Kino auf den Stundenplan!

Die SchulKinoWochen der VISION KINO sind eine Erfolgsgeschichte. Jahr für Jahr entdecken mehr Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler das Kino als Lernort, um sich mit Themen, Perspektiven und Geschichten zu beschäftigen, neue Eindrücke zu gewinnen und sich emotional berühren zu lassen.

 

SchulKinoWoche in Frankfurt: Stumme Bilder animierter Scherenschnitte flackern auf der Leinwand, Grundschüler sitzen gebannt im Saal, kommentieren leise tuschelnd die Bilder. Nach einer kurzen Pause wird der Film noch einmal gezeigt; diesmal setzt ein Grundschulchor ein, einige Schüler singen eigene Texte, andere begleiten auf Instrumenten. Wir werden Zeuge einer Live-Vertonung des Stummfilms „Däumelinchen“ von Lotte Reiniger. Eine außergewöhnliche Begegnung mit Filmkultur im Kinosaal. Veranstaltungen wie diese sind es, die die SchulKinoWochen zu den populärsten Angeboten kultureller Bildung in den Schulen machen. Sie finden in jedem Bundesland entweder im Herbst oder im Frühjahr für die Dauer einer bzw. mehrerer Wochen statt. In diesem Zeitraum können Schulklassen während der Unterrichtszeit ausgewählte Filme zu einem ermäßigten Eintrittspreis von 3,00 bis 3,50 Euro in einem nahegelegenen Kino sehen. Ergänzt wird das Filmangebot durch Begleitveranstaltungen: Kinoseminare und Filmgespräche mit Medienpädagoginnen und Medienpädagogen vertiefen das Gesehene und machen die Kinder und Jugendlichen auch mit filmischen Gestaltungsmitteln bekannt; Diskussionen mit Expertinnen und Experten liefern Hintergrundinformationen zum Thema des Films; Begegnungen mit Regisseurinnen, Schauspielern oder anderen Filmschaffenden verleihen den SchulKinoWochen einen Hauch Glamour. Auch filmpraktische Workshops für Schülerinnen und Schüler sind im Angebot und jedes Jahr werden rund 1.000 Lehrkräfte im Vorfeld der SchulKinoWochen fortgebildet, die ihre neu gewonnenen Kompetenzen zur Filmvermittlung in den Unterrichtsalltag einbringen. Bundesweit verwandeln fast 800 Kinos ihre Säle in Klassenzimmer, über 25 Prozent der Schulen nehmen daran teil. Seit 2006 besuchten fast 4 Millionen Schülerinnen und Schüler Veranstaltungen der SchulKinoWochen.

 

Veranstalter: VISION KINO
Beeindruckende Zahlen für ein Angebot zur kulturellen Bildung für Schulen. Doch wer steckt dahinter? Die SchulKinoWochen werden von VISION KINO veranstaltet, dem 2005 vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Filmförderungsanstalt und der Filmwirtschaft in Form einer Public-Private-Partnership gegründeten Netzwerk für Film- und Medienkompetenz. VISION KINO kooperiert in allen 16 Bundesländern mit regionalen und bundesweiten Partnern wie der Bundeszentrale für politische Bildung und wird intensiv von den Kultusministerien der Länder unterstützt. Bundespräsident Joachim Gauck verdeutlicht als Schirmherr der VISION KINO, wie groß der Stellenwert einer fundierten Medienerziehung für Kinder und Jugendliche ist.

 

Kino als Ort des Lernens und Verstehens
Die SchulKinoWochen verfolgen das Ziel, Film als Teil schulischer Bildungsarbeit zu popularisieren und Kinos langfristig als Orte ästhetischer Bildung zu etablieren. Wie kein anderes Medium kann Film dazu beitragen, in andere Kulturen einzutauchen, fremde Ideen und Menschen kennenzulernen und für Konflikte und Gegensätze unserer Gegenwart zu sensibilisieren. Filme dienen der Veranschaulichung von Geschichte und Zeitgeschehen, von literarischen Werken und naturwissenschaftlichen Zusammenhängen. Sie bieten daher zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Auseinandersetzung im Unterricht. Im Vergleich zur Vorführung einer DVD im Klassenzimmer bietet das Kino nicht nur die Möglichkeit einer „Ganz-Film-Rezeption“, wie sie im getakteten Schulunterricht nur selten möglich ist, sondern zugleich ein emotional berührendes Gemeinschaftserlebnis, das sich in dieser optischen und akustischen Qualität in keiner Schule herstellen lässt. Nirgendwo sonst als an seinem originären Abspielort, dem Kino, entfaltet Film eine so große Wirkung, lassen sich verschiedenste Unterrichtsinhalte auf so nachhaltige und abwechslungsreiche Art und Weise vermitteln – nicht zuletzt deshalb, weil der außerschulische Lernort Kino von seiner großen Popularität bei Schülerinnen und Schülern unabhängig von ihrer (sozialen) Herkunft oder ihren individuellen Voraussetzungen profitieren kann.

 

Die Neuverfilmung von „Die Welle“ (D, 2008) beispielsweise erreicht dank der Verortung der Protagonisten in der aktuellen Jugendkultur auch Schülerinnen und Schüler aus sogenannten bildungsfernen Schichten und bietet die Möglichkeit, niedrigschwellig die Entstehung totalitärer Strukturen zu vermitteln. Ebenso fasziniert der Science-Fiction-Film „Gattaca“ (USA, 1997) Schülerinnen und Schüler primär durch seine mitreißende Inszenierung und die Opulenz der Bilder, kann jedoch auch im Biologie- und Ethikunterricht eingesetzt werden, um über mögliche Folgen von Genetic Engineering oder Fragen der Präimplantationsdiagnostik zu diskutieren. Um die Integration des Films in den regulären Unterricht zu erleichtern, erhält jede Lehrkraft, die an den SchulKinoWochen teilnimmt, didaktisches Begleitmaterial mit zahlreichen Anregungen zur Vor- und Nachbereitung des Films im Klassenzimmer. Damit besteht die Möglichkeit, den Filmbesuch auch ohne vorherige Sichtung vorzubereiten.

Thema des Films bestimmt die Auswahl
Die Konzentration der didaktischen Handreichungen auf die Themen des Films hat einen einfachen Grund: Die SchulKinoWochen können sich in den meisten Fällen nicht – das unterscheidet sie von ähnlichen Angeboten im Nachbarland Frankreich – auf eine Verankerung von Film im Sinne ästhetischer Erziehung im Lehrplan verlassen. Ein Lehrer orientiert sich bei der Auswahl des Films, den er sich im Kino mit seiner Klasse anschaut, daher eher am thematischen Fokus des Films, filmästhetische Fragestellungen sind nachrangig. Insbesondere ästhetisch herausfordernde Filmklassiker, die neben filmhistorischen Vorkenntnissen auch ein filmästhetisches Grundvokabular der Lehrkraft voraussetzen, gehören daher zu den selten gebuchten Filmen – hier herrschen große Berührungsängste. Wir begrüßen daher sehr, dass mit der im März 2012 von der Kultusministerkonferenz veröffentlichten Erklärung zur Medienbildung eine umfassende Medienkompetenz als gesamtgesellschaftlicher Auftrag formuliert wurde und der kompetente Umgang mit Film hierin explizit erwähnt wird.

 

Die Favoriten
Sehr erfolgreich sind deutschsprachige Kinderfilme im Allgemeinen und Literaturverfilmungen im Besonderen. Neben den Verfilmungen von Erich-Kästner-Romanen, die auch zehn Jahre nach Kinostart noch für volle Säle sorgen, eröffnen die SchulKinoWochen gerade auch originären Kinderfilmen eine langfristige Auswertungsperspektive. Der mehrfach ausgezeichnete Kinderfilm „Blöde Mütze“ (Deutschland, 2006) beispielsweise hat das Gros seiner Zuschauer nicht über seine reguläre Kinoauswertung, sondern erst über die SchulKinoWochen erreicht. Im Rahmen des naturwissenschaftlichen Unterrichts erfreuen sich Dokumentarfilme wie „Taste the Waste“ oder „Das grüne Wunder – unser Wald“ gleichbleibend großer Beliebtheit. Zunehmend populärer wird der Besuch von Filmen in der originalsprachlichen Version, die im Zusammenhang eines Fremdsprachenunterrichts gesehen werden.

 

Großer Anklang bei Förderschulen
Auch auf einem anderen Feld sind die Verdienste der SchulKinoWochen groß: Über 18 Prozent der beteiligten Schulen sind Förderschulen. Das Angebot trifft offenbar den Nerv einer Zielgruppe, die in einer häufig auf Elitenförderung abzielenden kulturellen Bildungslandschaft eher ein Randdasein führt. Gerade Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf an Filme jenseits gängiger Formate heranzuführen, sie zu fordern ohne zu überfordern, ist einer der großen Erfolge des Projekts – auch wenn in der Umsetzung inklusiver Konzepte noch erheblicher Verbesserungsbedarf besteht. Insbesondere aus Sicht der Förderschulen ist der Kinobesuch zudem eine gute Möglichkeit, kulturelles und soziales Handeln zu erleben. Die Abläufe im Kino vom Ticketverkauf über den Besuch der Getränke-Theke bis hin zum Erlöschen des Saallichtes sind dem Filmerlebnis gleichgestellt. Darüber hinaus machen Schülerinnen und Schüler mit und ohne gesonderten Förderbedarf im Rahmen der SchulKinoWoche gemeinsame Lernerfahrungen, wie sie im Zuge der Debatte um ein
inklusives Schulsystem gefordert werden. Die vielen positiven Erfahrungen, die Lehrkräfte durch die SchulKinoWochen mit „Unterricht im Kinosaal“ gemacht haben, führten dazu, dass sich die Schulen langsam hin zu einem weiteren Ort außerschulischer kultureller Bildung öffneten. 100 Jahre nach seiner Geburt als Kunstform hat sich das Kino endlich von seinem Image als Jahrmarktsvergnügen befreien können und wird nun endlich – das eingangs beschriebene Beispiel mit dem Lotte Reiniger Film ist hierfür ein wunderbares Beispiel – als „Schule des Sehens“ und „Schule des Lebens“ genutzt.

 

Lehrkräfte, die mit ihrer Schulklasse an Veranstaltungen im Rahmen der SchulKinoWochen teilnehmen möchten, finden eine Übersicht über die Termine und Ansprechpartner in den einzelnen Bundesländern unter www.schulkinowochen.de. Die konkreten Programme der Kinos vor Ort finden sich auf den Homepages der jeweiligen SchulKinoWoche des Landes.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im November 2013.

Michael Jahn
Michael Jahn ist Projektleiter SchulKinoWochen bei VISION KINO.
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