Das Grüne Band muss im Dreiklang Natur-Kultur-Geschichte verstanden werden. Erst die gesamthafte Betrachtung rechtfertigt die Ausweisung als Nationales Naturmonument, die Forderung, es als UNESCO-Welterbe zu nominieren, erklärt seine Bedeutung, seine hohe Wertschätzung in der Öffentlichkeit und seine auch nach 30 Jahren ungebrochene mediale Präsenz. Die innerdeutsche Grenze forderte zahlreiche Todesopfer und verursachte darüber hinaus viel persönliches Leid, z. B. durch das Schleifen von Ortschaften und die Zwangsumsiedlung Tausender Menschen. In der Euphorie des Mauerfalls wurde kaum an Denkmalschutz gedacht, sodass bereits wenige Tage nach der Wende ungeordnet Grenzanlagen abgebaut wurden. Noch Mitte der 1990er Jahre war die Erhaltung der Grenzrelikte kein politisches Ziel.
Mit größer werdendem Abstand zum Jahr der Grenzöffnung nimmt die Bedeutung der Erinnerungslandschaft Grünes Band weiter zu. Denn mittlerweile sind schon mehrere Generationen herangewachsen, die über keine persönliche Erinnerung verfügen. Die Grenzmuseen leisten hierbei einen wichtigen Beitrag in der Aufarbeitung und Vermittlung. Als wichtige Ergänzung hierzu ist das 1.393 Kilometer lange Grüne Band in Deutschland eine sichtbare und nachvollziehbare Struktur in der Landschaft, die die räumliche Ausdehnung der Grenzanlagen – und an den meisten Stellen auch noch deren charakteristischen Aufbau – nachvollziehen lässt und einzelne Gedenkorte und Relikte miteinander verknüpft.
Da durch die menschenverachtenden Grenzanlagen paradoxerweise die Natur überleben konnte, schließt somit die Erhaltung des Grünen Bandes untrennbar auch jene der Grenzrelikte mit ein. Das von 2007 bis 2011 laufende, vom Bundesamt für Naturschutz geförderte Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben „Erlebnis Grünes Band“ zielte genau auf das Zusammenspiel von Natur, Kultur und Geschichte: In drei Modellregionen konnte die regionale Wertschöpfung und die Erlebbarkeit des Grünen Bandes für Einheimische und Touristen verbessert werden. Beispielsweise wurden im Gebiet Elbe-Altmark-Wendland 39 Relikte der ehemaligen Grenze – von Grenztürmen bis hin zu kaum mehr sichtbaren Spuren bei geschleiften Ortschaften – als Grenzerfahrungspunkte identifiziert und auf unterschiedliche Weise für Besucherinnen und Besucher erlebbar gemacht. Im Jahr 2018 errichtete der BUND hier zudem zusammen mit der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) Gedenkstätten für mehrere auf der Flucht aus der DDR Getötete. Informationstafeln, die an ein Stück originalem DDR-Grenzzaun montiert wurden, erinnern an die persönlichen Schicksale.
Die Funktion als Erinnerungslandschaft wird durch das Engagement vieler Grüne-Band-Akteure auch außerhalb von Projektförderungen gestützt. Gedenkorte im Grünen Band werden kontinuierlich wieder sichtbar gemacht, durch das Freilegen von Grenzrelikten oder deren Beschilderung. Oder es wird auf besondere Weise an die Grenze erinnert, wie mit der jährlichen „Aktion Baumkreuz“ bei Ifta. In der siebenbändigen BUND-Buchreihe „Vom Todesstreifen zur Lebenslinie – Mensch und Natur am Grünen Band Deutschland“ werden neben den Naturschätzen auch die Grenzgeschichten der einzelnen Regionen veranschaulicht. Speziell ausgebildete Natur- und Landschaftsführer vermitteln Natur und Geschichte. So kann selbst Kindergartenkindern altersgerecht vermittelt werden, warum „Willi Wanstschrecke“, die stark gefährdete Heuschreckenart „Polysarcus denticauda“, ausgerechnet im Schatten des ehemaligen Todesstreifens überlebt hat, aber in der normalen Kulturlandschaft ausgestorben ist. Das Grüne Band ist auch internationaler Begegnungsort: Seit mehreren Jahren werden durch den BUND, aber auch durch andere am Grünen Band aktive Organisationen internationale Jugend-Workcamps umgesetzt. Hier geht es nicht nur darum, Naturschutzarbeit zu verrichten, sondern auch, (Grenz-)Geschichte gemeinsam zu erleben und darüber untereinander und mit Zeitzeugen zu diskutieren.
Wie wichtig die Auseinandersetzung mit der jüngeren Geschichte auf der europäischen Ebene ist, zeigen die zahlreichen unaufgeklärten und ungesühnten Todesfälle entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Hierunter leiden Angehörige auch heute noch. Einigen von diesen Fällen hat die „Platform of European Memory and Conscience“, eine europäische Stiftung zur Aufarbeitung des Totalitarismus in Europa, öffentlich gemacht, indem sie sich um deren juristische Aufarbeitung kümmert.
Menschen brauchen Orte des Erinnerns, wie beispielsweise das Kunstwerk „Tor zur Freiheit“ bei Mikulov in Tschechien, oder das bekannte Mahnmal in Devín bei Bratislava in der Slowakei, die der getöteten Flüchtlinge am ehemaligen Eisernen Vorhang in der Tschechoslowakei gedenken. Das Grüne Band Europa steht als lebendiges Denkmal für einen Wandel zu Freiheit und Demokratie – in Zeiten von erstarkenden antidemokratischen Bewegungen ist eine solche Erinnerungslandschaft von besonderer Bedeutung.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2020.