Erwachsene im Museum

Der Deutsche Museumsbund e.V. ist die bundesweite Interessenvertretung der deutschen Museen und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Vor 100 Jahren gegründet, repräsentiert der Verband heute Museen aller Sparten und Größen sowie Menschen, die in unterschiedlichen Bereichen der Museumsarbeit tätig sind. Damit zählt er zu den ältesten Museumsverbänden der Welt. Seit über zwei Jahrzehnten ist die kulturelle Bildung ein Tätigkeitsschwerpunkt des Verbandes. Die Projekte des Deutschen Museumsbundes e.V. in diesem Bereich zielen darauf ab, jedem Einzelnen in unserer Gesellschaft, unabhängig von seiner sozialen Lage und ethnischen Herkunft, aktive Partizipation am kulturellen Erbe zu ermöglichen – in allen Lebensphasen. Der Deutsche Museumsbund e.V. unterstützt die museumspädagogische Arbeit in den Museen durch Projekte wie „Museum macht stark“ oder „Hauptsache Publikum!? Das besucherorientierte Museum“ sowie mit der Datenbank „museumbildet“, in der 1.500 Best-Practice-Beispiele aus der Vermittlung abrufbar sind.

 

In vielen Museen heißt der Aufgabenbereich der Bildung und Vermittlung Museumspädagogik und suggeriert damit indirekt, dass Kinder und Jugendliche die Hauptzielgruppe der Ausstellungs- und Bildungsprogramme sind. Tatsächlich stellen erwachsene Besuche unter den rund 118 Millionen Besuchen in Museen und Ausstellungshäusern im Jahr 2017 einen bedeutenden Anteil dar. Museen richten sich mit ihren Angeboten auch an Erwachsene – aber das Potenzial von Museen im Feld der kulturellen Erwachsenenbildung kann noch weiterentwickelt werden.

 

Wie kann kulturelle Bildung für Erwachsene zielgruppengenau gestaltet werden?
Nähere Informationen über kulturelle Interessen und Aktivitäten der Erwachsenen bieten die empirischen Erhebungen der KulturBarometer, darunter beispielsweise Untersuchungen zu spezifischen Kulturpublika wie beispielsweise das KulturBarometer 50plus (2008) über ältere Erwachsene und das Inter-Kulturbarometer (2012) über das Kulturpublikum mit Migrations-hintergrund. Aus der Perspektive des Publikums ebenso wie von Seiten der Museen können einige Aspekte aufgeführt werden: Museen sind nicht nur Orte hochkultureller Bildung. Dem breiten Spektrum an Museums-sparten von Kunst- und über Naturkunde-, Technik-, Freilicht-, Geschichts- bis zu Archäologiemuseen steht ein ebenso heterogenes Publikum gegenüber. Der Blick auf erwachsene Besucherinnen und Besucher zeigt, dass ein enger Lern- und Bildungsbegriff den Erlebnischarakter eines Ausstellungs-besuchs und seine möglichen Formen nur teilweise beschreibt.

 

Besonders Erwachsene nutzen Museen in ihrer Freizeit. Sie kommen als Touristen, mit Kindern und Enkeln, aufgrund eines spezifischen Interesses an den Themen des Museums, als Teil einer Gruppe, mit der sie gemeinsam etwas erleben möchten, oder im Rahmen von beruflichen Weiterbildungs-

veranstaltungen. In der Verteilung von Alter, Herkunft, Bildungsgrad, Sprachkompetenz, Vorwissen und Bezug zum Museum sind sie ein höchst unterschiedliches Publikum.

 

Die Zeit des Erwachsenseins teilen Soziologen in verschiedene Lebensphasen ein: Von der Zeit der Postadoleszenz über den beruflichen Einstieg, die Phase intensiver Berufstätigkeit, häufig gleichzeitig mit der Familiengründungsphase, reichen diese bis zu den Beschreibungen der verschiedenen Phasen des Ruhestands, darunter die Best oder Silver Ager und die älteren Senioren. Für jede dieser Lebensphasen lassen sich Rahmenbedingungen beschreiben, die für Museen und ihre Angebotsplanung interessante Kriterien liefern. Beispielsweise kann es sinnvoller sein, ein Angebot für ältere Erwachsene, die nicht mehr berufstätig sind, an einem Wochentag nachmittags zu veranstalten, als es in der Öffentlichkeitsarbeit als „Seniorenprogramm“ zu annoncieren. Dieser Fremdzuschreibung folgen die zu den Best Agern gehörenden aktiven, interessierten, engagierten älteren Erwachsenen nur ungern. Interessant für die zielgruppengerechte Programmplanung sind auch Konzepte aus der Soziologie und Marktforschung wie beispielsweise seit vielen Jahren die Sinus-Milieus oder das Personas-Konzept. Sie fließen ein in Projekte der Publikumsforschung in den Museen selbst. Durch gute Kenntnis ihres Publikums wollen Museen ihre Ausstellungs-, Bildungs- und Veranstaltungsprogramme zielgruppengenau entwickeln.

 

Publikumsorientierte Programmgestaltung fragt nicht nur danach, wer in eine Ausstellung kommt, sondern auch wie Anlass, Motivation, Kontext des Besuchs beschaffen sind. Ausgehend von Theorien des Lernens im Museum haben beispielsweise John H. Falk und Lynn Dierking aus den USA den jeweiligen Kontext eines Museumsbesuchs in den Vordergrund gerückt: Ihr Contextual Model of Learning beschreibt, wie Lernen im Museum in enger Verbindung mit lebens- und erfahrungs-relevanten personalen, sozialen und physischen Kontexten des Museumsbesuchs stattfindet. In vergleichbarer Art und Weise haben Museumsexperten und Wissenschaftler in Großbritannien mit den Generic Learning Outcomes ein Modell entwickelt, dessen Stärke in der Beschreibung verschiedener Dimensionen des Lernens liegt: Ein idealer Museumsbesuch vermehrt neben Wissen und Verständnis auch Fähigkeiten, Einstellungen und Werte und beinhaltet in gleichem Maße Freude, Inspiration und Kreativität. Das Museum verfügt über die geeigneten Rahmenbedingungen, um alle Lerndimensionen gleichermaßen zu bedienen.

Museen als Orte der Erwachsenenbildung sind gleichzeitig Freizeit- und Erlebnisorte

Publikumsorientierte Museen nehmen diese Ausgangssituation ernst und berücksichtigen in ihren Häusern Kriterien, die zu einem gelungenen Freizeiterlebnis gehören: gute Erreichbarkeit und nutzerfreundliche Öffnungszeiten, leichte Orientierung und freundlicher Service vor Ort, einfache Zugänglichkeit zu den Inhalten ebenso wie angemessene Anstrengung, Befriedigung von Neugierde ebenso wie Selbstbestätigung, Kontemplation ebenso wie Austausch, Kommunikation, Erleben von Gemeinschaft. Freizeitforscher wie Matthias Horx ordnen diese Publikumsinteressen größeren gesellschaftlichen Phänomenen, so genannten Megatrends zu: Als solche definieren sie derzeit Individualisierung, Globalisierung und Authentizität ebenso wie Konnektivität und Downaging. Für Museen und ihre Angebote wirft dies Fragen auf: Wie verhalten sie sich zu den Megatrends, von denen sie gleichzeitig ein Teil sind? Können sie aus diesen Konzepten Erkenntnisse für ihre Programmgestaltung gewinnen? Sind sie zum Beispiel Orte, die aufgrund ihrer Originalobjekte und ihrer wissenschaftlichen Kompetenz Authentizität und authentische Erlebnisse bieten können? Wie wirken ihr gesellschaftlicher Bildungsauftrag, ihre Funktion als öffentliche und soziale Räume, in denen gegenwärtige politische und kulturelle Diskurse stattfinden?

 

Museen sind Lernorte, die ein Bildungsinteresse ihrer Besucherinnen und Besucher mit Unterhaltung, Aktivität und Beteiligung verbinden. Das Museum als Ort des offenen, non-formalen Lernens kommt den Interessen und Lernbedürfnissen erwachsener Besucher sehr gut entgegen. Es bietet viele Möglichkeiten lebenslangen Lernens. Erwachsene sind schon erfahrene Lerner, die selbstbestimmte Aneignung, interessegeleitetes Lern- und Anstrengungsbereitschaft sowie den Wunsch nach unterhaltsamer, emotionaler Zugangsweise mitbringen. Das Museum stellt Lernlandschaften bereit und gestaltet unterschiedliche Zugänge zu den Inhalten, die die Besucherinnen und Besucher nach ihren Interessen und Vorlieben auswählen können. Bei der Gestaltung dieser Zugänge spielen visuelle Attraktivität und Aufmerksamkeitslenkung, Gegenwartsbezug und Alltagsrelevanz eine Rolle. Für eine vertiefende Auseinandersetzung, Möglichkeiten der Überraschung ebenso wie der Bestätigung von vorhandenen Kompetenzen können Erwachsene auf ihr Erfahrungswissen und ihre Expertise zurückgreifen. Sie bringen Erinnerungen und Erfahrungen sowie den Wunsch und eine große Bereitschaft mit, diese mit anderen Besucherinnen und Besuchern zu teilen.

 

Zu den sozialen und politischen Chancen der kulturellen Erwachsenenbildung im Museum gehört die Selbstverortung in einer von Diversität und Individualität geprägten Gesellschaft. Museen sind Orte der kulturellen Aneignung und der Beteiligung an gesellschaftlichen und politischen Diskursen. Angebote der kulturellen Bildung, die sich gezielt an Erwachsene richten, finden schon in vielen Museen statt. Diese Programme können in Zukunft noch weiter ausgebaut werden.

 

Weitere Informationen

  • Zahlreiche weiterführende Beiträge zu den verschiedenen Zielgruppen unter den Erwachsenen, zum lebenslangen Lernen, zur Besucherforschung und zum Lernen im Museum finden sich hier: Handbuch Museumspädagogik. Kulturelle Bildung in Museen, hg. von Beatrix Commandeur, Hannelore Kunz-Ott, Karin Schad, München 2016.
  • Zur wissenschaftlichen Erforschung von Lernen im Museum bieten einen Einstieg: Falk, John H./Dierking, Lynn D., The Museum Experience Revisited. Walnut Creek, CA 2012; Hooper-Greenhill, Eilean, Museums and Education. Purpose, Pedagogy, Performance, Oxon/New York 2007.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im April 2018.

Simone Mergen
Simone Mergen ist Sprecherin des Arbeitskreises Bildung und Vermittlung im Deutschen Museumsbund e.V. und Bildungsreferentin in der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
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