Schottlands Kreative und der Brexit

Creative Scotland blickt in die Zukunft

Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland bewarb sich 1961 erstmalig um den Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. 1969 gab es dann grünes Licht für Verhandlungen über eine britische Mitgliedschaft. Am 1. Januar 1973 trat das Vereinigte Königreich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bei.

 

Seit ich erwachsen bin, habe ich somit – genau wie viele andere Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreiches meiner Generation – stets innerhalb der Europäischen Gemeinschaft gelebt. Für uns war das eine positive Einflussgröße für unsere Zukunft und eine zuverlässige Plattform, die für Stabilität sorgte. Und da ich im Ausland aufgewachsen bin, war mir die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft besonders wichtig.

 

Das Votum Großbritanniens für den Brexit war zugleich ein Schock und eine Überraschung. Das Abstimmungsergebnis in Schottland unterschied sich grundlegend von den übrigen Teilen des Vereinigten Königreiches – 62 Prozent stimmten mit „Remain“, und in jeder Kommune sprach sich eine Mehrheit für den Verbleib in der EU aus.

 

Es ist viel über die Gründe dafür geschrieben worden, und einer der Beweggründe ist wohl, dass Schottland über viele Jahrhunderte eine international orientierte Nation war und ist, die stets über den eigenen Tellerrand geblickt hat. Die Einwohnerzahl Schottlands liegt bei 5,4 Millionen Menschen. Neue wirtschaftliche Möglichkeiten ergeben sich in erster Linie aus dem internationalen Handel. Die meisten Beschäftigten in der Kultur- und Kreativwirtschaft – hierzu zählen Film, Theater, Musik, Tanz, Literatur, Fernsehen, die bildenden Künste und Computerspiele – sind sowohl international als auch im eigenen Land tätig. Schottlands Kultur und Traditionen sind außerdem starke Einflussfaktoren für den Tourismus. Die weltberühmten Festivals von Edinburgh bringen jährlich über 4 Millionen Besucher nach Schottland. Der Umsatz der Kultur- und Kreativwirtschaft in Schottland ist seit 2010 kontinuierlich angestiegen und liegt in den aktuell für 2015 vorliegenden Berechnungen bei etwas über 7 Milliarden Pfund, mit einer Bruttowertschöpfung von 4,6 Milliarden Pfund.

 

Unternehmen des Kreativsektors und der digitalen Wirtschaft gehören zu einer ausgesprochen international ausgerichteten Branche. Nach jüngsten Zahlen der schottischen Regierung aus dem Jahr 2016 exportiert die schottische Kultur- und Kreativwirtschaft Produkte im Wert von 325 Millionen Pfund in andere EU-Mitgliedstaaten; in Höhe von 685 Millionen Pfund in internationale Märkte außerhalb der EU und in Höhe von 1,9 Milliarden Pfund in das übrige Vereinigte Königreich. Diese Zahlen unterstreichen, dass Europa für die schottische Wirtschaft nach wie vor eine bedeutende Rolle mit Wachstumspotenzial spielt.

 

In diesem Zusammenhang geben mögliche Barrieren in Form von Zöllen, unterschiedlichen Bestimmungen nach dem EU-Austritt und einer dann fehlenden Möglichkeit, sich an kooperativen, von der EU finanzierten Projekten zu beteiligen, Anlass zu großer Sorge. Außerdem ist eine Gesetzesfolgenabschätzung wichtig und notwendig: Die EU bietet einen starken Schutz für geistiges Eigentum, eine gemeinsame Unternehmenskultur – und sie ist preiswerter und schneller zu erreichen als andere Zielorte. Der Kreativsektor in Schottland profitiert derzeit von Verordnungen zum Copyright, zum geistigen Eigentum, zu Folgerechten von Künstlern, zur Umsatzsteuerbefreiung und zum Arbeitsrecht.

 

Die Einschränkung der Freizügigkeit stellt ein erhebliches Problem dar, da es schwer werden wird, Talente sowohl saisonbedingt als auch für eine dauerhafte Festanstellung anzuwerben. Weitere Problemstellungen ergeben sich für die Präsentation schöpferischer Arbeit in einem internationalen Rahmen und für internationale Gastspiele.

 

Insgesamt gesehen ist jedoch laut Aussage der meisten im britischen Kultursektor arbeitenden Menschen der wichtigste Grund für die internationale Ausrichtung ihrer Arbeit die künstlerische Weiterentwicklung. Werden unsere Fähigkeiten beeinträchtigt, unsere Arbeitspraxis über Landesgrenzen hinweg miteinander zu teilen und voneinander zu lernen, könnte dies dazu führen, dass es für Kulturschaffende weniger Gründe gibt, im Vereinigten Königreich zu bleiben.

 

Unsere künftige Tätigkeit wird durch finanzielle Überlegungen zweifelsohne verkompliziert. Das Edinburgh Festival gehört zu jenen, die von unmittelbaren Auswirkungen durch den Absturz des Pfundkurses berichteten: „Aufgrund langer Vorlaufzeiten handelt das Edinburgh International Festival üblicherweise die Verträge mit auftretenden Künstlern in Pfund Sterling aus, um sich gegen Währungsschwankungen auf internationalen Märkten zu schützen. Seit dem Referendum hat sich diese Vorgehensweise mehrheitlich als nicht mehr praktikabel erwiesen, da die Künstler auf eine Bezahlung in ihrer jeweiligen eigenen Währung beharren. Dadurch sind sowohl Budgets als auch erzielbare Gewinne größeren Risiken durch Schwankungen unterschiedlicher Währungen ausgesetzt“.

 

Während der Wertverlust des britischen Pfundes zu einer beträchtlichen Zunahme des Tourismus in Schottland und somit auch zu einem Anstieg der Publikumszahlen geführt hat, stellt uns die Gesamtsituation trotzdem vor große Herausforderungen.

 

In den vergangenen 45 Jahren hat der Kultursektor in Schottland und im gesamten Vereinigten Königreich zunehmend von Anreizen profitiert, die es uns ermöglicht haben, zügig auf kreative Ideen mit einer Kooperation im europäischen Rahmen zu reagieren. Die künstlerische Arbeit, die in diesem Zeitraum entstanden ist, war zukunftsweisend und transformativ. Motiviert von dem Bedürfnis, die Hand nach Europa auszustrecken und die Anbindung zu suchen, hat Schottland europäische Bürgerinnen und Bürger zur Mitarbeit in den schottischen Kultureinrichtungen und zu deren Leitung willkommen geheißen. Gleichzeitig arbeiten und kooperieren schottische Künstlerinnen und Künstler sowie Führungspersönlichkeiten im Kultursektor mit großer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit auf europäischer Ebene.

 

Ich schöpfe Zuversicht daraus, dass unsere europäischen Beziehungen sich über viele Jahre gefestigt haben. In den 1960er und 1970er Jahren brachte der einflussreiche, in Edinburgh ansässige Künstler und Kurator Richard Demarco Künstlerinnen und Künstler aus ganz Europa nach Schottland, um dort auszustellen und zu arbeiten, und jene Künstlerinnen und Künstler haben wiederum einen unmittelbaren Einfluss auf eine neue Generation schottischer Kunstschaffender ausgeübt.

 

Andere Initiativen haben in der Zwischenzeit diese Arbeit weiterentwickelt. Vor 15 Jahren war die Organisation UZ Arts aus Glasgow an der Entstehung von IN SITU beteiligt – einem europaweiten Netzwerk für Kunstschaffende und Organisationen, die im öffentlichen Raum arbeiten. Viele im Team von Creative Scotland arbeiten sowohl national als auch international, unterstützen die Arbeit von Kulturschaffenden und Organisationen im Kultursektor in Schottland im globalen Umfeld, arbeiten mit anderen Kulturorganisationen in ganz Europa und außerhalb Europas zusammen.

 

Unsere Beziehungen zu Deutschland sind sehr solide. Creative Scotland ist jedes Jahr bei der Berlinale vertreten und richtete in diesem Jahr erstmalig einen Empfang für die Filmbranche aus. Ferner haben wir die Teilnahme einer schottischen Künstlergruppe an der Tanzmesse in Düsseldorf unterstützt.

 

In anderen Teilen Europas sind wir ebenfalls vertreten, beispielsweise bei der Kunst- und Architekturbiennale in Venedig und alljährlich bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes. Weiterhin haben wir 2017 als Ehrengastland in Zusammenarbeit mit dem Festival Interceltique de Lorient in Frankreich 220 traditionelle gälische und keltische Künstlerinnen und Künstler präsentiert.

 

Vor diesem Hintergrund werden wir einen Weg finden, weiterhin mit Regierungen in ganz Europa zusammenzuarbeiten und Lösungen für einige dieser Probleme finden, um die kreative Kooperation auf europäischer Ebene zu schützen – und damit alle gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Vorteile, die dieses Zusammenwirken mit sich bringt. Creative Scotland setzt sich dafür ein, Möglichkeiten zum Dialog zu eröffnen, während der Countdown zum Brexit läuft. Unser Engagement gilt der Zusammenarbeit in Schottland, im gesamten Vereinigten Königreich und in Europa, um unseren Weg durch diese schwierige Phase der Geschichte zu finden und unsere äußerst wichtigen und bereichernden Bündnisse im Kultursektor zu wahren, die über lange Zeit aufgebaut worden sind.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2018.

Janet Archer
Janet Archer ist Chief Executive Officer bei Creative Scotland.
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