In Deutschland gibt es bisher relativ wenige Ausbildungsgänge für Theaterlehrkräfte. Staatliche Weiterbildungen zum Erwerb einer Lehrbefähigung für das Fach Theater/Darstellendes Spiel bieten die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Diese Weiterbildungen sind in zeitlichem Umfang, Konzept und institutioneller Verankerung (einzelne Institutionen, Landesinstitute, Universitäten) sehr unterschiedlich, außerdem sind es zeitlich begrenzte Maßnahmen, die von den Kultus-/Bildungsministerien jederzeit erweitert oder gestrichen werden können.
Darüber hinaus gibt es in Niedersachsen an vier Universitäten das Fach Darstellendes Spiel in regulären Lehramtsstudiengängen. Für einzelne Lehrämter/Schulstufen gibt es weitere Studiengänge in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, künftig auch in Mecklenburg-Vorpommern.
Diese Ausbildungen beziehen sich nicht unbedingt auf die schulischen Curricula der jeweiligen Länder, zumal solche Theater-Rahmenlehrpläne nicht in jedem Bundesland für jede Schulform existieren.
In dieser Situation ist es fast anmaßend, irgendetwas „Allgemeingültiges“ über diese völlig unterschiedlichen Ausbildungen schreiben zu wollen. Diesen Anspruch möchte ich hier gleich aufgeben. Meine Ausführungen beziehen sich auf Auskünfte einzelner Ausbildungsinstitutionen und Erkenntnisse in bundesweiten Fachtagungen des Bundesverbandes Theater in Schulen (BVTS) sowie meine Erfahrungen als Leiter der staatlichen hessischen Lehrerweiterbildung im Fach Darstellendes Spiel (DS) von 2002-2016. Diese Maßnahme hat zehn Jahre lang jedes Jahr 100 im Schuldienst befindliche Lehrkräfte in ein dreijähriges nebenberufliches Programm im Umfang von ca. 300 Stunden aufgenommen und zur Staatsprüfung im Fach DS geführt, seit einigen Jahren beginnt das Programm jedes zweite Jahr. Insgesamt haben daran ca. 1300 hessische Lehrerinnen und Lehrer teilgenommen.
Mich hat es nicht gewundert, dass in der Lehrerausbildung für das Fach Theater/Darstellendes Spiel der Umgang mit der Digitalisierung noch keine oder nur eine Nebenrolle spielt. Das hängt u.a. damit zusammen, dass in den Curricula, die ich kenne, die Kompetenzen zum „Umgang mit digitalen Medien und Kommunikation“ nur in den allgemeinen Kapiteln mit den sog. „überfachlichen Kompetenzen“ benannt werden, in denen z.B. auch Sozialkompetenz als Unterrichtsziele aufgeführt werden, die für alle Fächer gelten. Der Unterricht orientiert sich aber im Wesentlichen an den konkreten fachlichen Zielen bzw. Kompetenzen, die im Projektunterricht Theater vermittelt bzw. erworben werden sollen. Im Zentrum des Faches Theater stehen also Inhalte, die „Kopf, Herz und Hand“ zugeordnet werden können. Damit sind die umfassenden Fähigkeiten gemeint, die zur körperlich-emotionalen, szenisch-strukturierten Darstellung in Handlungen, Szenen, Choreographien und Theateraufführungen benötigt und im Unterricht in körperlichen Übungen, Improvisationen, Erarbeitung von Rollen und Figuren, szenischen Erfindungen, dramaturgischer und szenischer Gestaltung und Proben erworben werden. Dabei stehen die „analoge Kommunikation“ und das unmittelbare Arbeiten miteinander absolut im Vordergrund.
Andererseits hat die digitale Kommunikation im schulischen Theaterprojekt natürlich schon länger ihren Platz, wenn es um die Verständigung in der Lerngruppe über Textentwürfe, Informationen und Recherchen zu den Inhalten des Theaterprojekts, Werbung und Probenpläne u.a. geht. Hier werden die bereits vorhandenen digitalen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler als Kommunikationsmittel genutzt, ohne die Art und Weise dieser Kommunikation selbst zu hinterfragen oder gezielt zu trainieren. Dementsprechend spielen diese Formen digitaler Kommunikation in der Lehrerausbildung keine Rolle, weil diese „Basics“ bereits in der non-formalen und informellen Bildung und auch in der frühen Schulbildung angeeignet und von vielen Schülerinnen und Schülern aktiv und kompetent (?) genutzt werden.
Diese Nutzung führt uns aber zur Lehrerausbildung im digitalen Zeitalter, weil – unter anderem – Partizipation ein zentraler Begriff in der modernen Bildungsdiskussion ist. Zur Partizipation gehören vor allem zugangsoffene Informationen, an denen alle Schülerinnen und Schüler teilhaben können, um sie selbstständig für ihre künstlerische Arbeit im Theaterprojekt einzusetzen. Zum Beispiel könnte der Schulbereich partizipative Aktivitäten mithilfe des Programms Open Educational Resources (OER) fördern, dies betrifft Bildungsmaterialien jeglicher Art und in jedem Medium, die kostenlos zugänglich sind. Sogenannte offene Lizenzen ermöglichen Zugang, Bearbeitung und Weiterverbreitung durch andere, ohne die Rechte der Urheber einzuschränken. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert OER auf der Grundlage eines Berichts der Bund-Länder-Kommission von 2015 mit einer Förderrichtlinie, u.a. mit dem Aufbau einer zentralen Informationsplattform des Deutschen Instituts für internationale pädagogische Forschung (DIPF). Damit sind wir bei der Bildungssituation in Deutschland angekommen, auf die sich auch die Lehrerausbildung im Fach Theater bezieht bzw. beziehen sollte.
In der Nachhaltigkeits-Agenda der UNESCO spielt Bildung eine wichtige Rolle. Auch in den deutschen UNESCO-Modellschulen finden sich Ziele wie „Partizipation“, „Aktivierung der Schülerinnen und Schüler“, „Erfahrungslernen“ an zentraler Stelle. Zu den wichtigsten Herausforderungen im globalen Nachhaltigkeitsziel Nr. 4 „Bildung“ der UN-Agenda 2030 für Deutschland zählen: Allen Frauen und Männern einen gleichberechtigten und bezahlbaren Zugang zu hochwertiger beruflicher und akademischer Bildung ermöglichen. Dies gilt insbesondere für benachteiligte Menschen. Das Bildungsziel der Agenda 2030 in einem Satz: „Bis 2030 für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sicherstellen.“
Prof. Dr. Maaz vom DIPF weist 2017 auf die Fortschritte im deutschen Bildungswesen hin, das zunehmend mehr junge Menschen zu Bildungsabschlüssen führt, aber er benennt auch klar, was im Bildungsbericht 2016 herauskommt: Der Bildungserfolg in Deutschland ist nach wie vor stark von der sozialen Herkunft und von massiven regionalen Unterschieden geprägt. Sozial Benachteiligte können weniger an Schulbildung partizipieren und erwerben weniger Kompetenzen. Punktuelle und regionale Verbesserungen wirken sich zu wenig auf das gesamte Bildungssystem aus.
Dies können wir aus der Erfahrung der kulturellen Bildung ganz besonders bestätigen, wo von Kommunen über die Länder bis hin zu Bundesprojekten auf eine Vielfalt von Projekten und Programmen gesetzt wird, oft mit Unterstützung von privaten Stiftungen, die keine systemische Auswirkung auf die Schulorganisation haben, während auf der anderen Seite viel Unterricht in Musik und Kunst ausfällt und es einen eklatanten Lehrermangel gibt. Wir haben viele gute Modelle, aber die Kultusministerien stellen weder die nötigen Ressourcen noch bemühen sie sich, die erfolgreichen Modelle auf alle Schulen zu übertragen. Das gilt zum Beispiel für das „Kultur-Agenten“-Programm, die hessischen „Kulturschulen“ oder auch die 100 UNESCO-Projektschulen in Deutschland.
Um beim Beispiel der UNESCO-Modell-Schulen zu bleiben: Es ist interessant, dass in den aktuellen Berichten über diese Schulen die digitale Bildung überhaupt keine Rolle spielt und nicht einmal als Begriff auftaucht. Benannt werden Erfahrungslernen, Austauschprogramme und diverse Bereiche des „nachhaltigen Lernens“, Gleichberechtigung und partizipatives und flexibles Lernen. Beim „flexiblen Lernen“ könnten digitale Bildungsformen eine positive Bedeutung erhalten, werden aber nicht genannt. Der Fokus von Bildung liegt offensichtlich immer noch und m.E. glücklicherweise auf der personalen analogen Kommunikation zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern bzw. zwischen den Menschen in diesen Lerngruppen. Das wirkt sich natürlich auch auf die Lehrerausbildung im Fach Theater aus.
Die o.a. Ausbildungsinstitutionen für Lehrkräfte betonen, dass ihr Schwerpunkt weiterhin bei der Vermittlung und praktischen Erprobung von Spielen, Übungen und Verfahren liegt, die eine Theaterlehrkraft braucht, um eine Gruppe vom Kennenlernen und Vertrauen entwickeln über die Themenfindung und die Vermittlung und Erprobung von Theatertechniken und auch -theorien in vielen unterschiedlichen Schritten bis zu einer öffentlichen Theateraufführung zu führen. Diese Institutionen betonen aber auch, dass sie über eine Veränderung ihrer Ausbildungskonzepte nachdenken und dabei die Erfordernisse und Bedingungen der „Digitalisierung“ berücksichtigen wollen.
Nicht untypisch ist daher die Aussage einiger Weiterbildungsinstitute, durch die Entwicklung der digitalen Medien habe sich bisher nicht ausdrücklich und konzeptionell etwas in der Ausbildung geändert, d.h. das Thema wird bisher nicht ausdrücklich als ein Extrapunkt mitgedacht und systematisch eingebracht; es fließt eher nebenbei durch Fragestellungen oder Erwähnung am Rande mit ein. Die ständige Präsenz digitaler Kommunikation in Schülergruppen, sowohl im Umgang mit Störungen als auch als Chancen, wird in den Seminaren nur nach entsprechenden Fragestellungen der Teilnehmenden behandelt.
In Schleswig-Holstein werden laut der Programmleiterin Susanne Oehmsen vom Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen digitale Medien nur sehr begrenzt in die Weiterbildung integriert, doch im Fach Darstellendes Spiel/Gestalten für die Sekundarstufe I wird im letzten der jeweils vier fünftägigen Kurse mit „medial orientiertem Gestalten“ ein Schwerpunkt gesetzt. Darin geht es um Video- und Audio-Aufnahmen sowie entsprechende Schnitttechniken, die die Lehrkräfte später im Unterricht anwenden und vermitteln können. In der Weiterbildung für die gymnasiale Oberstufe wird bislang nur auf Audioschnittprogramme Bezug genommen. Auf keinen Fall aber werden praktische Workshops durch digitale Workshops ersetzt. Das staatliche Weiterbildungs-Institut hat inzwischen aber schon ein Papier für den Einsatz von Medien im DS-Unterricht erstellt, das unter Bezug auf zentrale didaktische Fragen des Theaterunterrichts viele unterschiedliche Möglichkeiten zeigt, digitale Medien und Kommunikation zu nutzen.
Die Berliner sind seit September 2016 in der glücklichen Lage, das Weiterbildungszentrum Studienzentrum für Erziehung, pädagogisches Personal und Schule (StEPS) zur Verfügung zu haben mit neuesten technischen Möglichkeiten (interaktive Whiteboards, PC, Dokumentenkamera, Beamer, Audiozugänge, Leinwand, Internet usw.). Sabine Kündiger, Koordinatorin der berufsbegleitenden Weiterbildungslehrgänge Theater/Darstellendes Spiel in der Senatsverwaltung Bildung, Jugend und Familie berichtet, dass viele ihrer Teilnehmenden diese Geräte nutzen, sofern die Möglichkeiten dort vorhanden sind. Daher befinde sich die Nutzung digitaler Medien seit September 2017 (?) ganz offiziell im Berliner Weiterbildungs-Programm und werde in der Ausschreibung für die kommenden Lehrgänge in allen Modulen festgeschrieben. Die Bedeutung für den Theaterunterricht bestehe ja allein schon in der Tatsache, dass durch die Nutzung digitaler Medien die soziokulturelle Kompetenz, die kulturelle Teilhabe der jungen Menschen erweitert wird. Blogs, Youtube, soziale Plattformen, Netzwerke sind schnell zugänglich, ein breites Angebot an Bild- und Videomaterial kann so den Theaterunterricht unterstützen. Aber auch sie betont, dass diese Möglichkeiten keinesfalls die praktischen Erfahrungen ersetzen können, die in den klassischen Workshops gemacht werden. Kein Ausbildungsteil werde durch digitale Medien ersetzt, sondern eher durch sie erweitert. Die Präsenz digitaler Kommunikation in den Schülergruppen ist selbst häufig Bestandteil von Projektarbeit und wird in dieser Hinsicht didaktisch, methodisch und ästhetisch von allen Beteiligten ausgeleuchtet und in Aufführungen künstlerisch gestaltet.
Weitere neue Impulse für den Studiengang Darstellendes Spiel könnten vom neuen Lehrstuhlinhaber für Pädagogik an der Universität Nürnberg-Erlangen, Prof. Benjamin Jörissen ausgehen, dessen Forschungsschwerpunkt digital-kulturelle Transformationsdynamiken sind. Der Leiter des Studiengangs Theater/DS, Dr. Leopold Klepacki, weist auf Überlegungen hin, diesen Studiengang künftig stärker als einen Ort der performativen Kulturreflexion zu konzipieren, d.h. Theater als eine kulturell-ästhetische Artikulationsform zu behandeln, die es Schulen ermöglichen soll, sich in Theaterprojekten mit kulturellen Transformationsdynamiken wie Globalisierung, Transkulturalisierung und Digitalisierung auseinanderzusetzen. Zum Beispiel soll der Studiengang die Relation zwischen Mensch und technischem Medium wie etwa die kulturelle Praktik von Selfies und Schnittstellen zwischen Mensch und Technik thematisieren und auch auf ihre ästhetischen Potenziale hin performativ befragen. In Erlangen wird auch nicht ausgeschlossen, Vorbereitungskurse auf das theoretische Staatsexamen zukünftig als blended-learning-Angebote zu konzipieren. Dies habe den Vorteil, dass die berufstätigen Lehrkräfte, die den Studiengang absolvieren, die Inhalte individualisierter und räumlich und zeitlich flexibler bearbeiten können.
Es könnte eine Aufgabe des Bundesverbandes Theater in Schulen sein, neue Impulse zum Thema Digitalisierung zu geben. Ein starker Impuls könnte von einem „Schultheater der Länder“ ausgehen. Dies ist das jährliche bundesweite Festival, in dem Schultheatergruppen aus allen Bundesländern Stücke zu einem Thema präsentieren und zur Diskussion stellen, begleitet von einer Fachtagung, die Theaterlehrkräfte aus ganz Deutschland anzieht. Das aktuelle Festival hat das Thema „Theater.Film“, es gab bereits ein Festival „Theater und Neue Medien“, eines zum Thema Digitalisierung könnte vielleicht „Digitale Welten“ heißen, wie der Ausbilder Maximilian Weig aus dem Vorstand des BVTS vorschlägt, denn das Phänomen der Digitalisierung berühre nicht nur den Einsatz von Videoprojektionen im Theater. Eine viel größere Rolle spielen der gesamte Bereich der Sozialen Medien, die Art (dort) zu kommunizieren, Youtube, Instagram etc., und natürlich auch der Gaming-Bereich. Sicherlich wird es im Schultheater vorwiegend um eine theatrale Reflexion (post-) digitaler Kulturen gehen, aber nicht darum, theatrale Kommunikation grundsätzlich zu ändern: Menschen spielen/handeln vor und für zuschauend Menschen. Dabei betrachten die meisten Lehrerinnen und Lehrer, die sich im Theaterunterricht in besonderer Weise auf ihre Schülerinnen und Schüler einlassen, die digitale Kommunikation zunächst einmal als eine etablierte Normalform von Kommunikation, die in einem hohen Maße kommunikative Praktiken und kommunikative Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen strukturiert und formt. Die Theaterlehrkraftausbildung orientiert sich also weiterhin am Grundsatz: Theater findet auf der Bühne statt – egal welcher konkrete Raum zum Theaterraum gemacht wird – und nicht auf der Leinwand oder im Display!
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Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im Juli 2017.