Der Afrinolly-Effekt

Die Kreativindustrie in Nigeria

Obwohl Nigeria ein bedeutender Exporteur von Rohöl ist, herrschen im Land große Armut und eine hohe Arbeitslosigkeit. In Anbetracht des Mangels an Arbeitsplätzen in Unternehmen stellt für viele Nigerianer – insbesondere in der Kulturwirtschaft und der Kreativindustrie – die Gründung einer eigenen Firma sowie die Tätigkeit als Freiberufler eine Alternative dar. Dies verwundert nicht, denn Nigeria ist die Heimat von „Nollywood“, der drittgrößten Filmindustrie der Welt, verfügt über eine etablierte Musik-, Mode- und Literaturszene und ist auch im Bereich der visuellen Künste sehr aktiv. Diese Branchen sorgen für den beständigen Export nigerianischer Kreativität in andere Länder.

 

Während zunehmend mehr Menschen in der Kreativindustrie ihren Weg in die Selbstständigkeit finden, benötigen diese Jungunternehmer dennoch Weiterbildungschancen sowie Einrichtungen und Möglichkeiten, die sie zur Produktion attraktiver Inhalte für ein weltweites Publikum inspirieren.

 

Angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage Nigerias und in Anbetracht einer mehr schlecht als recht funktionierenden Infrastruktur, machen viele Unternehmer die Erfahrung, dass der Zugang zu den Einrichtungen der Kreativindustrie entweder unerschwinglich ist oder einfach nicht existiert. Dies gilt insbesondere für Lagos, der Wirtschaftshauptstadt des Landes und dem Zentrum der Kreativindustrie. In der Stadt, die zu den umsatzstärksten Regionen im Land gehört, finden viele Ausstellungen, Aufführungen und Festivals statt, die das reiche Kulturerbe des Landes widerspiegeln.

 

Als Chike und Jane Maduegbuna 2010 feststellten, dass abgesehen von Technologien, Erfahrungen und Inhalten ein enormes Engagement erforderlich wäre, um die Kreativindustrie voranzubringen und sie dabei zu unterstützen, sich erfolgreich gegen die globale Konkurrenz zu behaupten, gründeten sie Afrinolly Limited. Ihr Ziel bestand zu dieser Zeit darin, mithilfe von Medientechnologien für mehr Engagement, Ausdrucksmöglichkeiten und Mehrwert in der Filmindustrie zu sorgen. Zu diesem Zweck führte die Firma 2010 die Afrinolly-App ein, um den Zugang zu afrikanischen Unterhaltungskonzepten und ebenso zu nigerianischen Filmen zu ermöglichen. Daneben organisierte sie 2012 den Afrinolly-Kurzfilm-Wettbewerb und gründete 2014 das „Cinema4Change“-Projekt zur Förderung angehender Filmemacher.

 

Während sich Nigeria in Bezug auf den Export kreativer Konzepte weiterhin weltweit profiliert, hat sich Afrinolly zu einem kreativen Auffangbecken entwickelt, dessen vorrangiges Ziel es ist, kreativen Talenten in Nigeria Zugang zu den notwendigen Fähigkeiten, Möglichkeiten und Einrichtungen zu verschaffen, um innerhalb der Kreativbranche ihre Ideen konzipieren, produzieren und demonstrieren zu können. Laut Chike Maduegbuna, dem CEO von Afrinolly, „leiden junge Menschen insbesondere darunter, dass wir über ihre Köpfe hinweg Entscheidungen treffen, und sie daher nicht verstehen, wie die Branche funktioniert. Afrinolly stellt ihnen Mentoren zur Seite, damit sie einen Einblick in den Markt erhalten und begreifen, was hinter den Kulissen abläuft“.

 

Der Sitz von Afrinolly befindet sich in Oregun, einem Vorort von Lagos. Dort können Selbstständige und Unternehmer in einem dynamischen und anregenden Umfeld miteinander arbeiten und voneinander lernen. Afrinolly bietet zudem verschiedenen Institutionen Beratungs-, Ausbildungs- und Produktionsdienstleistungen an, fungiert als Mentor für kleine Unternehmen und fördert diese, bis sie auf eigenen Beinen stehen können. Es geht darum, eine Generation talentierter Nachwuchskräfte zu fördern und sie zu befähigen, ihre Kreativität für einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel einzusetzen.

 

Obwohl sich der Sitz von Afrinolly in Lagos, dem Zentrum der Aktivitäten der Kreativindustrie, befindet, setzt die Firma ihre digitalen und sozialen Medienplattformen an anderen Orten wirksam dafür ein, um ein noch größeres Publikum zu erreichen. In einer Branche, in der zuverlässige statistische Daten und Strukturen fehlen, hat sich dieses Vorgehen als wirksam erwiesen und Afrinolly in die Lage versetzt, in den folgenden Bereichen zu reüssieren: Es gelang der Firma, mehrere Stakeholder mit ins Boot zu nehmen, bislang noch nicht erreichte Zielgruppen in der Branche zu ermitteln und zu aktivieren, Möglichkeiten der beruflichen Weiterentwicklung aufzuzeigen, branchenspezifische Diskussionen anzuregen und daran mitzuwirken sowie entsprechende Schulungsprogramme zu entwerfen.

 

Die Kosten für diese dauerhaften Investitionen in kreative Unternehmer werden in der Regel von Partnerschaften übernommen und genießen die Unterstützung multinationaler Organisationen. Hierzu zählen unter anderem der British Council, Facebook, die Filmakademie Baden-Württemberg, die Ford-Stiftung, das Goethe-Institut, Google, das Institut Français, die Regierung des Bundesstaats Lagos, die MacArthur-Stiftung und MTN. Durch die Zusammenarbeit mit all diesen Institutionen war es möglich, die Kapazitäten unterschiedlicher Zielgruppen genreübergreifend auszubauen, ihnen interessengerechte Inhalte zu bieten und Initiativen zur Weiterentwicklung ihres Talents zu entwickeln.

 

Obwohl Afrinolly aufgrund seines dynamischen Auftretens in der Kreativindustrie in Nigeria schon sehr viel bewirkt hat, stößt das Unternehmen in geschäftlichen Belangen immer wieder auf Schwierigkeiten. Denn Nigeria belegt den 145. Platz auf der „Ease of doing Business“-Skala der Weltbank für das Jahr 2019. Abgesehen von Finanzierungsschwierigkeiten und der nicht dauerhaft gewährten staatlichen Unterstützung – mit Blick auf sich günstig auswirkende politische Maßnahmen und Subventionen – muss Afrinolly zuweilen auf Bankdarlehen mit ruinösen Zinssätzen zurückgreifen, um seine Geschäfte finanzieren zu können. Dennoch ist Afrinolly weiterhin bestrebt, vergleichbaren Vorhaben, die die Schwachstellen von Nigerias Kreativindustrie unter die Lupe nehmen, als Vorbild zu dienen und hält unbeirrt an ihrem Plan fest, Kooperationen zu ermöglichen und Menschen auf innovative Weise die Möglichkeit zu geben, ihrer Kreativität Ausdruck zu verleihen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2019.

Adefoyeke Ajao
Adefoyeke Ajao ist bei dem Kreativ-unternehmen Afrinolly für Kommunikation zuständig.
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