Heimat ist ein kontroverser Begriff. Er wird in grünen Gesprächskreisen und braunen Ecken diskutiert. Begreife ich Heimat als zuckrigen Sehnsuchtsort, so erzeugt das Spannung zu bestehenden persönlichen und politischen Realitäten von Heimat. Sind die Sehnsüchte der utopischen Heimat meist fantastischer Natur, zeichnet die Realität ein anderes Bild. Heimaten können entstehen, und Heimaten können wieder vergehen. Denn Heimaten sind dynamisch und wandelbar.
Doch was bestimmt die Wandelbarkeit und Vergänglichkeit von Heimat? Welche persönlichen Umstände führen dazu, dass manche Menschen leichter an Gesellschaft teilhaben können, und welche gesellschaftlichen Gruppenzugehörigkeiten hindern sie? Solche identitätsnahen Fragen erzeugen Spannung, Reibung, Konflikt. Im Sinne des #unteilbar-Bündnisses sollten wir in genau diesen Konflikt treten: uns zuerst über Heimat streiten – was uns trennt – und dann gemeinsam Heimat gestalten. Gleichzeitig wird die wandelbare Gestalt von Heimat bestimmt aus der Haltung, die ich zu ihr habe. Ist mir das Konstrukt Heimat naturgegeben, oder gestalte ich Heimat selbst?
Manchmal wird Heimat von außen gestaltet, wider Willen. Etwa wenn ein Mensch von bestimmten Gewissheiten im Leben verlassen wird. Wenn ein Krieg das Zuhause wegbombt, wenn politische Umstände zur Flucht zwingen. Wenn die Geliebte geht und die Katze in der leeren Wohnung streunert. Oder wenn der Glauben an die Menschheit erschüttert wird.
In diesen Fällen hält das zu Bewahrende nicht den äußeren Umständen stand. Unabhängig davon müssen wir uns wieder und wieder fragen: Was genau ist jetzt diese Heimat?
Aus meiner Sicht kann Heimat ein Ort sein, und sie kann ebenso ein Kein-Ort sein. Ein ortsbezogener Heimat-Begriff mit Grenzzaun und Gartenzwerg mag auf manche piefig oder altbacken wirken. In manchen Kreisen unserer Gesellschaft gilt diese Heimat als naturgegeben und sollte daher beschützt und bewahrt werden. Diese Auffassung von Heimat begreife ich als statisch und regressiv. Was soll da eigentlich bewahrt werden? Was ist es, was es zu schützen gilt? Sofern diese Frage lustvoll gestellt und ehrlich beantwortet wird, kann Heimat durchaus dynamisch und progressiv sein: Weil dann im Idealfall aus dem „Zerstörten“ etwas Neues entsteht. Ob das Neue dann eine Gestalt hat, die gesellschaftsfähig ist, ist eine andere Frage.
Den Spruch „Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl“ – verbunden mit Emotionen, Erfahrungen und Erinnerungen – lese ich als eine Art Enträumlichung von Heimat. Heimat als Kein-Ort. Damit werden zeitgemäße Vorstellungen möglich: Wie Heimat und Digitalisierung zusammengebracht werden können beispielsweise.
Die Klimakrise ist eine der großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Sie, die Krise, ist kein abstraktes Konstrukt, welches in Elfenbeintürmen erforscht und auf Klimakonferenzen besprochen wird. Die Klimakrise ist real, und sie wirkt zerstörerisch. Überall. Sie lässt Ernten vertrocknen, überschwemmt Dörfer und zwingt Menschen zur Flucht. Die Klimakrise lässt Meere versauern, verändert Kulturlandschaften und zerstört den deutschen Wald. Die Klimakrise zerstört und verändert Heimat. Kurz: Sie ist ein globales Problem, deren Folgen im Lokalen – in der Heimat – spürbar werden. Die Klimakrise ist eine globale Herausforderung, die global gelöst werden muss. Dafür braucht es internationale Zusammenarbeit und nicht eine vermeintliche Alternative für Deutschland. Meine Heimat steht für Menschlichkeit – und gegen Fremdenhass.
Folge ich dem alten Sprichwort „Viele Wege führen zum Club of Rome“, so führt uns das zur Frage: Welche Wege wollen wir wählen, um alle gemeinsam in einer nachhaltig entwickelten Gesellschaft anzukommen? Wie wollen wir Zukunft zur Heimat machen? In der sozial-ökologischen Forschung wird das unter dem Begriff „Transformationspfade“ beschrieben: Dort werden Wege erkundet, welche Energiewende, Kohleausstieg, Stopp des Artensterbens und eine nachhaltige Landwirtschaft ermöglichen. Damit wird der Spagat der nachhaltigen Entwicklung geübt: etwas zu bewahren, sodass es nachhält, und etwas zu verändern, sodass es sich entwickelt. Ähnliche Spannung erfährt die Heimat: Sie soll als wahrhaftiger Ort erfahrbar sein und bestehen. Als Gemeinschaftsgarten, als Fahrradwerkstatt und als Nachbarschaftstreff, als Hort für Hilfesuchende, zum Essenteilen. Dabei muss Heimat wandelbar sein für Veränderungen, und sie muss Wege zeigen, wie wir der Klimakrise begegnen, die im Ort wirkt.
Um diese Spannung auszuhalten, braucht es in meinen Augen dreierlei Kunst. Einerseits eine Zukunftskunst, um die bevorstehenden Wenden im Verkehrswesen, in der Landwirtschaft, und im Kohleausstieg zu ermöglichen. Zweitens braucht es die Kunst des Miteinanders, um politisch zu streiten und Gesellschaft zu verändern. Das ist der Kulturwandel, den wir brauchen, um gut zu leben. Zuletzt braucht es die Kunst des Genusses, um das Leben zu feiern und zu genießen.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2019.