Praktische und schicke Kleidung für Rollstuhlnutzende gibt es bisher nicht. Die Modedesignerin Anna Franken will das mit „Wundersee Fashion“ ändern. Politik & Kultur fragt nach.
Sie entwerfen barrierefreie Mode – was zeichnet diese aus? Und welche Motivation steht dahinter?
Meine Mode richtet sich in erster Linie an Rollstuhlnutzende. Zu beachten ist dabei zunächst, dass der sitzende Körper andere Anforderungen an Bekleidung hat als der stehende. Ist man dauerhaft auf den Rollstuhl angewiesen, kommt hinzu, dass sich bestimmte Körperbereiche irreversibel verkürzen und drückende Nähte oder Taschen auf der Unterseite der Kleidung Druckgeschwüre verursachen können. Neben solchen medizinischen Überlegungen sollten natürlich auch die Funktionen des Rollstuhls berücksichtigt werden; beim Anschieben eines Aktivrollstuhls geraten zu lange Ärmel z. B. schnell in die Quere und werden schmutzig. Ein ganz wichtiger Aspekt und meine Hauptmotivation beim Design stellt jedoch die Möglichkeit des barrierefreien An- und Ausziehens dar. Ich selbst bin aufgrund einer fortschreitenden neuro-muskulären Erkrankung Rollstuhlfahrerin und mir ist darum klar, dass viele Menschen von außen den Rollstuhl als die eigentliche Behinderung wahrnehmen. Eine körperliche Beeinträchtigung geht jedoch häufig weit über eine Gehbehinderung und die Nutzung eines Hilfsmittels hinaus. In meinem Fall z. B. sind insbesondere die oberen und unteren Extremitäten betroffen, d. h. konkret, dass ich unter anderem auch keine Muskelkraft in Unterarmen und Händen habe. Ein selbstständiges An- und Auskleiden ist nur dann möglich, wenn die Kleidungsstücke gewisse Voraussetzungen erfüllen. Und hier möchte ich über die bisher auf dem Markt verfügbare Rollstuhlmode hinausgehen, indem ich dehnbare Materialien, sowie praktische Verschlüsse und Greifhilfen verwende, die auch einhändig oder bei wenig Muskelkraft bedient werden können. Des Weiteren entwickle ich besondere Schnitte wie den barrierefreien Rollstuhlmantel, der sich auch im Sitzen spontan und leicht an- und ausziehen lässt.
Sie haben zur Realisierung Ihrer adaptiven Modekollektion „Go your own Way“ ein Crowdfunding gestartet. Was erwartet uns bei dieser Kollektion? Was planen Sie?
Meine Crowdfunding-Kampagne auf Startnext zur Realisierung meiner ersten barrierefreien Mini-Kollektion lief vom 15. Januar bis zum 31. März. Das gewünschte Fundinglevel, mit dem ich eine erste Auflage meiner Kollektion hätte realisieren und in einem eigenen Onlineshop hätte anbieten können, wurde schlussendlich leider nicht ganz erreicht. Ich führe dies auch darauf zurück, dass es sich zunächst um eine rein feminine Kollektion für Rollstuhlfahrerinnen handelt und sie natürlich auch eine ganz bestimmte – nämlich meine – künstlerische Handschrift trägt, was die Zielgruppe eingrenzt. Ich plane nun, meinen Onlineshop auch ohne größeres Startkapitel dieses Jahr noch auf den Weg zu bringen. Anschließend möchte ich die Kollektion parallel um Modelle für Fußgängerinnen erweitern und zu einem späteren Zeitpunkt auch Männermode anbieten. Momentan überwiegen allerdings noch meine Ideen und Ambitionen für feminine Mode, da Frauen im Rollstuhl in unserer Gesellschaft noch immer kaum gesehen und viel zu selten als weibliche Wesen gelesen werden, was unter anderem auch daran liegen könnte, dass ihre Möglichkeiten, sich bequem, praktisch, selbstständig und sexy, elegant, individuell zu kleiden gegen Null gehen.
Was fordern Sie für eine inklusivere Modelandschaft?
Für eine inklusivere Modelandschaft fordere ich unbedingt, dass auch Menschen mit Beeinträchtigungen egal welcher Art mehr mitgedacht und in die Designprozesse einbezogen werden. Die Zeiten, in denen das Durchschnittsmodel mindestens 1,75 Meter groß war und die Maße 90-60-90 hatte, sind –hoffentlich – endgültig vorbei. „Diversity“ ist in aller Munde und doch werden Menschen, die über ihre Maße, ihre Sexualität oder ihr Alter hinaus aus der „Norm“ fallen, immer noch nicht wirklich gesehen und als unbedeutend für die Wirtschaft betrachtet. Das muss sich dringend ändern, damit Menschen mit bestimmten Anforderungen nicht länger von der Gesellschaft behindert werden.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/22.