Lernen kann Spaß machen, wenn es – wie im Theaterunterricht, um den es hier geht – spielerisch passiert, wenn es ganz persönlich berührt und der ganze Körper beteiligt ist, wenn die Vorstellungskraft gefordert und die Kreativität gefördert wird, wenn zusammen mit anderen ganz vertrauensvoll und Schritt für Schritt etwas Schönes und Aufregendes gestaltet wird, wenn man völlig fremde Rollen, außergewöhnliche Situationen und schreckliche Sätze ohne Gefahr ausprobieren kann, wenn man sich die Bühne erobert und die eigene Stimme in der Schule gehört wird, wenn die eigenen Ideen etwas wert sind, die Vorschläge der anderen manchmal besser sein dürfen und wenn man auf einmal die alten und neuen Sprachen des Theaters versteht und seine Gesetze ansatzweise beherrscht. „Learning by doing“ – so läuft Theaterunterricht in Deutschland, der in vielen tausend Schulen kleine und große Aufführungen hervorbringt, die Mitschülerinnen und Mitschüler, Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern entzücken oder provozieren oder nachdenklich machen oder zum Lachen bringen.
Jawohl, es geht: Theater als Schulfach!
Theater gibt es in deutschen Landen seit 30 Jahren auch als Schulfach. Es gehört aber nur in wenigen Schulen zum Pflichtangebot wie die Fächer Kunst und Musik. Am meisten verbreitet ist es in der gymnasialen Oberstufe, also in den letzten 3 Schuljahren vor dem Abitur. In 12 Ländern kann man im Fach Theater, das meistens noch „Darstellendes Spiel“ genannt wird, die Abiturprüfung ablegen.
In den Grundschulen und den Jahrgangsstufen 5 – 9 (oder 10) aller Schulformen ist Theater meistens noch nicht als Schulfach eingeführt. Das bedeutet, dass die jüngeren Schülerinnen und Schüler Glück haben müssen, wenn sie ein passendes Angebot zum Theaterspielen suchen, auch wenn es an sehr vielen Schulen irgendwelche Theaterangebote gibt. Das sind dann einzelne Projekte wie „Theater-AG“, „Theaterklassen“, „Wahlpflichtunterricht“, Nachmittagsangebote oder gelegentlich auch Künstlerprojekte in Kooperation mit Theatern, Theaterpädagoginnen und Theaterpädagogen. Solche Projekte mit 15 – 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmern können aber niemals den Bedarf einer Schule mit 500 – 1000 Schülern decken. Außerdem gehören sie nicht zum Pflichtangebot, d.h. jede Schule entscheidet, ob Theater stattfindet, wenn genügend Lehrkräfte da sind, die Interesse daran haben und möglichst eine Ausbildung. Es kommt auch darauf an, ob die Schulleitung an Theaterprojekten für ihre Schülerinnen und Schüler interessiert ist und sie ermöglicht. Im Grunde entscheidet also der Zufall, ob eine Schule Theater bietet oder nicht, und wie gut und dauerhaft ein solches Angebot ist.
Deutsche Länder vernachlässigen die Kulturelle Bildung
Die Wirklichkeit an deutschen Schulen hinkt also der UNESCO-Konvention „Kulturelle Vielfalt“ mit ihrem Versprechen, allen Kindern kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, weit hinterher. Man stelle sich vor, jede Schule würde sich je nach Lust, Laune und Vermögen entscheiden, ob sie Mathe oder Englisch unterrichtet. Das wäre undenkbar, aber in den künstlerischen Fächern herrschen solche Verhältnisse. Wir sind nach PISA ja schon gewohnt, dass unsere Schulbildung internationalen Standards nicht entspricht. Und das gilt auch für die künstlerischen Fächer, insbesondere für das Theater, obwohl die Forderungen der beiden großen UNESCO-Weltkonferenzen zur „Kulturellen Bildung“ in diesem Punkt völlig klar sind, untermauert von wissenschaftlichen Studien. Die Bedeutung des Theaterspielens wird von den Kultusministerinnen und Kultusministern der Länder ja auch nicht bestritten, sie lassen ihren Einsichten nur keine Taten folgen! Die einzige Ausnahme bildet Hamburg. Dass die Länder sich auch nicht von den Empfehlungen der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Kultur in Deutschland“ beeinflussen lassen, versteht sich in unserem radikal-föderalistischen System bedauerlicherweise von selbst.
Schultheater ist gut aufgestellt
Was den Schulen fehlt, ist die staatliche Verpflichtung und Verantwortung, Theater allen Schülerinnen und Schülern anzubieten. Würden die Länder dieser Verantwortung gerecht und ihre Schulen dazu verpflichten, müssten sie für Theater einen Platz im Schulalltag schaffen (Stundentafeln, Räume) und Lehrkräfte ausbilden. Obwohl die meisten Länder das nur ansatzweise tun, breitet sich Schultheater weiter aus. Allein in den Städten und Landkreisen Hessens gibt es zum Beispiel 16 regionale Schultheater-Festivals, oft Schultheatertage genannt. Meist sind es Stadt- und Staatstheater oder andere öffentliche Einrichtungen, die einmal im Jahr ihre Bühne für mehrere Tage den Schultheatergruppen ihrer Stadt oder ihrer Region zur Verfügung stellen, damit die Aufführungen nicht nur an den einzelnen Schulen zu sehen sind, sondern öffentlich und vor allem auch anderen Theaterschülern und -lehrkräften zugänglich werden, damit sie voneinander lernen können. Darüber hinaus finden in den Bundesländern jedes Jahr Landesfestivals des Schultheaters statt, beim Hessischen Schultheatertreffen z.B. zeigen 12 Theatergruppen aus Grundschulen bis zur Oberstufe ihre Stücke, tauschen sich intensiv darüber aus und sind wunderbares Anschauungsmaterial für die Lehrer-Weiterbildung. Diese Veranstaltungen sind in der Regel der Aktivität von Theaterlehrkräften zu verdanken, die sich in Landesverbänden zusammengeschlossen haben, in Hessen ist das z.B. der „Landesverband Schultheater in Hessen e.V.“ (kurz: LSH) mit 450 Mitgliedern, einer Homepage, einer Fachzeitschrift und Fortbildungsveranstaltungen. Diese Länderorganisationen sind seit 55 Jahren in einem „Bundesverband Theater in Schulen“ (BVTS) zusammengeschlossen, der mit der KMK und Stiftungen jährlich ein bundesweites Schultheaterfestival, das „Schultheater der Länder“, veranstaltet, an dem 16 Schultheatergruppen teilnehmen: Aus jedem Bundesland wird eine besonders beispielhafte Aufführung ausgewählt. Hier kommen jedes Jahr in einem anderen Bundesland 150-250 Theaterlehrkräfte zusammen, um sich fortzubilden und über unser Fach zu diskutieren. Der BVTS arbeitet in Dachverbänden der kulturellen Bildung und im Deutschen Kulturrat mit, aber auch im internationalen Dachverband „International Drama/Theatre and Education Association“ = IDEA. Die Theaterlehrkräfte Deutschlands sind also recht gut organisiert und engagieren sich vielfältig für ihr Fach.
Und wie geht das? Theater als Schulfach?
Wie sieht „Theater“ als Schulfach aus? Alle Lehrpläne, die es in deutschen Ländern gibt, schreiben Theaterprojekte vor, das bedeutet, dass dort wirklich Theater gespielt wird. In einer Theaterklasse sitzen die Schülerinnen und Schüler also nicht an ihren Tischen und lesen oder schreiben oder reden über Theater, sondern sie gehen in die Aula, die Sporthalle oder einen anderen größeren und möglichst leeren Raum. Dort machen sie Spiele und Übungen, die sie mit dem Theater vertraut machen. Am Anfang stehen Gruppen- und Bewegungsspiele, damit sie Hemmungen ablegen, Vertrauen zueinander entwickeln und angstfrei und kreativ miteinander umgehen und spielen können. Die Theatergruppen suchen nach Themen, die sie interessieren, und erarbeiten nach und nach ein Stück, das sie in vielen Proben bis zur Aufführung bringen. Es kann sein, dass aus Übungen und Improvisationen viele Szenen entstehen, die zu einem eigenen Stück zusammengefügt werden, es kann auch sein, dass ein fertiges Theaterstück, ob klassisch oder modern, ausgewählt wird, das zum Thema der Gruppe passt. In jedem Fall geht es darum, die Texte, Rollen und Handlungen so passend zur Gruppe zu verändern und zu gestalten, dass eine publikumswirksame Aufführung inszeniert wird. Das erfordert einige Übungen dazu, wie man Körper und Stimme, Bewegungen und Musik, Gesten und Requisiten einsetzen kann. In vielen Proben werden dann Szenen erfunden, gestaltet, wieder verworfen und geändert, wiederholbar gemacht, so lange, bis die Aufführung mit all ihren Elementen eine künstlerische / ästhetische und publikumswirksame Form gefunden hat. Das kann ein ganzes Schuljahr dauern, aber es ist ein ganz wunderbares Erlebnis, wenn das Lampenfieber nachlässt und das Publikum begeistert klatscht. Und es ist eine wunderbare Sache, wie viele unterschiedliche Kompetenzen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in solchen Projekten erwerben.
Gutes Schultheater braucht gute Lehrkräfte!
Theater ist eine Kunst und entsteht nicht von selbst. Theaterlehrkräfte müssen ausgebildet werden und selbst die Erfahrung aller Spiele und Übungen gemacht und auf der Bühne gestanden haben. Mehr als 5000 Lehrerinnen und Lehrer haben eine solche Ausbildung in den letzten 15 Jahren erhalten, indem sie neben ihrem Beruf einige hundert Stunden Weiterbildungskurse besucht und eine Abschlußprüfung abgelegt haben. Für die 40.000 Schulen in Deutschland reicht das bei weitem nicht aus, auch die 8 Universitäten, in denen man das Theaterlehramt studieren kann, können nicht genügend Theaterlehrkräfte produzieren. Aber die Richtung stimmt: Viele Bundesländer sorgen für die Weiterbildung ihrer Lehrkräfte, die Nachfrage nach Ausbildung ist viel größer als das Angebot, der Bedarf der Schulen wächst, nur die Einführung des Schulfachs Theater kommt viel zu langsam voran. Das Bundesland Hamburg hat vor 2 Jahren einen großen Schritt gemacht. Dort haben alle Schülerinnen und Schüler von der 1. bis zur 13. Klasse das Recht auf Theaterunterricht, was in den meisten Bundesländern noch nicht erreicht ist.
Theater für alle!
In Zukunft kommt es also darauf an, das Theaterspielen jedem Kind und jedem Jugendlichen in der eigenen Schule zugänglich zu machen: Einerseits als wesentlicher Teil der kulturellen Bildung, auf die unsere Gesellschaft weniger denn je verzichten kann, andererseits als Möglichkeit, die eigenen Interessen und Fähigkeiten zu entdecken und zu entwickeln. Oder auch nicht: Dann wählt man eben Kunst oder Musik oder… – aber man hatte die Chance, die nicht vom Zufall einer bestimmten Schule oder eines Wohnorts abhängig war. Es lässt sich leicht ausrechnen, dass dazu viel mehr Lehrkräfte ausgebildet werden müssen. Die Weiterbildungen der Länder müssen daher gesteigert werden und viel mehr Universitäten müssen Lehramts-Studiengänge für Theaterlehrkräfte einrichten. Die nötigen Konzepte und Lehr- und Ausbildungspläne liegen längst vor, sind erprobt und bewährt: Glänzende Augen nach Proben und Aufführungen beweisen das!
Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im November 2013.