, ein Zufrüh oder ein Zuspät macht diese Stunde unwiderruflich für hundert Geschlechter und bestimmt das Leben eines Einzelnen, eines Volkes oder sogar der ganzen Menschheit.“
Die Entscheidung vom 12. September 1990 war eine solche Sternstunde. Ohne diesen Beschluss wären viele einzigartige Naturlandschaften wohl für immer verloren gegangen. Unser Dank gebührt den Mutigen der Stunde, diese Chance ergriffen zu haben. Dank gebührt auch den Bürgerinnen und Bürgern, die sich schon während der 1970er und 1980er Jahre in der DDR unter Inkaufnahme von großen persönlichen Risiken für den Naturschutz engagiert haben. Sie haben den Boden für diese weitreichende Entscheidung bereitet.
Bis heute gilt: Der Schutz des Grünen Bandes war und ist ein langwieriger und fortdauernder Prozess, der von vielen Einzelpersonen, Naturschutzverbänden, lokalen Initiativen der Erinnerungskultur, Politik und Verwaltung betrieben wird.
30 Jahre nach dem historischen Beschluss ist gleichzeitig unübersehbar, wie sehr der Naturschutz in Deutschland von dem enormen Schwung profitiert hat, den das Nationalparkprogramm ausgelöst hat. Nach 1990 wurden im Osten und im Westen zahlreiche Großschutzgebiete ausgewiesen. Bundesweit gibt es heute 16 Nationalparke, 18 Biosphärenreservate und 104 Naturparke. Und es gibt inzwischen sechs „Nationale Naturmonumente“. Dazu zählt auch das erste großflächige Nationale Naturmonument entlang des Grünen Bandes in Thüringen. Sachsen-Anhalt ist diesem Beispiel gefolgt.
Als Bundesumweltministerin würde ich mich freuen, wenn auch die anderen Anrainerländer das Grüne Band vollständig als „Nationales Naturmonument“ ausweisen. In diesem Jubiläumsjahr können wir so ein Zeichen setzen für das Verbindende in Deutschland und dieses Erfolgsprojekt des Naturschutzes vollenden. Mit diesem Schutz können sowohl der Naturschutz als auch die Erinnerungskultur am Grünen Band gleichermaßen gewürdigt und sinnvoll zusammengeführt werden. Mir geht es darum, ein gemeinsames Verständnis des Grünen Bandes als gesamtdeutsches Projekt des Naturschutzes und der Erinnerungskultur zu entwickeln. Ich will die naturschutzfachliche, genauso wie die historische Dimension dieses einmaligen Projekts würdigen. Denn was einst als brutale Grenze Deutschland und Europa teilte, kann heute Menschen verbinden.
Das Grüne Band ist ein Mahnmal gegen unmenschliche Grenzen und gleichzeitig ein grenzüberschreitendes Projekt des Naturschutzes und der Erinnerungskultur, der Völkerverständigung und des geeinten Europa. Daher begrüße ich die Überlegungen, das „Grüne Band Europa“ als UNESCO-Welterbe in den Kategorien Natur und Kultur zu nominieren.
Das Grüne Band ist eine Erfolgsgeschichte. Doch auf den Erfolgen der Vergangenheit kann sich keine Umweltministerin, kann sich kein Land ausruhen. Alle Erfolge der Vergangenheit sind zugleich Verpflichtung für die Zukunft.
Es herrscht im Naturschutz kein Mangel an Aufgaben. Aktuelle Erhebungen zeigen, dass es nicht gut um den Zustand unserer Natur bestellt ist. Viele Lebensräume und Arten sind in einem schlechten Zustand. Geradezu alarmierend sind die Rückgänge der Insekten, sogar in den Schutzgebieten selbst.