Wie geht eigentlich Fastnacht?

Die Vermittlung von Brauchtum an junge Generationen

In den Hochburgen von Fastnacht und Karneval bedeuten die „tollen Tage“ einen Ausnahmezustand. Nach wie vor ist schulfrei, Ämter und Büros zumindest in den Innenstädten geschlossen und unzählige verkleidete Menschen, Groß und Klein, wollen etwas erleben. Kinder und Jugendliche, ob einheimischer oder fremder Herkunft, lassen sich gern von dieser „verkehrten Welt“ anstecken. Spätestens wenn am Rosenmontag anstelle von Autos die Narren auf der Straße stehen und das Wurfmaterial herabregnet, wird es Zeit, Fastnacht zu erklären. Dieses Volksfest wird von Fastnachtsorganisationen, ehrenamtlichen Aktiven und nichtorganisierten Narren gemeinsam „erschaffen“ und ist im Wandel, je nach Generation.

 

Für aktive Fastnachterinnen und Fastnachter in den Garden und Vereinen scheint es einfach: Die Kinder der Mitglieder sind von Anfang an dabei und ab 4 bis 14 Jahren im Kadettencorps, dann in den Musikzügen oder jungen Trommlercorps sowie bei den Majoretten und Tanzgruppen aktiv. Eines ist sicher: An Nachwuchs fehlt es nicht! Diese ehrenamtlich geleistete Kinder- und Jugendarbeit der Fastnachtsvereine, die neben der Betreuung an Fastnacht, den öffentlichen Kindermaskenfesten auch ein umfangreiches Sommerprogramm für die Kadetten beinhaltet, ist eine große Leistung. Insgesamt bieten die Vereine Gelegenheit für Kinder aller gesellschaftlichen Schichten, das je eigene Talent zu entdecken und Förderung durch den Verein zu erfahren. Integration und Inklusion werden hier seit Jahrzehnten praktiziert und die Traditionen aus der Geschichte wie z. B. eine Rekrutenvereidigung oder die Geschichte der Garde, den jeweils neuen Jahrgängen erklärt.

 

Auch die nichtorganisierten Narren vermitteln die Fastnachtstraditionen über das Mit-Erleben, das zumeist im familiären Umfeld mit Freunden, Großeltern und „Heimkehrern“ an traditionellen Plätzen stattfindet. Am Rosenmontagszug mit Trommeln, Reitercorps und großem Gedränge lernen Kinder nicht nur früh das „Helau“ oder „Alaaf“, sondern auch erste Regeln für Massenveranstaltungen. Eine stufenweise Entwicklung über das erste selbst kreierte oder selbst ausgesuchte Kostüm führt zur Gruppenerfahrung in Kita oder Grundschule in einem Vorortumzug oder im Kinder- und Jugendmaskenzug. Der Mainzer Umzug gilt als einer der größten für diese Altersgruppe in Europa und lebt von den Fußgruppen in fantasievollen Kostümen, die das Motto des Umzugs thematisch umsetzen. Die teilnehmenden Kinder sind bereits vertraut mit den Regeln einer Fußgruppe, die Pünktlichkeit, Kondition und Einordnung in die Choreographie der Gruppe voraussetzt. Jugendliche nehmen in ihrer Clique am Zug teil oder strömen zur Guggemusik, den großen Musikbühnen oder dem Fastnachtszelt und genießen ihre „Narrenfreiheit“. Was einmal als Familientreffen begann, kann durchaus zur Bewährungsprobe werden und fordert von den Jugendlichen, sich selbst, ihre Peergroup und die Gefährdungen an Fastnacht richtig einzuschätzen. Trotz Glasverbot, Sicherheitskontrollen und Jugendschutz bedarf es noch vieler Initiativen, »alkoholfreies« Feiern zu propagieren.

 

Kinder und Jugendliche werden bei der Mainzer Veranstaltung „Jugend in die Bütt“ selbst zu Bühnenstars. Ähnliche Veranstaltungen sind bundesweit verbreitet und die Jugendabteilung des Bundes Deutscher Karneval bietet einen Wettbewerb gleichen Namens und Schulungen dazu an. Das Mainzer Modell, das in diesem Jahr sein 50. Jubiläum feiert, wurde als Sitzung für „kleine Erwachsene“ begründet und war bis 2001 fernsehwürdig. Mit dem „Aus“ der Fernsehübertragung bot sich auch die Gelegenheit, das Format hin zu einer kindgerechten Veranstaltung mit Spielangeboten und Ständen zu verändern. Das hohe Niveau der Darbietungen der Musik-, Trommel und Tanzgruppen blieb erhalten und viele der Büttenreden sind von den Kindern selbst verfasst. Die Akteure können mit Lampenfieber und ungeduldigem Publikum umgehen und sprechen einwandfrei Dialekt – auch ein Zeichen von Heimatverbundenheit und fastnachtlichem Brauchtum. Einige dieser jungen Aktiven sind in diesem Jahr Gäste beim Gesprächsabend zur Fastnacht in der Mainzer Bistumsakademie, eine beliebte Veranstaltung zur Vermittlung von Geschichte und Brauchtum der Fastnacht. Sie werden den Erwachsenen sicher überzeugend erklären, was Fastnacht oder Karneval bedeutet und warum es ihre Heimatstadt so liebens- und lebenswert macht.

 

In Zukunft gilt es, die kleinen Formate, wie von Kindern und Jugendlichen selbst gestaltete Sitzungen oder „Spielfeste für Alle“, in Schulen, Kirchengemeinden oder Vereinen zu erhalten. Vielleicht ist auch eine Mitmach-Führung im Fastnachtsmuseum, am besten von jungen Fastnachtern geleitet, eine Möglichkeit für Schulklassen oder Familiengruppen, die lokalen Fastnachts-traditionen kennenzulernen.
Nicht zuletzt ist es wichtig, die Fastnachtsmusik und das Liedgut zu vermitteln. Viele Fastnachts- oder Karnevalslieder rühmen die jeweilige Heimatstadt, beschreiben unterschiedliche Gefühle und führen beim Singen Menschen aller Altersgruppen zusammen. Dafür ist die Aktion in Köln beispielhaft, bei der seit vielen Jahren Schülerinnen und Schüler in die Philharmonie eingeladen werden und zusammen mit den Stars Karnevalslieder kennenlernen und singen. Solche und weitere neue Ideen führen Kinder zur Fastnacht, zum Brauchtum und über ein solch unvergessliches Erlebnis bleibt die Tür zur Kultur geöffnet.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.

Felicitas Janson
Felicitas Janson ist Studienleiterin der Akademie des Bistums Mainz.
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