Lehrer- und Lehrerinnenausbildung für den Kunstunterricht in der digitalen Gesellschaft

„Inwiefern haben Kunsthochschulen als Institutionen der Kunstlehrerausbildung das Digitale aufgegriffen?“ – mit dieser Frage kontaktierte mich der Deutsche Kulturrat in meiner Doppelfunktion als Professorin für Kunstdidaktik in der künstlerischen Lehramtsausbildung für Gymnasien und als Rektorin der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Praktisch zeitgleich erreichte mich eine Ausschreibung des Baden-Württembergischen Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst zur Förderung digitaler Kompetenzen im künstlerischen Studium. Diese Doppelung ist keinesfalls ein Zufall; vielmehr macht sie deutlich, wie hoch die Dringlichkeit des Digitalen im Feld der Bildung seitens der Politik zur Zeit eingeschätzt wird.

 

Digitalisierung und Digitalität haben in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich weite Teile der Gesellschaft, der Arbeitswelt und des privaten Alltags durchdrungen. Die visuelle Domäne und damit auch die Bildende Kunst wurden in den vergangenen fünfzig Jahren durch die Vielzahl neuer bildgebender und bildbearbeitender Verfahren geradezu auf den Kopf gestellt. Während sich die Anwendungen digitaler Entwurfs- und Produktionsverfahren in einer ersten Phase auf den zweidimensionalen Bereich beschränkten (Stichwort Digitalfotografie), ist seit ein paar Jahren gerade aufgrund der Vereinfachung, Vergünstigung und Verbreitung des 3D-Drucks auch der dreidimensionale Bereich betroffen.

 

Blickt man nun in die Bildungslandschaft, ist es vermutlich nicht ganz falsch zu konstatieren, dass Bildungsinstitutionen – von der Grundschule bis hin zur Hochschulstufe – nur zum Teil mit diesen fundamentalen Veränderungen haben Schritt halten mögen. Das Fach Bildende Kunst ist davon nicht ausgenommen, weder mit Blick auf den schulischen Kontext und noch hinsichtlich der Ausbildung von Kunstlehrerinnen und -lehrern an Kunsthochschulen. Dafür gibt es eine Reihe struktureller Gründe, die nicht, oder nur zum Teil, fachspezifisch sind: Neben den hohen Kosten für die Anschaffung und Wartung einer digitalen Infrastruktur, die oft auch bauliche Maßnahmen mit sich ziehen, stellen insbesondere die stark gestiegenen Lizenzgebühren ein großes Problem für den Bildungsbereich dar. Vor dem Hintergrund der rasanten technologischen Entwicklungen ist zudem die Pflege digitaler Infrastrukturen sowohl im Hard- als auch im Softwarebereich zu einem eigenen Berufsfeld geworden; vorbei sind dadurch die Zeiten, in denen sich interessierte Kunstlehrer oder eine Kunstlehrerin „im Nebenamt“ um einen Bereich kümmern können, dessen Spektrum mittlerweile von Digitalkameras über Grafik- und Webdesign-Software bis hin zu 2D- und 3D-Scannern sowie 3D-Druckern reicht.

 

Auffällig ist jedoch auch, dass bei Vertreterinnen und Vertretern des Fachs Bildende Kunst eine gewisse Skepsis, manchmal gar eine Abwehrhaltung, gegenüber sogenannten „neuen Medien“ oder digitaler Entwurfs- und Produktionsverfahren anzutreffen ist – wenngleich niemand abstreiten würde, dass sich die Bildpraxis vieler heutiger Jugendlicher vor allem im digitalen Raum abspielt und das Handy zum informellen Lernort par excellence geworden ist. Die Schwierigkeit im Umgang mit Mobiltelefonen im Schulkontext steht symptomatisch für dieses Dilemma. Und auch ein Blick in neuere Bildungspläne zeigt, dass Ziele wie etwa der Aufbau kreativer digitaler Kompetenzen oder der (autodidaktische und informelle) Erwerb professioneller digitaler Wissens- und Könnensbestände im Internet im Vergleich zu Aspekten wie dem „kritischen“ Umgang mit Digitalität und neuen Medien nach wie vor stark hinterherhinken.

 

Trotzdem sind sich mittlerweile praktisch alle Akteure darin einig, dass vor dem Hintergrund des Anspruchs, (Aus)Bildung habe per se zukunftsgerichtet zu sein, tatsächlich großer Handlungsbedarf im Bereich der Digitalisierung angezeigt sei. Den aktuellen Stand der Dinge in der Ausbildung von Kunstlehrerinnen und -lehrern an Kunsthochschulen werde ich in den folgenden Abschnitten ebenso zu umreißen versuchen wie die dafür erforderlichen Voraussetzungen und daraus erwachsenden Implikationen. Fachliche Überlegungen stelle ich aus der Perspektive als Professorin für Kunstdidaktik und Bildungswissenschaften an, strukturelle Überlegungen aus der Perspektive als Rektorin.

 

Ein zentrales Credo der Kunstpädagogik lautet, dass der ästhetisch-künstlerische Modus den Menschen einen ganz besonderen Zugang zur Welt, zu sich selber und zur Weltsicht anderer ermöglicht. Dieser Anspruch ist nicht auf die Bildende Kunst im engeren Sinne begrenzt, sondern umfasst auch das Design, die Architektur, den Film oder die sogenannten „neuen Medien“, ohne dass dabei eine prinzipielle Unterscheidung zwischen dem Digitalen oder Analogen gemacht bzw. das eine dem anderen vorgezogen würde. Auch die Studienmotivations- und Interesselage von Kandidaten und Kandidatinnen für ein Studium im künstlerischen Lehramt und sowie deren Vorerfahrungen mit analogen und digitalen gestalterisch-künstlerischen Mitteln sind ausnehmend breit gefächert: das Spektrum reicht von Studierenden, die noch nie einen Computer besessen haben, mit dem Begriff „InDesign“ nichts anzufangen wissen und dies auch nicht für notwendig halten, bis hin zu jungen Menschen, die sich im Vorfeld der Bewerbung selber 3D-Drucker gebaut und damit aus unter-schiedlichen Materialien Porträtbüsten für ihr Portfolio kreiert haben. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Lehramtsstudien an Kunsthochschulen in aller Regel dem traditionellen Klassen- bzw. Meister-Schüler-Prinzip folgen, was bedeutet, dass außerhalb eines Kerncurriculums jeder Student und jede Studentin einem äußerst individualisierten Studienverlauf folgt, der je nachdem sehr stark oder gar nicht im Digitalen verortet ist. Über das Digitale bzw. die Digitalisierung im Singular zu sprechen ist damit sowohl mit Blick auf das Fach Bildende Kunst, als auch das Lehramts-studium an einer Kunstakademie nicht passend; Digitalität zeichnet sich typischerweise durch eine ausgesprochene Heterogenität aus.

Dennoch können einige konkrete, generalisierbare Punkte festgehalten werden:

 

Der Aufbau eines kompetenten Umgangs als Nutzer oder Nutzerin digitaler Medien, insbesondere im zweidimensionalen oder zeitbasierten Bereich, gehört mittlerweile unabhängig vom Studienort zum Kerncurriculum eines jeden Lehramtsstudiums an einer Kunsthochschule, wobei Formate, Umfänge und Ausrichtung je nach Personal und Ausstattung variieren. Auch die Anwendungsbereiche sind sehr unterschiedlich: sie reichen von der engeren künstlerischen Praxis bis hin zu rein präsentatorischen bzw. dokumentarischen Nutzungsformen. Ob darüber hinaus eher der visuellen Kommunikation, dem Produktdesign oder der Architektur zugeordnete Themen wie Webdesign, 3D-Druck, Simulationen oder Virtual Reality im Lehrangebot aufscheinen, hängt vom Profil der Kunsthochschule ab; während dies an reinen Kunstakademien eher weniger der Fall ist, können Lehramtsstudierende an Hoch-schulen der Künste in der Regel auch an Studienangeboten anderer künstlerischer Disziplinen partizipieren. Insgesamt zu kurz kommen an vielen Ausbildungsstätten Aspekte der medienbasierten Vermittlung bzw. der Medienpädagogik, und auch die Auseinandersetzung mit dem Internet als für junge Menschen zentraler Ort informellen Lernens, gerade auch im Bereich von Kunst und Design, wird nicht selten ausgeblendet.

 

Ebenfalls wenig vorbereitet werden Lehramtsstudierende auf den Umstand, dass die mit professionellen Geräten ausgestattete Lernumgebung einer Kunsthochschule stark von der Unter-richtsrealität an Schulen divergiert. Wenige Schulen besitzen ganze Klassensätze an Digitalkameras, geschweige denn Tonstudios oder Filmschnittplätze; hingegen verfügt mittlerweile jedes Handy – und damit praktisch jede Schülerin und jeder Schüler – über diese Funktionalitäten. Hier wünschte man sich dahingehend ein Umdenken, als dass in der Lehramtsausbildung verstärkt auch auf low-tech, do-it-yourself, use-your-own-device und open-source Prinzipien gesetzt wird, die auch im schulischen Kontext tauglich sind, bzw. das Arbeiten mit digitalen Mitteln überhaupt erst ermöglichen. Daraus folgt, dass neben der oben genannten Heterogenität zwei weitere Typiken von Digitalität im Feld der Bildenden Kunst und den entsprechenden Bildungskontexten festzuhalten sind: Profanisierung und Ubiquität.

 

Aus fachlicher Perspektive gilt es schließlich einen dritten Punkt ins Feld zu führen: die zunehmende Verschränkung von Digitalem und Analogem bzw. von Materialität und Immaterialität. So zeigen viele Studierende, die der Generation der Digital Natives angehört, eine große Lust am Handwerklichen und eine Neugierde gegenüber den traditionellen Werkstätten am Haus. Dieser Impetus erfolgt allerdings kaum je in Abgrenzung gegenüber digitaler Entwurfs- und Fabrikationsmethoden, sondern aus einer, vielen Studierenden im künstlerischen Lehramt eigenen, intrinsischen Motivation an der Erweiterung ihrer technologischen und methodischen Kompetenzen. Es ist längst keine Seltenheit mehr, dass eine Objektidee erst von Hand entworfen, danach gescannt, digital weiterverarbeitet und als Rohling mit dem 3D-Drucker fabriziert wird, um diesem schließlich von Hand den letzten Feinschliff zu geben. Dieses integrative Verständnis von und im Umgang mit digitalen und analogen Mitteln und Methoden im Entwurfs- und Produktionsprozess wird sich in den kommenden Jahren vermutlich weiter verstärken und zur Selbstverständlichkeit werden.

 

Abschließen möchte ich mit einem Gedanken aus der übergeordneten, eher strukturellen Sicht als Rektorin einer Kunsthochschule. Die oben genannte Heterogenität, Profanisierung und Ubiquität des Digitalen sowie die zunehmende Integration und Verschmelzung der analogen mit der digitalen Sphäre zeigen folgendes: die Digitalisierung ist als Normalisierungsprozess zu betrachten, in welchem sich Technologie und Menschen in einem gegenseitigen, schrittweisen Prozess einander angepasst haben, auch im Feld der Bildenden Kunst und der Bildung. Wie Malerei und Zeichnung sind Video oder digitale Bildbearbeitung Bestandteil jeden Curriculums geworden; wie Staffeleien, Tiefdruck-pressen, Bibliothek, Projektoren, Seminarräume oder Kopiergeräte gehören – theoretisch – auch diverse digitale Infrastrukturen zur (hoch)schulischen Grundausstattung. Kurz: mit derselben Selbst-verständlichkeit, wie Digitalität Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrags geworden ist, sollte sie sich auch in der Grundfinanzierung von Bildungsinstitutionen abbilden.

 

Ein Verständnis von Digitalisierung als „Add-on“, das mit befristeten Förderlinien oder kompetitiven Wettbewerben einmalig installiert werden kann, wäre grundverkehrt. Denn: Digitalität ist zum Normalzustand geworden und wird es auch bleiben.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im September 2017.

Barbara Bader
Barbara Bader ist Rektorin der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart und Professorin für Kunstdidaktik und Bildungswissenschaften am künstlerischen Lehramt für Gymnasien.
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